Ungarn: "Der Zaun ist nicht aus Wurst gebaut"

Das Vorzeigestück des neuen Grenzzauns ist gerade einmal 100 Meter lang: Der Rest der 174 Kilometer wird wohl noch auf sich warten lassen. Die Regierung Orban hat die Fertigstellung schon verschoben.
Lokalaugenschein an ungarischer Grenze zu Serbien, wo Stacheldraht Flüchtlingsansturm aufhalten soll.

Gar nicht leicht zu finden, so ein Grenzzaun! Der Geländewagen der Polizei muss sich eine ganze Weile durchs Unterholz arbeiten, bis man auf einer Lichtung unvermittelt vor den drei Meter hohen Eisenlatten steht. Ein paar Soldaten sind gerade dabei, die letzten Meter Stacheldrahtrollen oben drauf zu setzen. Dann sind sie fertig, die ersten hundert Meter von Premier Orbans jüngstem politischen Kraftakt: Ein Zaun entlang der ungarisch-serbischen Grenze. Bis Ende August soll der dann auf den gesamten 174 Kilometern Grenze stehen, Flüchtlinge auf dem Weg nach EU-Europa stoppen.

Eigens für die offizielle Präsentation vor der internationalen Presse hat man die 100 Meter fertiggestellt, samt Schild: "Staatsgrenze" in drei Sprachen. Links und rechts von dem Vorzeigestück verlieren sich die ersten Baggerspuren in der Steppe. Eine Handvoll Lastwagen der ungarischen Armee steht verloren in der Gluthitze, dazu ein paar Soldaten, Baumaterial – und der Eindruck, dass man noch nicht so recht weiß, wo man anfangen soll. Ende August werde der ganze Zaun stehen, hatte der Premier vollmundig verkündet. Inzwischen ist man ein bisschen kleinlauter geworden. Fürs Erste muss ein loses Drahtgeflecht mit gerade einmal eineinhalb Meter Höhe genügen.

Ungarn: "Der Zaun ist nicht aus Wurst gebaut"
A child of an asylum seeker awaits a train to depart to a refugee camp after crossing the border into the European Union's visa-free Schengen travel zone, in Szeged, Hungary July 30, 2015. Nearly 100,000 migrants have crossed Hungary's southern border so far this year, far more than in all of 2014, as Middle Eastern and African refugees now mainly choose the overland route into Europe, most of them entering the bloc through Hungary. REUTERS/Laszlo Balogh
Ob man damit den täglichen Ansturm der Flüchtlinge an dieser Grenze stoppen kann? Abseits der offiziellen Verlautbarungen geben sich auch die ungarischen Grenzpolizisten skeptisch. Etwa 1200 Menschen greift man täglich hier auf. Vielleicht, so hofft ein Kommandant, könne man wenigstens den Bereitschaftsdienst ein bisschen reduzieren. Fast 3000 Polizisten sind direkt an der Grenze zu Serbien im Einsatz. Aus dem ganzen Land hat man Polizeikräfte abgezogen. "Gute Zeiten für Bankräuber", scherzt ein Beamter, der aus Budapest hierher beordert worden ist.

"Viele sind erleichtert"

80 Prozent der illegalen Grenzgänger würde man aufgreifen, wagt ein Kommandant der Grenzpolizei eine ziemlich optimistisch klingende Schätzung. Doch die Truppe hier ist gut ausgerüstet – etwa mit Wärmebildkameras – und arbeitet sichtbar effizient. Entlang der Hochspannungsleitung, auf den Eisenbahnschienen, am Flussufer der Theiss: Es sind immer die gleichen Routen, auf denen die Schlepper ihre Kundschaft über die Grenze schicken. Tauchen die Gruppen einmal im Sucher der Wärmebildkamera auf, ist der Rest Routine. "Viele sind regelrecht erleichtert, wenn sie erkennen, dass wir von der Polizei sind", schildert ein ungarischer Beamter seine nächtlichen Erfahrungen: "Die haben viel mehr Angst davor, dass sie ausgeraubt werden, als vor uns."

Auf Flucht überfallen

Gerade die Flüchtlinge aus Syrien, die meist Geld bei sich haben – allein, um die Schlepper zu bezahlen – ziehen auf ihrem Weg durch den Balkan immer mehr Kriminelle an, die sich am Elend bereichern wollen. Schussverletzungen, Messerstiche, blutende Wunden: Immer wieder finden Polizeibeamte solche Spuren.

