Putin verbittet sich Einmischung des Westens

Wladimir Putin
Die Flugschreiber der Unglücksmaschine sollen indes demnächst in Großbritannien untersucht werden.

Spannung herrschte vor der Sitzung des nationalen russischen Sicherheitsrates, der - erstmals - mit vorheriger Ankündigung stattfand: Was würde Russlands Präsident Wladimir Putin nach dem mutmaßlichen Abschuss der malaysischen Maschine in der Ostukraine sagen? Über einen möglichen Paukenschlag in der Krise wurde spekuliert.

Ob das Vorhaben, das Putin nun ankündigte, eine vermutete Wende für das zunehmend isolierte Russland bringt, ist aber fraglich. Putin sagte am Dienstag lediglich zu, seinen Einfluss auf die prorussischen Rebellen zu nutzen. "Wir werden aufgefordert, Einfluss auf die Kämpfer im Südosten auszuüben, wir werden alles in unserer Macht Stehende tun", sagte Putin nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen. Russland werde alles für "eine vollständige, umfassende, gründliche und transparente Untersuchung" des Falls tun.

Zudem verlangte Putin von Kiew eine Feuerpause, solange in der Ostukraine nach der Ursache gesucht wird.

Der Kreml-Chef warnte aber zugleich das Ausland davor, sich in innerrussische Angelegenheiten einzumischen. Der Westen müsse seinen Einfluss auf die Ukraine geltend machen, damit die Kämpfe in der Ostukraine aufhörten. Putin steht nach dem Absturz von Flug MH17 unter massivem internationalem Druck. Fast den gesamten Sonntagabend hatte Putin mit westlichen Regierungsspitzen konferiert. Dabei musste er sich nach Kreml-Angaben der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem britischen Premierminister David Cameron, dem australischen Premierminister Tony Abbott, dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte und dem französischen Präsidenten Francois Hollande erklären. Die EU-Außenminister berieten bei ihrer Sitzung am Dienstag über mögliche weitere Sanktionen (mehr dazu hier).

Kiew mit Teilmobilmachung

Zuvor hatte sich der Konflikt in der Ukraine am Dienstag noch zugespitzt: Vier Tage nach dem mutmaßlichen Abschuss des Flugzeugs der Malaysia Airlines über dem Osten des Landes hat Kiew nun eine Teilmobilmachung der Bevölkerung beschlossen. Das Parlament in Kiew bestätigte einen entsprechenden Erlass des ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko am Dienstag; "zur Lösung des blutigen Konflikts im Osten des Landes", wie es hieß. Kurz gesagt heißt dies die flächendeckende Masseneinberufung von Männern im wehrdienstfähigen Alter sowie von Reservisten. Die Oberste Rada stimmte mit knapper Mehrheit von 232 Stimmen für den umstrittenen Schritt. Poroschenko begründete den Schritt mit einer Sicherung der nationalen Unabhängigkeit der Ukraine.

Einen Erfolg konnte die ukrainische Armee schon am Dienstag verzeichnen: Regierungstruppen haben nach Angaben aus Kiew die Stadt Sewerodonezk aus den Händen prorussischer Separatisten zurückerobert. Sewerodonezk hat etwa 110.000 Einwohner. Die Stadt liegt nördlich der Separatistenhochburgen Donezk und Luhansk.

41.000 Soldaten an der Grenze

Russland hat nach Angaben der Regierung in Kiew fast 41.000 Soldaten entlang der ukrainischen Grenze zusammengezogen. Nahe der ukrainischen Grenzstadt Donezk seien im Laufe der vergangenen Woche zudem 550 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge sowie 500 Artilleriegeschütze in Stellung gebracht worden, sagte der Chef des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats, Andrej Parubi, am Dienstag in Kiew. Donezk ist eine Hochburg der prorussischen Separatisten.

