Ukraine: EU spricht von "dramatischer Lage"

In der Ostukraine gehen die Kämpfe mit unverminderter Härte fort – immer vehementer mischt offenbar das Nachbarland Russland mit.
Poroschenko spricht von Vormarsch im Osten. Russland befindet sich laut Litauens Präsidentin Grybauskaite "praktisch im Kriegszustand gegen Europa".

Wir könnten einen Punkt erreichen, an dem es keine Umkehr mehr gibt.“ Mit drastischen Worten reagierte am Samtag EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso auf die jüngste Eskalation des Konflikts in der Ostukraine. Die Granden sowie Staats- und Regierungschef der Union waren zu einem Sondergipfel nach Brüssel geeilt, wo es auch um weitere Sanktionen gegen Russland ging (siehe unten).

Ukraine: EU spricht von "dramatischer Lage"
epa04375137 President of Ukraine Petro Poroshenko during a press conference with EU Commission President Jose Manuel Barroso (not pictured) after a meeting at the EU Commission headquarters in Brussels, Belgium, 30 August 2014. Ukrainian President Petro Poroshenko has been invited to address the summit as part of a visit to Brussels. EPA/JULIEN WARNAND
Denn Moskau mischt offenbar immer vehementer in den Kampfhandlungen mit. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko (Bild) bat die EU daher um Waffenlieferungen und berichtete in derEU-Zentrale, dass schon „Tausende ausländische Truppen und Hunderte ausländische (sprich russische) Panzer“ im Einsatz seien. Poroschenko sprach ebenfalls von einem baldigen „point of no return“. Barroso dazu: „Wir sind in einer sehr ernsten und dramatischen Lage.“ Fast wortident äußerte sich die deutsche Kanzlerin Angela Merkel.

Die litauische Staatschefin Dalia Grybauskaite meinte gar, dass sich Russland „praktisch im Kriegszustand mit Europa“ befinde. Hintergrund: Gerade in den baltischen Staaten mit großen russischen Minderheiten ist die Furcht vor weiteren aggressiven Akten Moskaus besonders verbreitet.

Heftige Gefechte

In der Ostukraine rücken indes pro-russische Separatisten-Verbände mit massiver Unterstützung russischer Soldaten und schweren russischen Waffen weiter auf die strategisch wichtige Schwarzmeer-Stadt Mariupol vor. Möglicherweise ist es das Ziel von Kreml-Chef Wladimir Putin, einen Landkorridor zur Halbinsel Krim zu schlagen, die er sich schon zu Beginn dieses Jahres einverleibt hat.

Auch von einem anderen Frontabschnitt, um Donezk, werden Gefechte gemeldet. Dort schossen Aufständische nach eigenen Angaben weitere vier ukrainische Kampfjets ab. Der Generalstab in Kiew bestätigte den Verlust einer Maschine des Typs Su-25.

Sorge um AKW

In dieser Region hatten die Separatisten ukrainische Soldaten eingekesselt. Diese konnten nun über einen Korridor die Gefahrenzone verlassen.

Besorgt über die Gewalt in der Ostukraine zeigte sich die Umweltschutzorganisation Greenpeace: Das Atomkraftwerk (AKW) Saporoschje befinde sich nur 200 Kilometer von der Front entfernt. Die noch aus der Sowjetzeit stammende Anlage sei nicht ausreichend geschützt gegen einen Beschuss mit schweren, panzerbrechenden Waffen. Zudem könnte ein Angriff auf die Stromversorgung den Ausfall der AKW-Kühlung zur Folge haben. Beides könnte eine Katastrophe auslösen.

Die Eskalation der Gewalt in der Ukraine bestimmte den EU-Gipfel am Samstagabend in Brüssel. Die "Chefs" einigten sich, gegenüber Moskau schärfer vorzugehen. "Der Europäische Rat steht bereit, weitere Maßnahmen zu ergreifen, abhängig von der Entwicklung vor Ort", heißt es im Entwurf zu den Schlusserklärungen. Die EU-Kommission wurde beauftragt, das neue Sanktionenpaket vorzubereiten. Um welche Strafen es sich dabei konkret handelt, solle "situationsabhängig" entschieden werden, erklärte ein Diplomat.

Wie schwer sich die EU-Granden mit Sanktionen tun, zeigte die widersprüchliche Debatte vor dem Gipfel. Der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb erklärte, dass es keinen Beschluss über Verschärfungen geben werde: "Manche Länder wollen sofort härtere Sanktionen, andere gehen gelassener an die Sache heran."

Die Regierungschefs aus Osteuropa verlangten "sofort entschlossene Maßnahmen" bis hin zu Militärhilfe für die ukrainische Regierung.

Bundeskanzler Werner Faymann gehörte zu jenen, die in "Sanktionen kein Allheilmittel" sehen, sondern in Friedensverhandlungen.

Baltische Politiker verlangen, den ganzen Finanzsektor ins Visier zu nehmen, um die Refinanzierung der russischen Wirtschaft zu erschweren. "Wir brauchen jetzt Sanktionen, die richtig weh tun", sagten estnische Delegationsmitglieder.

Dänemark will die Energielieferungen aus Russland reduzieren. Das würde den Russen richtig weh tun, doch für diesen Schritt ist die EU zu abhängig von russischer Energie. Viele EU-Regierungschefs wollen sämtliche Waffenlieferungen an Russland sofort verbieten und auch Güter, die für militärische Zwecke genützt werden können. Das träfe auch alte Lieferverträge.

Wodka-Bann

Geplant sind auch Einfuhr-Beschränkungen von Luxusgütern aus Russland: Kaviar, Wodka und Diamanten, Russland gehört zu den größten Exporteuren der Edelsteine. Die Maßnahmen könnten die russische Wirtschaft erheblich treffen, betonten hochrangige EU-Diplomaten.

Kommissionspräsident Barroso warnte den russischen Präsidenten Putin, "die Entschlossenheit der EU zu unterschätzen". Die EU sei "bereit für sehr starke Schritte gegen Moskau".

Auch Frankreichs Staatspräsident François Hollande sprach sich für "mehr Druck" gegenüber Moskau aus.

Eine Militär-Intervention schließen die EU-Granden aus. Die NATO will rund 1000 Soldaten ins Baltikum schicken, um die dortigen Sicherheitskräfte zu unterstützen. Und London will eine Eingreiftruppe mit 10.000 Mann für Osteuropa aufstellen.

Kommentare