Kurden werfen IS Giftgas-Einsätze vor

Rauch über Kobane
Augenzeugen berichten von Ohnmacht und Atemnot. Syrische Menschenrechtler widersprechen.

In der umkämpften Stadt Kobane in Syrien an der Grenze zur Türkei werden weitere Gefechte gemeldet. Kurden kämpfen gegen die Extremisten der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) . Sie werfen dem IS außerdem den Einsatz von Giftgas vor. Augenzeugen berichten von Ohnmachtsanfällen, Atemnot, Verbrennungen und tränenden Augen. Es sollen laut Menschenrechtlern allerdings unwahre Gerüchte sein. Tatsächlich soll es sich nämlich um eine Einzelperson handeln: "Ein Allergiepatient litt unter dem durch die Bombardierungen verursachten Rauch", sagte Rami Abdelrahman, Leiter der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, der Deutschen Presse-Agentur. Er sei in der Nacht stationär mit Sauerstoff behandelt worden.

Selbst wenn diese Angaben nicht stimmen, die Ärzte im Krankenhaus von Kobane können laut Spiegel Online gar nicht überprüfen, ob es sich tatsächlich um die Symptome nach einem Giftgas-Angriff handelt. Es fehlen ihnen die Mittel. Laut einer Vertreterin der kurdischen Selbstverwaltung in Kobane sollen die Opfer in ein Krankenhaus in der türkischen Stadt Suruc gebracht werden. Dort soll überprüft werden, um was für eine Substanz es sich handelt.

Seit Monaten haben sich allerdings die Gerüchte gehäuft, dass der IS Chemiewaffen besitzen könnte. Zuletzt berichtete die New York Times, dass sich die Reste des Chemiewaffenprogramms von Saddam Hussein in den Händen des IS befinden könnten.

US-Waffen in den Händen des IS

Das US-Verteidigungsministerium hält es unterdessen für möglich, dass von den 28 abgeworfenen Bündeln mit Waffenladungen mindestens eines versehentlich an den IS gelangte. Pentagonsprecher John Kirby sagte, bestätigen könne er Berichte, nach denen der IS die Waffen in Besitz genommen hat, aber nicht. "Die kurze Antwort ist: Wir wissen es nicht."

Am Montag hatte das Zentralkommando in Florida noch mitgeteilt, dass in der Nähe von Kobane eine herrenlose Ladung Waffen zerstört wurde. Damit wolle man verhindern, dass diese in die falschen Hände geraten. Kirby sagte dagegen am Dienstag, dass das Bündel zwar getroffen worden sei, ob es tatsächlich zerstört wurde, sei aber nicht klar. Selbst wenn ein Bündel sein Ziel nicht erreicht habe, sei die Erfolgsquote der Abwürfe aber äußerst hoch.

IS-Kämpfer präsentieren deutsche Handgranaten

Kämpfer der Terrormiliz haben allerdings auf einem im Internet hochgeladenen Video deutsche Handgranaten älterer Bauart präsentiert. Auf den Aufnahmen packen sie die Granaten aus, deren Behälter die Aufschrift "DM41" tragen - die Typbezeichnung eines älteren deutschen Fabrikats. Unklar ist, aus welchen Beständen die Waffen stammen und wie sie den Weg nach Syrien gefunden haben.

Auf dem am Dienstag im Internet hochgeladenen Video zeigen Extremisten zunächst eine auf einem Feld niedergegangene Fallschirmladung. Die USA hatten zu Wochenbeginn Waffen aus kurdischen Beständen für die Verteidiger der nordsyrischen Stadt Kobane abgeworfen. Nach Angaben der syrischen Beobachtungsstelle landete mindestens ein Waffenabwurf in den Händen des IS.

Ein deutscher Bundeswehrsprecher sagte am späten Dienstagabend der Nachrichtenagentur dpa, Granaten des im Video gezeigten Typs seien nicht kürzlich an die kurdischen Peschmerga-Einheiten im Nordirak geliefert worden. Vielmehr hätten die Kurden dort das Nachfolgemodell "DM51" erhalten. Die Bundeswehr hatte die Kurden im Irak im Kampf gegen den IS mit Waffen ausgestattet. Über die "DM41"-Granaten hatte zuvor der Blog-Autor Thomas Wiegold geschrieben.