Black Boxes übergeben

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epa04325669 Journalists document the two black boxes of the crashed Malaysia Airlines flight MH17 after they were handed over to Colonel Mohamed Sakri (2-R) of the Malaysian National Security Council during a press conference organized in Donestk, Ukraine, early 22 July 2014. Separatists handed the two black boxes to a Malaysian delegation, after a deal with Malaysian Prime Minister Najib Razak has been accomplished. A Malaysia Airlines Boeing 777 with more than 280 passengers on board crashed in eastern Ukraine on 17 July. The plane went down between the city of Donetsk and the Russian border, an area that has seen heavy fighting between separatists and Ukrainian government forces. EPA/ROBERT GHEMENT
Die Separatisten zeigten sich unterdessen kompromissbereit: Die Flugschreiber der abgestürzten Passagiermaschine sind in der Nacht auf Dienstag von den Prorussen an einemalaysischeDelegation in derUkraine übergeben worden, berichtetCNN. Separatistenführer Borodaj sagte bei der Übergabe der Black Boxes am frühen Dienstagmorgen, sie "werden die Wahrheit enthüllen" - und bestritt zeitgleich alle Anschuldigungen, nach denen die Separatisten das Flugzeug abgeschossen hätten. "Wir haben nicht die technische Fähigkeit, dieses Flugzeug zu zerstören", sagte Borodaj.

Entrüstung herrschte im übrigen in sozialen Netzwerken, als bekannt wurde, dass am Sonntag eine Maschine der Malaysia Airlines Richtung Kuala Lumpur über das Bürgerkriegsland Syien flog - als Ausweichroute.

Hinweise auf Raketenabschuss

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A Malaysian air crash investigator inspects the crash site of Malaysia Airlines Flight MH17, near the village of Hrabove (Grabovo), Donetsk region July 22, 2014. Almost 300 people were killed when the Malaysian airliner went down last Thursday. REUTERS/Maxim Zmeyev (UKRAINE - Tags: POLITICS TRANSPORT DISASTER CIVIL UNREST)
Ob die Separatisten tatsächlich zu Unrecht beschuldigt werden, wird sich herausstellen - derzeit weist laut Experten alles darauf hin, dass das Flugzeug von einer Rakete getroffen wurde: Ein durchlöchertes Wrackteil des Jets weist laut derNew York Timesauf einen Raketentreffer hin; Schrapnell-Spuren seien ein Hinweis darauf, dass das Flugzeug durch einen Flugkörper mit Überschallgeschwindigkeit zerstört wurde, sagten Experten des Verteidigungs-Fachverlags IHS Jane's nach Auswertung eines von einemNYT-Fotografen aufgenommenen Trümmerteils.

Unter anderem wurde der abgeplatzte Lack an der Außenseite des vom Flugzeugrumpf stammenden Wrackteils als ein Beleg angeführt. Die Experten vermuten, dass das Flugzeug durch die Rakete eines russischen "Buk"-Flugabwehrsystems getroffen wurde. Die USA verdächtigen prorussische Separatisten, die Zivilmaschine mit einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen zu haben.

Britische Experten sollen Daten aus Flugschreibern sichern

Britische Experten für Flugzeugunglücke sollen nun die Flugschreiber untersuchen. Auf Bitte der Niederlande würden Spezialisten im südenglischen Farnborough die Daten der Blackboxes von Flug MH 17 sichern, damit sie international ausgewertet werden können, teilte Premierminister David Cameron am Dienstag mit. Die Niederlande haben auf Ersuchen Kiews die Leitung der internationalen Untersuchung zur Absturzursache in der Ostukraine übernommen.

Ein belgisches Militärflugzeug wird die Flugschreiber von der Ostukraine nach Großbritannien bringen. Am Nachmittag sei ein Flugzeug vom Typ Embraer vom Brüsseler Militärflughafen Melsbroek Richtung Kiew gestartet, teilte das belgische Verteidigungsministerium dazu mit. An Bord seien Experten und Vertreter der Vereinten Nationen.

