Der Krise die kalte Schulter zeigen

Gern gesehen: Touristen im wirtschaftlich schwächelnden Griechenland. Heuer werden bis zu 25 Million Gäste erwartet – ein Rekord. Im Vorjahr trug der Tourismus mit 16,4 Prozent zur Wirtschaftsleistung bei.
Reportage: Die im Tourismus beschäftigten Griechen hoffen trotz schlechter Zeiten auf einen Aufwärtstrend.

Jeden Morgen um vier Uhr früh fährt Agorastos mit seinem Boot aufs Meer hinaus. Aus den tiefblauen Gewässern vor seinem Heimatdorf Kinira, an der Ostküste der grünen Insel Thassos, lässt sich immer reichlich Fang nach Hause bringen. Oktopus, Kalamari, Fisch – wenige Stunden später landet alles auf dem Tisch seiner Gäste. Seine Frau kocht, Tochter Thalia und Sohn Saki führen die Taverne, dank der sich die ganze Familie einigermaßen heil durch Griechenlands ökonomische Erschütterungen manövriert.

"Früher hatten wir mehrere Angestellte, das geht jetzt nicht mehr."

"Nur als Familienbetrieb kann man die Krise überstehen", schildert Thalia. "Früher hatten wir mehrere Angestellte, das geht jetzt nicht mehr." Sechs Jahre Rezession hat Griechenland hinter sich. Sechs Jahre, die ein Viertel aller Griechen arbeitslos machte (Jugendarbeitslosigkeit: 49,5 Prozent); die das Land an den Rand der Staatspleite trieben; und die im Durchschnitt jede griechische Familie ein Drittel ihres Einkommens kostete.

Der Krise die kalte Schulter zeigen
Thassos
Jammern will die im deutschen Essen geborene Griechin Thalia trotzdem nicht: "Ich bin Optimistin, wir schaffen das." Und das vor allem dank der vielen Touristen, die heuer in so großer Zahl wie noch nie in Griechenland erwartet werden. 25 Millionen Besucher sollen es 2015 werden, der Tourismus trägt mit 16,4 Prozent zu Hellas’ Wirtschaftsleistung bei.

Zurück ins Dorf

Touristen aus dem Ausland: Darauf hofft auch Chalalampos Kotsoridis. Der 55-jährige Grieche, der früher in Bielefeld gearbeitet hat und gut Deutsch spricht, betreibt ein Gästehaus im Bergdorf Papigo nahe der Grenze zu Albanien. Griechische Urlauber kommen seit Jahren immer weniger. "Sie müssen sparen", sagt Kotsoridis. Dafür kehren ausgewanderte Einheimische ins Dorf zurück, wie sein Sohn Achilles. Er hat jahrelang als Lkw-Fahrer in Saloniki gearbeitet. "Die Bezahlung wurde immer weniger. Das reichte nicht mehr, um in der Stadt zu überleben", erzählt der junge Mann, der Frau und Kind zurückgelassen hat. Jetzt ist er Wanderführer in Papigo, besteigt mit Touristen die umliegenden Berge oder durchquert die berühmte Vikos-Schlucht.

Achilles ist nicht der einzige, der der Stadt aus wirtschaftlichen Gründen den Rücken gekehrt hat. "Papigo wächst wieder", erzählt sein Vater. 75 Einwohner leben heute wieder in dem Bergdorf, vor wenigen Jahren waren es nur noch 60. Sogar die Volksschule hat wieder aufgesperrt. "Wir versuchen hier, uns mit neuen Angeboten für die Touristen eine Lebensbasis zu schaffen", sagt Achilles. Von der Regierung im fernen Athen sei dagegen nichts zu erwarten.

Weg aus Athen und zurück in seine Heimat Trikala nahe der Meteora-Klöster hat die Krise auch Samouris Thanassis getrieben. Der junge Mann bietet in der 80.000- Einwohner-Stadt Trekking und Klettern rund um Meteora an. "Ich mache das allein, ohne Partner. So komme ich einigermaßen durch", sagt er. Die Preise, die er für seine Touren verlangt, seien tiefer als vor der Krise. "Ich möchte auch griechische Touristen bedienen. Aber da kann ich nicht so viel verlangen", lautet seine Begründung.

Wie Thanassis versuchen viele junge Griechen, sich selbstständig zu machen, um finanziell zu überleben. In Trikala ist dies allerorts sichtbar. Die Straßen im Zentrum sind voll von Cafés und kleinen Restaurants. "Die meisten gab es vor vier Jahren noch nicht", betont Samouris. Und zu später Stunde füllen sich die Lokale auch – durchwegs mit Einheimischen. Viele von ihnen konsumieren allerdings nur wenig, ein Glas Wein oder ein Bier über den Abend hinweg.

Preise niedrig

Sie halte die Preise möglichst niedrig, sagt Nana Boussia, die 30-jährige Chefin eines kleinen Hotels mit Restaurant am Rande von Trikala, "damit auch die Einheimischen essen gehen könnten". Boussia ist seit Jahren gewohnt, zu kämpfen. Mit dem Bau des Hotels kam ihre Familie mitten in die Krise hinein. "Wir mussten aber fertig bauen und das Hotel eröffnen. Wir hatten Kredite zu bedienen."

Taxifahrer Stavros erhält sich indessen seine Lebensfreude mit der Arbeit mit seinen Olivenbäumen. 100 Stück hat er von seinem Vater geerbt. Die bringen ihm jährlich 500 Liter Olivenöl, zu verdienen sind damit insgesamt 1500 Euro. Nicht mehr als ein Zubrot also zu einem Jahresverdienst, der sich von früher 45.000 Euro nun halbiert hat. Gleichzeitig sind alle Kosten, mit denen der Staat versucht, die leeren Kassen wieder zu füllen, explodiert: Steuern, Abgaben, Benzin, Versicherungen. "Was bleibt zum Leben übrig?"

"Schauen, was noch kommt."

Der Krise die kalte Schulter zeigen
Greek Prime Minister Alexis Tsipras looks on during a parliamentary session in Athens May 8, 2015. Tsipras expressed optimism on Friday that Athens would soon reach a deal with its foreign lenders that will unlock further aid under its EU/IMF bailout. REUTERS/Alkis Konstantinidis TPX IMAGES OF THE DAY
Der neuen, linkenSYRIZA-Regierung will er so wie die meisten Griechen dennoch noch eine Chance geben. "Tsipras ist ja noch nicht so lange Regierungschef, mal schauen, was da noch kommt."

Er selbst bleibt jedenfalls großzügig. 53,96 Euro machen die Kosten für die lange Fahrt aus. Ungefragt drückt er den Fahrgästen die Rechnung in die Hand und sagt: "Geben Sie mir 50 Euro, das passt dann schon."

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