Schottland: "Wir wollen gute Nachbarn bleiben"

Angus Robertson, Fraktionschef der Nationalisten, über seine Vision eines unabhängigen Schottland.

Es ist die wichtigste politische Entscheidung auf den britischen Inseln seit Langem – und wenn man den letzten Umfragen glaubt, könnte sie mehr als knapp werden. Gegner und Befürworter der Unabhängigkeit lagen bis zum heutigen Tag des Referendums Kopf an Kopf. Für Angus Robertson, Fraktionschef der regierenden Nationalisten und eine der gewichtigsten politischen Stimmen der Unabhängigkeitsbewegung, ist ein freies Schottland ohne Bevormundung durch London auf jeden Fall die einzige zukunftsträchtige Perspektive. Warum, erklärte er dem KURIER in Edinburgh.

KURIER: Viele Unternehmer drohen mit der Abwanderung, falls Schottland unabhängig wird. Wie groß ist die Gefahr einer wirtschaftlichen Krise?

Schottland: "Wir wollen gute Nachbarn bleiben"
Konrad Kramar Interview
Angus Robertson:Die "Nein"-Bewegung hat bis zuletzt nur mit Angstmache und Drohungen um Stimmen geworben. Aber das ist die wichtigste Entscheidung für Schottland seit 300 Jahren. Ist dagegen die Unzufriedenheit einzelner Unternehmer nicht kleinlich? Außerdem haben dieselben Firmen schon vor 35 Jahren, beim letzten Referendum, mit Abwanderung gedroht.

Aber ist ein Verbleib bei Großbritannien wirtschaftlich nicht die bessere Alternative als der Alleingang?

Wir haben die größten Ölvorkommen Europas, und trotzdem lebt ein Fünftel unserer Kinder in Armut. Wenn uns also London jetzt droht, dass einem unabhängigen Schottland eine düstere wirtschaftliche Zukunft droht, dann ist das wohl ein Witz.

War nicht ursprünglich nur eine vollständige Autonomie Schottlands ihr Ziel? Warum jetzt ein eigener Staat?

Wir haben genau diese Autonomie London vor Jahren vorgeschlagen. Wir wollten das als dritte Möglichkeit auf dem Stimmzettel. Doch die Regierung Cameron wollte davon nichts wissen. Dass sie uns jetzt fünf vor zwölf mit Autonomie-Angeboten ködern wollen, ist jämmerlich. Außerdem ist das Angebot weit von der Autonomie entfernt. Das enthält gerade einmal die Hoheit über 20 Prozent der Steuern.

Warum wollen Sie eigentlich unbedingt das britische Pfund behalten?

England ist unser wichtigster Handelspartner und wir sind für sie der Zweitwichtigste. Es daher einfach sinnvoll, eine gemeinsame Währung zu haben. Das muss man doch gerade als Österreicher mit dem großen Nachbarn Deutschland gut verstehen. London droht uns jetzt, dass wir das Pfund nicht behalten dürfen. Zugleich aber sagen maßgebliche Politiker hinter vorgehaltener Hand, dass das natürlich möglich ist. Ist das nicht ein Armutszeugnis?

Was unterscheidet Schottland eigentlich von England?

England steht viel weiter rechts als wir, wir denken viel sozialer. Auch mit der Europafeindlichkeit Londons haben wir nichts gemeinsam. Wir sehen uns als Teil Europas und sind und bleiben ein Einwanderungsland.

Wie sollen Beziehungen zu England in Zukunft aussehen?

Wir wollen gute Nachbarn bleiben. Das soll aber eine Freundschaft sein, die auf den politischen Realitäten des 21. Jahrhunderts basiert und nicht auf denen eines Imperiums aus dem 19. Jahrhunderts. Auch wenn wir uns politisch mehr an Skandinavien orientieren, leben wir mit den Engländern auch weiter gemeinsam auf einer Insel. Das heißt, wir können uns nicht einfach abkoppeln. Wir werden also nicht nach Grönland abdriften.

Yes or no? Schottland entscheidet sich

Am Vorabend des Referendums über die Unabhängigkeit Schottlands hat US-Präsident Barack Obama für die Einheit Großbritanniens plädiert. Das Vereinigte Königreich sei ein "außergewöhnlicher Partner" der USA und eine zuverlässige Kraft in einer instabilen Welt, schrieb Obama am Mittwoch im offiziellen Profil des Weißen Hauses im Internetdienst Twitter.

"Ich hoffe, es bleibt stark, robust und vereint", hieß es weiter. Unterzeichnet war der Eintrag mit der Abkürzung "bo", die immer dann verwendet wird, wenn die Äußerung vom US-Präsidenten selbst und nicht von seinem Presseteam stammt. Die US-Regierung hatte bereits in den vergangenen Tagen ihre Unterstützung für einen Verbleib Schottlands in Großbritannien erkennen lassen. Gleichzeitig betonte sie aber, die Schotten hätten das Recht, darüber abzustimmen.

Die USA pflegen mit Großbritannien eine Sonderbeziehung ("special relationship"), die bei einer schottischen Unabhängigkeit erschüttert würde. Washington befürchtet, dass einer seiner wichtigsten Verbündeten militärisch und wirtschaftlich an Einfluss verlieren könnte. Schottland stimmt am Donnerstag in einem historischen Referendum über eine Loslösung von Großbritannien ab. Gegner der Abspaltung lagen in Umfragen zuletzt knapp in Führung.

Kommentare