Die Kurden in Kobane wollten dagegen keine Angaben dazu machen, ob in der von den USA abgeworfenen Waffenlieferung auch deutsche Waffen enthalten waren. Der Verwaltungschef von Kobane, Anwar Muslim, sagte der Nachrichtenagentur dpa am Dienstag auf Anfrage per Telefon, er wolle dazu keine Auskunft geben, weil es sich um eine militärische Angelegenheit handle. Die deutschen Waffenlieferungen an die Peschmerga waren vor knapp einem Monat angelaufen.

Medien: Assad-Regime soll Kobane mit Waffen beliefert haben

Auch das Regime des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad soll den kurdischen Verteidigern in Kobane angeblich Waffen geliefert haben. Die bedrängte Enklave sei von der Armee "militärisch und logistisch sowie mit Munition und Waffen" unterstützt worden, sagte der syrische Informationsminister Omran al-Zoubi (Umran al-Saubi) laut der Agentur SANA. Die Aussagen fielen laut der syrischen Nachrichtenagentur am Mittwoch im Staatsfernsehen. Von kurdischer Seite gab es zunächst keine Bestätigung.

Nach Angaben Al-Zoubis lieferten Flugzeuge der syrischen Luftwaffe die Waffen nach Kobane. "Ayn al-Arab ist syrisches Gebiet, und die Menschen dort sind unsere Menschen", sagte der Minister unter Verwendung des arabischen Namens für die Stadt Kobane. Im seit mehr als drei Jahre andauernden syrischen Bürgerkrieg war das Regime bisher Gegner der im Norden kämpfenden kurdischen Volksschutzeinheiten (YPG).

FBI stoppt drei US-Mädchen

Drei minderjährige Mädchen aus den USA, die sich in Syrien offenbar der Terrormiliz IS anschließen wollten, sind indes am Frankfurter Flughafen gestoppt worden. Sie seien zurück nach Denver im US-Staat Colorado zu ihren Eltern gebracht worden, sagte eine FBI-Sprecherin am Dienstag. Laut Berichten von US-Medien handelt es sich um zwei Geschwister im Alter von 15 und 17 Jahren sowie eine 16-Jährige aus einer weiteren Familie. Zwei von ihnen hatten den Berichten zufolge vorgetäuscht, krank zu sein, seien nicht zur Schule gegangen und hätten dann 2000 Dollar (1.570 Euro) von ihren Eltern genommen und sich abgesetzt. Diese alarmierten die Polizei, als sie merkten, dass Geld und Pässe fehlten. Ob die drei beim IS eine Kontaktperson haben, blieb zunächst unklar. Eine Anklage auf US-Bundesebene scheint unwahrscheinlich.

Die USA haben nun alle Staaten zu verstärkten Bemühungen aufgerufen, um die Ausreise einheimischer Islamisten in den Krieg im Irak und in Syrien zu verhindern. "Jeder auf der Welt kann mehr tun, um den Einsatz ausländischer Kämpfer dort zu verhindern", sagte US-Außenminister John Kerry nach einem Treffen mit seinem deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch in Berlin.

Das Vorgehen der Extremistenmiliz gegen die irakische Volksgruppe der Jesiden könnte nach Einschätzung der Vereinten Nationen als versuchter Völkermord gewertet werden. Dafür sprächen einige Fakten, sagte der für Menschenrechte zuständige UN-Diplomat Ivan Simonovic am Dienstag in New York nach einer Reise in das Land.

Die Islamisten wollten die religiöse Gruppe vernichten: Die Jesiden müssten entweder zum Islam übertreten oder würden getötet, sagte Simonovic. Der IS betrachtet die Jesiden als Teufelsanbeter. Tausende Angehörige der Minderheit sind erschossen, lebendig begraben oder als Sklavinnen verkauft worden. US-Präsident Barack Obama hatte im August Luftangriffe auf IS-Stellungen im Irak angeordnet, um nach seinen Aussagen einen bevorstehenden Völkermord zu verhindern. Seit dieser Woche sind erneut Tausende Jesiden in Bedrängnis, weil der IS in der Nähe des Höhenzuges Sinjar im Nordirak gegen sie vorrückt. Die Minderheit bat deswegen die USA erneut um Hilfe.

