„Der radikale Islam passt nicht zu uns“
Die Ermordung von Oppositionspolitiker Chokri Belaïd, die zu landesweiten Protesten und dem Rücktritt der Regierung geführt hatten, sei eine „große Tragödie“ gewesen, sagt Tunesiens Parlamentspräsident Mustafa Ben Jafaar (73). Dennoch werde das „postrevolutionäre Tunesien“ in seiner schwierigen Übergangsphase keinen Schritt zurück machen. Mit dem KURIER sprach Ben Jafaar in Wien über...
... die Gefahr religiöser Radikalisierung In Tunesien gibt es keine Tradition des Extremismus. Der radikale Islam passt überhaupt nicht ins religiöse Profil unseres Landes. Die Gesellschaft ist offen und moderat gegenüber anderen. Aber beeinflusst über andere Wege gibt es auch bei uns eine extreme Minderheit an gewaltbereiten Dschihadisten. Dabei ist es nicht ihre Anzahl oder ihre Größe oder ihre Inhalte, die uns Sorgen bereiten – sondern das Klima einer gewaltbereiten Umgebung. Man muss nur sehen,was in Mali vor sich ging, zuletzt in Algerien, und es gibt auch einige Tunesier, die in Syrien mitkämpfen.
... Tunesiens größte Probleme Das ist zum einen die Sicherheit. Seit dem Sturz von Diktator Ben Ali vor zwei Jahren sind Armee und Polizei nahezu ständig in Alarmbereitschaft. Aber es bessert sich, wie man auch im Tourismus sieht: Sechs Millionen Gäste kamen 2012 – und es gab keine Zwischenfälle. Das zweite Problem ist die soziale Frage: Man darf nicht vergessen, dass die Revolution ihre Ursprünge in der Armut,in der Arbeitslosigkeit, der Ungleichheit zwischen den Regionen hatte. 800.000 Arbeitslose, dieses Problem löst man nicht an einem Tag. Die neue Regierung, die sich erst noch konstituieren muss, muss strukturelle Reformen angehen.
... die neue Verfassung In drei Monaten soll sie fertig sein, dann muss das Parlament sie mit Zwei-Drittel-Mehrheit annehmen. Sicher hätten wir in zwei Monaten eine neue Verfassung aus dem Boden stampfen können, aber das wollte in Tunesien niemand. Wir wollten vollkommen mit der Vergangenheit brechen und ganz neu beginnen, wobei sich in die Diskussion alle Teile der Gesellschaft eingebracht haben.
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