Kurz: "Ukraine nicht zwingen, sich zu zerreißen"

Kurz: "Ukraine nicht zwingen, sich zu zerreißen"
Interview: Außenminister in Kiew auf Mission für Rechtsstaatlichkeit und Volksgruppenrechte.

KURIER: Herr Außenminister, die Sanktionsdrohungen der EU gegenüber Russland werden vielfach als zu weich kritisiert. Glauben Sie wirklich, dass sich der russische Präsident davon beeindrucken lässt?

Sebastian Kurz: Die Entscheidungen der EU-Staats- und Regierungschefs waren richtig. Man muss sich die Frage stellen: Was will man? Wenn man einen Krieg will, muss man gegenüber Russland sofort Härte zeigen. Wenn man einen Krieg verhindern will, muss man so lange wie möglich auf Gespräche und eine Kontaktgruppe setzen. Und wir wollen keinen Krieg.

Was ist das unmittelbare Ziel der Sanktionsdrohung?

Wir wollen Russland an den Verhandlungstisch bringen. Russland verweigert sich einer Kontaktgruppe und Gesprächen, an denen die neue ukrainische Führung teilnimmt. Insgesamt lautet das Ziel, Russland muss von der Krim abziehen.

Sie haben im Hauptausschuss des Nationalrats gesagt, man dürfe Russland nicht provozieren, und Sie seien deswegen gegen die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens der Ukraine mit der EU. Ist es nicht eher umgekehrt, dass Sie die Provokation durch Russland verurteilen müssten?

Das Verhalten Russlands ist vollkommen falsch, es widerspricht dem Völkerrecht, und man darf das nicht hinnehmen. Aber man muss alles vermeiden, was zu einer weiteren Eskalation führt. Ich verstehe das Sicherheitsbedürfnis der Ukraine, dass sie am liebsten bald NATO-Mitglied wäre, aber durch einen NATO-Beitritt würde die Situation verschärft, nicht entspannt. Die Annäherung der Ukraine an die EU ist grundsätzlich richtig, und es ist auch richtig, dass die EU die politischen Kapitel des Assoziierungsvertrags unterschreiben will. Anders verhält es sich mit dem wirtschaftlichen Teil des Abkommens. Es würde die Ukraine zerreißen, wenn man sie zwingt, sich zwischen der EU und Russland zu entscheiden. Die Ukraine muss sich sowohl näher an die EU anbinden, als auch eine Partnerschaft mit dem starken Nachbarland eingehen können.

Welches Gewicht hat Österreich in dieser Krise?

Wir sind wie alle EU-Länder mit dabei bei der Entscheidungsfindung in der EU, aber die Player gegenüber Russland sind Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Polen und die USA. Wir haben derzeit den Vorsitz im Europarat, und in dieser Funktion werde ich am Montag in Kiew der neuen Regierung das Angebot machen, dem Land auf dem Weg zu Rechtsstaatlichkeit und Respektierung der Menschenrechte zu helfen. Es darf keine Diskriminierung ethnischer Gruppen geben. Die russische Sprache zu diskriminieren, ist ein großer Fehler.

Sebastian Kurz ist der beliebteste Minister und somit eines der wenigen "Assets" der im Meinungstief befindlichen Bundesregierung.

Das ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass der 27-Jährige in seinen ersten Amts-Wochen Unkenrufe widerlegte, er sei zu unerfahren für das Außenministerium. Aber jetzt, nach zweieinhalb Monaten, sitzt Kurz – beim Fall des Eisernen Vorhangs gerade einmal drei Jahre alt – mitten im Kalten Krieg. Ist er dem gewachsen?

Bis zur Ukraine-Krise lief jedenfalls alles wie am Schnürchen. Keine Patzer bei den Antrittsbesuchen in den Nachbarländern, der Schwerpunkt Balkan war mit Kroatien und Serbien gut gewählt: Da erwarten sich die europäischen Länder von Österreich sachkundige Expertise und Unterstützung bei der Integration dieser Länder in die EU.

Geglückt ist auch die Aufnahme in den Kreis der EU-Kollegen. "Ich bin der Frank-Walter": Mit dieser Begrüßung beim ersten persönlichen Gespräch zerstreute Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) die Befürchtung, er könnte den konservativen Jungspund aus Österreich mit Herablassung behandeln.