Soviel Solidarität hatte der irakische Ministerpräsident bei seinem ersten Besuch in Teheran nicht erwartet. Haidar al-Abadi wurde von allen Seiten in Teheran uneingeschränkte Unterstützung zugesichert. Der Iran werde für den Irak alles tun, was in seiner Macht stehe, sagte Irans oberster Führer Ali Khamenei. Von Präsident Hassan Rohani erhielt Al-Abadi das Versprechen, der Iran werde bis zum Ende neben ihm und seinem Land stehen.

Kaum vorstellbar, dass die beiden Länder einst Erzfeinde gewesen sind. Von 1980 bis 1988 führten sie einen brutalen achtjährigen Krieg. Auf beiden Seiten starben in diesem Krieg eher vorsichtigen Schätzungen zufolge insgesamt mehr als eine halbe Millionen Menschen. Das damalige Baath-Regime von Präsident Saddam Hussein im Irak setzte gegen Ende des Krieges sogar Giftgas ein. Mehr als 100.000 frühere iranische Soldaten leiden bis heute an den Folgen der Giftgasangriffe.

Schulter an Schulter gegen IS

Nun stehen beide Länder vor einem neuen Krieg. Nur diesmal nicht gegeneinander, sondern gemeinsam Schulter an Schulter. Grund für diese neue Koalition ist die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). Der IS beherrscht inzwischen in Syrien und im Irak etwa je ein Drittel der Landesfläche. Wegen seiner Grenzen zum Irak und der Feindschaft mit den Schiiten im Iran gehört die Bekämpfung der Terrormiliz auch zu Teherans strategischen Zielen. "Der IS ist ein regionales, wenn nicht globales Problem, das daher auch gemeinsam bekämpft werden müsste", sagte Rohani.

Teheran hat die Entsendung von Militärberatern für die irakischen Streitkräfte und die kurdischen Peschmerga-Kämpfer bereits bestätigt. Der Iran soll auch eines der ersten Länder sein, die die Kurden im Nordirak im Kampf gegen den IS mit Waffen beliefert haben. Auch von direkter militärischer Präsenz war die Rede, was die iranische Führung jedoch stets energisch dementiert hat.

Der Iran mit seiner mehrheitlich schiitischen Bevölkerung will aber nicht den Eindruck erwecken, dass es sich bei dem Kampf gegen den IS um einen religiösen Konflikt handle. Die Krise sei für Teheran kein Politikum, sondern in erster Linie eine menschliche Tragödie. "Die Diskussionen um Sunniten und Schiiten oder Araber und Kurden ist in der derzeitigen Situation völlig absurd", sagte Khamenei.

Die Bedrohung durch den IS hat nicht nur für die iranisch-irakische Annäherung gesorgt. "In der Krise kann es auch noch zu einem weiteren Schulterschluss zweier ehemaliger Erzfeinde kommen", meint ein arabischer Diplomat in Teheran. Der Iran nähert sich derzeit dem "Großen Satan" USA an. Für Ministerpräsident Al-Abadi ist eine Zusammenarbeit mit Washington eine Notwendigkeit. Politische Differenzen sollten deshalb beiseitegelegt werden. Vorerst zumindest.

Nicht umsonst gab es während der vergangenen Monate nach Jahrzehnten politischer Feindschaft mehrere Treffen der Außenminister der USA und des Irans. Das nächste ist für Anfang kommenden Monats geplant. Angeblich soll es dabei nur um den Streit über das iranische Atomprogramm gehen. Aber der Kampf gegen die Terrormiliz dürfte auch besprochen werden. Es soll sogar indirekte Kontakte zwischen den Präsidenten beider Länder geben. "Wenn die Amerikaner uns diesbezüglich etwas zu sagen haben, werden wir natürlich zuhören", sagt Rohani.

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