Irak bittet USA um Luftangriffe
Die irakische Regierung hat die USA nun auch offiziell gebeten, sie im Kampf gegen die ISIS-Jihadisten mit Luftangriffen zu unterstützen. Bagdad habe gemäß einem Sicherheitsabkommen zwischen den beiden Ländern um "Luftschläge gegen die Terroristengruppen" angesucht, sagte der irakische Außenminister Hoshjar Sebari am Mittwoch im saudi-arabischen Jeddah. Die Terrorgruppe hatte zuvor ihre Offensive ausgeweitet und die größte Raffinerie des Landes in Baiji angegriffen. "Islamischer Staat im Irak und der Levante" (ISIS) hatte vergangene Woche in einer Blitzoffensive Mossul und die umliegende Provinz Ninive sowie Teile der angrenzenden Provinzen in ihre Gewalt gebracht. Vielerorts zog sich die Armee kampflos zurück, zahlreiche Soldaten desertierten.
Auch am Mittwoch nahmen die Islamisten nach eigenen Angaben mehrere Dörfer in der ostsyrischen Provinz Deir el-Zor ein und rückten im Norden des Landes näher an die Stadt Aleppo heran. Der kurdische Präsident ruft indes Ex-Peschmerga-Soldaten aus dem Ruhestand, um gegen ISIS zu kämpfen. Anhänger verbreiteten am Mittwoch via Twitter, die Miliz sei bis nach Tal Jijan vorgerückt.
Tal Jijan liegt rund 30 Kilometer nordöstlich von Aleppo. Die Region soll lange Zeit in Händen der islamistischen Al-Nusra-Front gewesen sein. ISIS kämpft im Norden und Osten Syriens gegen das Assad-Regime, vor allem jedoch auch gegen Islamistengruppen wie die Nusra-Front und andere syrische Rebellen. Fest unter ISIS-Kontrolle ist bereits die Provinz Raqqa östlich von Aleppo
Öl-Raffinerie gestürmt
Mit der Erstürmung der Raffinerie in Baiji schürten die Terroristen auch Sorgen um die weltweite Ölversorgung (siehe Hintergrund). Den Kämpfern sei es gelungen, in die Anlage einzudringen, sagte ein Raffinerie-Vertreter, der sich in dem Komplex aufhielt.
Im zentralen Kontrollraum lieferten sich die Extremisten weiterhin Kämpfe mit Sicherheitskräften. Erst am Dienstag waren die letzten deutschen und österreichischen Siemens-Mitarbeiter aus dem Rebellengebiet in Sicherheit gebracht worden. Es war vor allem befürchtet worden, dass sie Opfer einer Geiselnahme werden könnten.
Die indische Regierung erklärte, sie habe den Kontakt zu 40 Staatsbürgern in der Stadt Mossul verloren. Die Zeitung Times of India berichtete, die Bauarbeiter seien von ISIS-Kämpfern verschleppt worden. Die Regierung wollte dies weder bestätigen noch dementieren. Laut einem Bericht der türkischen Nachrichtenagentur Dogan wurden zudem 15 Türken entführt.
Irakische Luftangriffe
Ein Angestellter der Raffinerie sagte, die Beschäftigten seien geflohen. Mehrere Soldaten seien bei den Kämpfen getötet oder verletzt worden. Nach Angaben der Nachrichtenagentur All Iraq reagierten irakische Regierungstruppen mit Luftangriffen auf Stützpunkte der sunnitischen Extremisten. Die Raffinerie war am Vorabend wegen des Vormarschs der Jihadisten geschlossen worden.