Opfer werden am Mittwoch überstellt, Niederlande übernehmen Ermittlungen

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A satellite image shows the crash site of Malaysia Airlines flight MH17 in Ukraine, in this July 20, 2014 DigitalGlobe handout photo. World leaders demanded an international investigation into the shooting down of Malaysia Airlines Flight MH17 with 298 people on board over eastern Ukraine in a tragedy that could mark a pivotal moment in the worst crisis between Russia and the West since the Cold War. REUTERS/DigitalGlobe/Handout via Reuters (UKRAINE - Tags: DISASTER TRANSPORT TPX IMAGES OF THE DAY) ATTENTION EDITORS - THIS PICTURE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY. REUTERS IS UNABLE TO INDEPENDENTLY VERIFY THE AUTHENTICITY, CONTENT, LOCATION OR DATE OF THIS IMAGE. THIS PICTURE IS DISTRIBUTED EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS. NO SALES. NO ARCHIVES. FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. MANDATORY CREDIT
Unterdessen ist der Zug mit den Überresten von 251 Flugzeuginsassen in Charkow angelangt. Niederländische Spezialisten richteten in Charkow ein Koordinierungszentrum für erste Untersuchungen der Opfer ein. Im Malyschew-Panzerwerk in Charkow sollen sich etwa 90 ausländische Experten und 30 Diplomaten für eine erste Untersuchung der Opfer versammelt haben. Bei dem Absturz der Boeing der Malaysia Airlines waren am Donnerstag 298 Menschen ums Leben gekommen, darunter 193 Niederländer. Der Zug war am Vortag von der etwa 300 Kilometer entfernten Stadt Tores losgefahren. Die Stadt bei Donezk wird von prorussischen Separatisten kontrolliert.

Die Niederlande wollen die Opfer so schnell wie möglich außer Landes bringen. "Die Identifizierung geht in den Niederlanden viel schneller", sagte Ministerpräsident Mark Rutte im Parlament in Den Haag. Auf dem Flugplatz von Charkow steht eine Hercules-Maschine der niederländischen Streitkräfte bereit, am Mittwoch sollen die ersten Opfer ausgeflogen werden.

Die niederländische Regierung hat den Mittwoch auch zum nationalen Trauertag erklärt, um die Opfer zu ehren.

Alle 298 Opfer des Absturzes werden dann in den Niederlanden identifiziert. Verantwortlich dafür ist das nationale Team forensischer Ermittlungen der Polizei (LTFO). Die Opfer werden zu einer Kaserne in Hilversum unweit von Amsterdam gebracht. Dort werden die Experten sie nach Regeln von Interpol identifizieren. Herangezogen werden dabei Fingerabdrücke, Gebiss und DNA-Proben. Kriminalbeamte hatten bereits bei den Angehörigen der 193 niederländischen Opfer DNA-Material abgenommen und - soweit möglich - auch Proben der Opfer selbst gesammelt. Außerdem wurden Haus- und Zahnärzte aufgefordert, relevante Patienteninformationen an die Ermittler weiterzugeben. Für die DNA-Analyse ist das Niederländische Forensische Institut bei Den Haag zuständig. DNA-Proben der Leichen werden dort mit dem Material der Angehörigen verglichen. Das international renommierte Institut hatte bereits 2010 DNA-Profile der Opfer des Flugzeugunglücks bei Tripolis in Libyen erstellt. Damals waren 103 Menschen umgekommen, darunter 70 Niederländer. Deren Identifizierung hatte rund 30 Tage gedauert.

Litauens Präsidentin Dalia Grybauskaite hat indes ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof gegen die Verantwortlichen gefordert. "Und diejenigen, die es organisiert haben, die den Befehl gegeben und die, die Waffen geliefert haben, müssen vor das Haager Tribunal", sagte Grybauskaite in einem Radiointerview am Dienstag.