Einmal aufgegriffen, werden die Flüchtlinge in ein Anhaltelager direkt hinter der Grenze verfrachtet. Eine Containerhalle, umringt von einem Wald von schäbigen, oft nur mit Plastikplanen gedeckten Zelten. Hier verläuft die polizeiliche Routine nach Plan: Erstversorgung, Erfassung, Asylantrag. Danach, so die offizielle Darstellung, würden die Flüchtlinge in andere Aufnahmezentren im ganzen Land verteilt. Dass die meisten dort nicht ankommen, sondern sich stattdessen auf den Weg über die nächste Grenze – nach Österreich – machen, ist kein Geheimnis. Ungarn ist ein Durchreiseland für die Flüchtlinge auf dem Weg nach Westeuropa – und die Regierung in Budapest tut wenig, um das zu ändern. "Das ist nicht unser Problem, sondern eures": Der Satz taucht in Gesprächen in der Grenzstadt Szeged immer wieder auf: "Die wollen ja gar nicht bei uns bleiben." Auch der neue Grenzzaun kommt bei den meisten gut an: Der werde die Fremden zumindest abschrecken "Der Zaun ist nicht aus Wurst gebaut", ätzt ein älterer Herr beim Kaffee am Hauptplatz, "damit die wissen, dass es bei uns nichts zu holen gibt."

Auf der anderen Seite der Grenze, in Serbien, kann man mit so viel Selbstzufriedenheit wenig anfangen. Stacheldraht, auf dem Weg nach Europa, das empfinden auch die meisten serbischen Grenzpolizisten als mehr als unfreundliche Geste.

Österreicher-Patrouille

Ungarn: "Der Zaun ist nicht aus Wurst gebaut"
grenze ungarn
Der südliche Nachbar Mazedonien hat die Kontrolle über die Flüchtlingsströme und die eigene Grenze längst verloren – oder bewusst aufgegeben. Rund 1000 Menschen schwappt es täglich ins Land – die meisten arbeiten sich, so rasch sie können, an die Grenze zu Ungarn, und damit zur EU, vor. Die will vom EU-Beitrittskandidaten Serbien mehr Kontrolle über Grenze und Migranten. Doch dazu fehlt es an Beamten, modernen Überwachungsgeräten und Sprit für die Autos. Etwa 40 Polizisten aus Österreich sind hier zur Unterstützung eingesetzt. Sie fahren nachts mit ihren einigermaßen modern ausgerüsteten Fahrzeugen Patrouille, suchen mit der Wärmebildkamera Grenzgänger.

Über die Zusammenarbeit mit den serbischen Kollegen hört man von den jungen Beamten nur Gutes. Die würden wirklich versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Diese Grenze aber könne man nicht lückenlos kontrollieren. So lädt man Nacht für Nacht friedliche und meist erleichterte Flüchtlinge in den Dienstbus, übergibt sie den serbischen Kollegen.

Zorn auf Schlepper

Mit dem harten Dienst bei ihrem Einsatz können die Beamten problemlos umgehen. Mit all dem Leid und all den Illusionen, mit denen sie tagtäglich bei den Gesprächen mit den Flüchtlingen konfrontiert sind, fällt das viel schwerer. Junge Mädchen, die barfuß mit verbrannten Füßen über die Wiese humpelten, haben sie aufgegriffen, aber auch Familien aus Syrien, die ihnen freudig vom Haus und dem fixen Job, der sie in Deutschland erwarte, erzählen. Nach sechs Wochen Einsatz kehren die Polizisten auch mit vielen Fragen nach Hause zurück, wie einer von ihnen mit einer Bemerkung deutlich macht: "Welche Verbrecher machen ihre Schleppergeschäfte mit solchen Lügen?"

Der Bau des Grenzzauns an Ungarns Grenze zu Serbien ist nur das jüngste Beispiel für die Flüchtlingsabwehr durch die rechtsnationalistische Regierung von Premier Viktor Orban. Per Fragebogen wurden bereits im Frühling die Ungarn gefragt, ob die liberale EU-Einwanderungspolitik den Terrorismus in Europa fördere. Oder ob Ungarn nicht lieber kinderreiche einheimische Familien unterstützen solle, anstatt Einwanderer. Im Juni startete dann die Regierung eine skurrile Plakataktion. Auf Riesenplakaten war – auf Ungarisch – zu lesen: „Wenn du nach Ungarn kommst, musst du unsere Kultur respektieren.“ Oder: „Wenn du nach Ungarn kommst, darfst du den Ungarn keine Arbeitsplätze wegnehmen.“

Rauswurf aus EU

Für Aufregung in der EU sorgte Orban wenig später, als er ankündigte, die Dublin-III-Verordnung einseitig auszusetzen. Demnach würden keine Flüchtlinge mehr zurückgenommen werden, die über Ungarn als erstes Land EU-Territorium betreten haben. Von „technischen Problemen“ war die Rede. Nach Drohungen, Ungarn riskiere seinen Rauswurf aus der EU, zog Orban zurück: Ungarn werde die Menschen doch zurücknehmen, hieß es.

Die Asylgesetze wurden weiter verschärft, was die beschleunigte Abschiebung ins Durchgangsland Serbien ermöglichen soll. Illegal eingereiste Flüchtlinge haben keine Betreuung und nur Massenquartiere zu erwarten, entsprechend schnell wollen die Menschen weiter in andere EU-Länder.

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