Rohani kündigt Unterstützung an
Der Iran droht in den Krieg im benachbarten Irak einzugreifen. Der iranische Präsident Hassan Rohani sprach von "Mördern und Terroristen", gegen die es heilige Stätten in irakischen Orten wie Kerbala, Najaf und Samarra zu verteidigen gelte. Noch am Samstag hatte Rohani erklärt, die Teheraner Regierung habe keine Truppen in den Irak geschickt und werde dies sehr wahrscheinlich auch nie tun. Westliche Diplomaten gehen dagegen davon aus, dass der Iran Militärberater der Elite-Einheit der Revolutionären Garden ins Nachbarland entsandt hat.
Saudi-Arabien: Bürgerkrieg droht
Rohanis Äußerungen riefen umgehend den Erzfeind Irans in der Region, das sunnitische Machtzentrum Saudi-Arabien auf den Plan.Außenminister Prinz Saud al-Faisal warnte vor einer internationalen Einmischung in den Konflikt. Die legitimen Forderungen des Volkes und der Wunsch nach nationaler Einheit müssten erfüllt werden, ohne dass die politische Agenda von außen bestimmt werde.
Der Konflikt trage immer mehr die Züge eines Bürgerkriegs und die Folgen für die gesamte Region seien kaum absehbar, sagte der Minister am Mittwoch bei einem Treffen arabischer und muslimischer Regierungsvertreter in Jeddah.
Der Irak war drauf und dran, sich wieder zur veritablen Ölmacht zu entwickeln. Doch jetzt gefährdet der Terror und Vormarsch der ISIS-Milizen die wichtigste Industrie des Landes. Die Folgen sind schon jetzt weltweit zu spüren.
2011 stammten 95 Prozent der irakischen Staatseinnahmen aus dem Ölgeschäft. Selbst im Vergleich zu anderen Erdölproduzenten im Nahen Osten ist der Staatshaushalt damit sehr von den Öleinnahmen abhängig. Die IEA warnt nun vor den Folgen des aktuellen Konflikts auf die Ölförderung. Ursprünglich war sie davon ausgegangen, dass der Irak bis 2019 das Land innerhalb der Organisation erdölexportierender Länder (OPEC mit dem größten Kapazitätszuwachs sein werde. Mit Blick auf die prognostizierte Ausweitung der irakischen Fördermenge um 1,28 Millionen Barrel (je 159 Liter) pro Tag bis 2019 spricht die IEA nun aber von "erheblichen Abwärtsrisiken".
3,3 Millionen Barrel Öl täglich
Dabei war der Irak - was die Ölförderung angeht - bis vor kurzem auf einem guten Weg. Es gab zwar täglich Anschläge und bewaffnete Übergriffe in dem Land - doch die Industrieanlagen blieben bis auf wenige Ausnahmen davon verschont. Im Mai förderte der Irak rund 3,3 Millionen Barrel täglich und war damit der zweitgrößte OPEC-Produzent hinter Saudi-Arabien. Im ersten Quartal 2014 lieferte das Land vier Prozent der weltweiten Ölproduktion.
Aus dem Norden des Iraks wurde wegen der Unruhen in der Provinz Anbar allerdings schon seit Wochen kein Rohöl mehr exportiert - Isis hatte sich dort schon im Jänner festgesetzt. Ferner wurde eine wichtige Pipeline bei einem Anschlag beschädigt. Über die Verbindung von Kirkuk nach Ceyhan in der Türkei wurde ursprünglich Öl aus den Ölfeldern im Nordirak auf die Weltmärkte gepumpt.
Seitdem stammen praktisch sämtliche Ölexporte aus Terminals in der Region um die südliche Stadt Basra. Beobachter gehen zwar nicht davon aus, dass die sunnitische Terrorgruppe Isis auch die Kontrolle über den überwiegend von Schiiten bewohnten Süden erlangen kann. Doch schon Unruhen in Bagdad würden die irakische Ölbranche nach Experteneinschätzung erschüttern, da dort viele Fäden zusammenlaufen. Wegen der unklaren Sicherheitslage haben Ölfirmen nach Beobachtung der Commerzbank damit begonnen, ausländisches Personal aus dem Irak abzuziehen.