Zuneigung hat EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton zu dem höflichen Minister aus Austria gefasst: Aufgrund dieser guten Beziehung gelang es Kurz, die Iran-Gespräche nach Wien zu holen und Österreich als internationalen Begegnungsort in Erinnerung zu rufen.

Aber Kurz kann notfalls nicht nur höflich, sondern auch hart sein. Als eine 29-jährige Wienerin in Dubai vergewaltigt wurde und dann selbst wegen "außerehelicher Unzucht" in die Fänge eines islamischen Justizsystems geriet, rief er den dortigen Außenminister an. Kurz’ Botschaft: Verbrechensopfer zu Tätern zu machen, würde wohl kaum Touristen anlocken. Es wirkte: Die Frau wurde enthaftet und durfte heim nach Wien.

Die Ukraine-Krise ist nun ein echter Härtetest. Obwohl Österreich im Kräftemessen mit Russland eine eher bescheidene Rolle spielt, befindet sich der Außenminister mitten im Getümmel: Dauerkontakte mit den anderen EU-Ländern, Abstimmung der österreichischen Position in der Regierung, bilaterale Gespräche, Konferenzen, Telefonate. Und Kontakte mit der Ukraine.

Dass Österreich gegenüber Russland nicht zu den "Playern" zähle, liege nicht an seinem Alter, sondern an der Größe des Landes, sagt Kurz. Satisfaktionsfähige Streit-Partner für den russischen Präsidenten sind Großmächte, Barack Obama, Angela Merkel, David Cameron, Francois Hollande. In der Kontaktgruppe, die der Westen Russland als Gesprächsforum vorschlägt, sei nicht einmal die EU als solche vertreten.

Österreich setzt dennoch eigene Akzente. Österreich war unter den ersten Ländern, die die Konten von Ukrainern, die mutmaßlich Menschenrechte verletzten, eingefroren haben. Kurz: "Das ist in den anderen EU-Ländern sehr gut angekommen." Mit diesem Vorpreschen fand Österreich auch medial weltweit Beachtung.

Kurz nutzt zudem die derzeitige Vorsitzführung Österreichs im Europarat. Er reist heute nach Kiew, um den Startschuss für einen Prozess zu geben, der die Ukraine an Rechtsstaatlichkeit und an die faire Behandlung unterschiedlicher ethnischer Gruppen in der Bevölkerung heranführen soll. Das ist zwar kein Beitrag zur Lösung der aktuellen Krise, aber für die Zukunft der Ukraine wichtig: Das Land ist ein Armenhaus, die Wirtschaft leidet unter weit verbreiteter Korruption, und die Ankündigung aus den Reihen der neuen Machthaber, Russisch als Amtssprache abzuschaffen, vertiefte die Kluft im Land.

Nicht mitreden kann Kurz, wenn ältere europäische Politiker den aktuellen Konflikt mit Russland anhand von Parallelen zum Kalten Krieg analysieren. Den Eisernen Vorhang kennt der 1986 geborene Minister nur vom Geschichtsunterricht. In solchen Situationen macht Kurz aus der Not eine Tugend. Er hört zu. "Gerade wegen meines Alters verübelt mir niemand, wenn ich mir Meinungen und Erfahrungen von älteren Politikern und Experten anhöre und daraus Ratschläge in meine Politik aufnehme." Kurz kann immerhin zwei frühere Bundeskanzler zu seinen regelmäßigen Gesprächspartnern zählen: Alfred Gusenbauer und Wolfgang Schüssel.

Im Kreis der europäischen Außenminister ergreift Kurz besonders dann das Wort, wenn er etwas zu sagen hat. Das ist – wegen der Expertise Österreichs – der Balkan und – wegen seiner persönlichen Expertise – das Thema Migration. Nach der Schweizer Volksabstimmung für die Einführung von "Ausländerkontingenten", was dem Freizügigkeitsabkommen mit der EU widerspricht, wurde Kurz im Rat der Außenminister ausdrücklich aufgefordert, seine Meinung einzubringen.

Im aktuellen Konflikt mit Russland kann sich Kurz mit der Linie der EU voll identifizieren, die laute: "Wir wollen keinen Krieg." Im Kreis der 28 EU-Außenminister, die die Vorgangsweise der EU gegenüber Russland vorbereiteten, zählt der Österreicher übrigens schon fast zu den Altspatzen: Es gibt bereits drei Neulinge, die kürzer im Amt sind als Sebastian Kurz.

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