Mehr zu den internationalen Reaktionen auf die Ukraine-Krise lesen Sie hier.

Stellen wir uns vor, über der Ukraine wäre ein russisches Flugzeug abgeschossen worden. Die Führung in Moskau wäre inzwischen auch offiziell, nicht nur mit ihren Geheimdienstlern und Söldnern, im Nachbarland eingefallen. Und die nationalistischen Putin-Freunde in den westlichen Rechtsparteien würden uns erklären, dass der friedliebende Präsident leider nicht anders könne, als sich zu wehren.

Gut, dass NATO, EU und USA vernünftig auf eine restlose Aufklärung der Vorfälle drängen. Schlimm genug, dass Putins Leute in der Ost-Ukraine ohne jegliche Pietät rund um die Absturzstelle gewütet haben. Aber den russischen Präsidenten stört es gar nicht, wie sich die irregulären Truppen beim Nachbarn aufführen und von den Appellen aus dem Westen lässt er sich auch nicht beeindrucken. Deshalb müssen die EU-Außenminister heute die Sanktionen gegen Russland verschärfen.

Wirtschaftssanktionen sind auch für den Westen, gerade für Österreich, unangenehm. Doch was soll nach dem Abschuss einer Zivilmaschine noch passieren? WKÖ-Präsident Christoph Leitl hat zu Putin bei dessen Wien-Besuch gesagt, wirtschaftliche Kooperation gäbe es nur bei gegenseitigem Vertrauen. Aber spätestens jetzt wissen wir, Putin kann man nicht vertrauen. Er reagiert nur auf Druck, wobei der größte Druck auf ihn von den russischen Oligarchen kommen wird, wenn ihre Geschäfte mit dem Westen gefährdet sind.

Putin setzt auf Landgewinne und den Export von Rohstoffen. Der Westen setzt auf Aufklärung und Innovationen. Putin versteht die moderne Welt einfach nicht. Das schadet ihm bei den Oligarchen, die von ihm abhängen und von denen er abhängt, am meisten.

Nach dem Absturz von Flug MH17 in der Ostukraine hat Malaysia Airlines eine Passagiermaschine über den Luftraum des Bürgerkriegslands Syrien fliegen lassen. Flug MH4 von London nach Kuala Lumpur sei am Sonntag wegen der Sperrung des Luftraums über der Ukraine von seiner üblichen Route abgewichen und über Syrien umgeleitet worden, teilte die Airline am Montagabend mit.

Einziger Flug

Die alternative Flugroute sei von der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) genehmigt und der syrische Luftraum auch nicht gesperrt gewesen. Nach Erkenntnissen des Online-Portals Flightradar24 vom Montag war MH4 "der einzige interkontinentale Flug", dessen Route über syrischen Luftraum führte. Wohl auch deshalb stieß die Entscheidung der Fluggesellschaft in sozialen Online-Netzwerken auf Unverständnis. Mehrere Nutzer warfen die Frage auf, ob Malaysia Airlines ein weiteres Flugzeug verlieren wolle. Vor dem Absturz von MH17 mit 298 Toten war im März schon Malaysia-Airlines-Flug MH370 mit 239 Menschen an Bord auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking verschwunden.

Auch im Fall von Flug MH17, der nach Ansicht der ukrainischen Regierung und zahlreicher westlicher Staaten höchstwahrscheinlich durch die von Russland unterstützten Separatisten abgeschossen wurde, hatten Malaysia Airlines und die malaysische Regierung auf die Freigabe der Route durch die ICAO verwiesen. Der internationale Luftfahrtverband IATA nahm die Fluggesellschaft am Dienstag in Schutz: Regierungen und Luftraumdienste würden die Airlines laufend über mögliche Routen und Restriktionen informieren, die Fluggesellschaften würden sich anschließend an die Vorgaben halten. Dies sei auch bei MH17 der Fall gewesen.

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