"Komplettausfall schwer verkraftbar"
"Ein kompletter Ausfall der irakischen Ölexporte wäre mittelfristig für den Weltmarkt schwer zu verkraften", sagt Alexander Pögl vom Energieberatungsunternehmen JBC in Wien. Saudi-Arabien könnte die Ausfälle zwar teilweise kompensieren, Preissprünge auf mehr als 150 US-Dollar pro Barrel seien jedoch im schlimmsten Fall denkbar. "Auch Europa importiert Öl aus dem Irak", sagt Pögl. "Wenn der Preis zu hoch würde, müsste man sich nach Alternativen umschauen."
Nach Einschätzung des OPEC-Chefs Abdalla Salem El-Badri hat die Krise im Irak erst angefangen, treibt jedoch schon jetzt die Ölpreise in die Höhe. "Es geht um viel", sagte er bei einem Treffen von Öl- und Gasexperten in Moskau. Ein Barrel der Nordseemarke Brent zur Lieferung im August kostete am Mittwoch 113,55 US-Dollar und lag damit elf Cent über dem Preis vom Vortag und deutlich über dem bisherigen Jahresschnitt.
Nach Ansicht vieler Experten müsste die OPEC ihre Erdölproduktion von derzeit knapp 30 Millionen Barrel pro Tag in der zweiten Jahreshälfte auf etwa 30,7 Millionen erhöhen, um die weltweite Nachfrage zu decken. Ursprünglich setzten sie dabei große Hoffnungen auf den Irak. Denn die OPEC-Mitglieder Libyen, Nigeria und Iran bleiben bereits wegen innenpolitischer Unruhen oder internationaler Sanktionen deutlich unter ihren Exportmöglichkeiten. Doch die Zukunft des Iraks ist derzeit mehr als ungewiss.
Nach den Schreckensmeldungen aus dem Irak schicken die USA jetzt eine 275 Mann starke Spezialeinheit des Militärs in das Land. Barack Obamas Auftrag an die Soldaten? Der Schutz der US-Botschaft und der dort arbeitenden Amerikaner. Sie seien aber auch "für Kampfeinsätze ausgerüstet", schrieb Obama am Montag an den Kongress. "Diese Einheit wird im Irak bleiben, bis die Sicherheitslage es nicht länger erfordert", hieß es in dem Schreiben.
Die Einheiten würden bei der Verlegung von Botschaftspersonal von Bagdad in die Konsulate in Erbil und Basra sowie nach Amman in Jordanien helfen. Die Botschaft in Bagdad werde aber nicht geschlossen und die meisten Mitarbeiter würden dort bleiben. Der irakische Regierungschef Nuri al-Maliki habe der Entsendung der US-Soldaten zugestimmt. Im Irak wurden am Dienstag auch mehrere Armeekommandanten entlassen.
5000 Iraner zum Kampf gemeldet
Nach ersten Angaben warten die in Einheiten zusammengefassten Freiwilligen auf den Befehl von Irans geistlichem Oberhaupt Ayatollah Ali Khamenei zum Einsatz im Irak. Das geistliche Oberhaupt der irakischen Schiiten, Ayatollah Ali al-Sistani, hatte die Iraker bereits Ende vergangener Woche aufgerufen, sich der Armee im Kampf gegen die sunnitischen Jihadisten der Organisation Islamischer Staat im Irak und in Großsyrien (ISIS) anzuschließen.
Annäherungen an den Iran?
Über die Krise berieten am Montagabend erstmals auch Vertreter der USA und des Iran, nachdem die Erzfeinde ihre Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit gegen die Extremisten signalisiert hatten. US-Außenamtssprecherin Marie Harf sagte dem Nachrichtensender CNN, es habe in Wien eine "kurze Diskussion" gegeben. Beide Seiten hätten "ein gemeinsames Interesse", dass die militanten Islamisten "im Irak nicht mehr Fuß fassen können". Es bleibe aber abzuwarten, ob die Gespräche mit den Vertretern Teherans fortgesetzt würden.
UNO schickt Personal zurück
Nach der jüngsten Eskalation der Gewalt im Irak ziehen die Vereinten Nationen einen Teil ihres Personals aus der Hauptstadt Bagdad ab. 58 Mitarbeiter würden das Land verlassen, sagte ein UN-Sprecher am Montag in New York. Für weitere der insgesamt 200 Mitarbeiter gebe es ebenfalls Pläne, sie demnächst abzuziehen und vorübergehend an sicherere Orte zu bringen.
Anschlag in Bagdad
Bei einem Bombenanschlag in Bagdad wurden am Dienstag mindestens elf Menschen getötet und mehr als 20 weitere verletzt. Nach Angaben von Ärzten und Sicherheitskräften explodierte der in einem Fahrzeug versteckte Sprengsatz auf einem Markt im mehrheitlich schiitischen Stadtteil Sadr City im Norden der irakischen Hauptstadt.
Bei fünf weiteren Bombenanschlägen in Bagdad wurden sechs Menschen getötet und 14 weitere verletzt. Beim Beschuss der Stadt Falluja westlich von Bagdad starben vier Menschen. Falluja wird seit mehr als fünf Monaten von Gegnern der irakischen Regierung, darunter ISIS-Einheiten, gehalten.
Die Vereinten Nationen werfen der ISIS Massenhinrichtungen vor. Es sei fast sicher, dass mit der ISIL verbündete Kämpfer Kriegsverbrechen begangen hätten, indem sie Hunderte nicht am Kampf beteiligte Männer getötet hätten, teilte die UNO-Menschenrechtsbeauftragte Navi Pillay in Genf mit.
Kämpfe bis nach Syrien
Die nordirakische Stadt Tal Afar ist nach Angaben eines Regierungsvertreters nach heftigen Kämpfen weitgehend an die Aufständischen gefallen. Bei den Gefechten um die mehrheitlich schiitische Stadt, die auf einem strategisch wichtigen Korridor nach Syrien liegt, seien dutzende Kämpfer und Zivilisten getötet worden, sagte der Provinzrats-Vizevorsitzende von Ninive, Nuriddin Kabalan, am Dienstag.
Im Osten Syriens haben sich Kämpfer der ISIS Aktivisten zufolge außerdem heftige Kämpfe mit anderen Rebellen geliefert. Die ISIS-Kämpfer hätten am Montag in der östlichen Grenzprovinz Deir al-Zor (Deir Ezzor) "vorzurücken versucht", doch habe es schwere Kämpfe mit rivalisierenden Aufständischen gegeben, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Dienstag. ISIS liegt seit Jänner im offenen Konflikt mit anderen islamistischen und moderaten Rebellengruppen in Syrien, die der Gruppe die brutale Verfolgung ihrer Gegner vorwerfen.
Türkei verhängt Nachrichtensperre wegen ISIS-Entführungen
Die türkische Justiz hat eine Nachrichtensperre für Berichte im Zusammenhang mit der Entführung türkischer Diplomaten durch sunnitische Jihadisten im Nachbarland Irak verhängt. Ein Gericht in Ankara begründete den Schritt mit dem notwendigen Schutz der Sicherheit für die Betroffenen, wie die türkische Medienaufsichtsbehörde RTÜK am Dienstag mitteilte. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan warf der Opposition und regierungskritischen Medien vor, das Thema für politische Zwecke ausbeuten zu wollen und so Menschenleben zu gefährden.
Kämpfer der Gruppe ISIS hatten vergangene Woche knapp 50 Menschen im türkischen Generalkonsulat der nordirakischen Stadt Mossul als Geiseln genommen. Zudem befinden sich rund 30 türkische Lastwagenfahrer in der Gewalt der Extremisten.
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