Gewaltforscher: Berichte über Täter wirken als Verstärker für Radikalisierung
Man kann davon ausgehen, dass die Taten der vergangenen Tage in Deutschland einen weiteren Verstärker-Effekt nach sich ziehen. "Derartige Taten können wie ein Trigger bzw. Verstärker wirken. Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit von Nachahmungstaten steigt, wenn allzu offen über die Täter und ihre Biografie berichtet wird", erläuterte der deutsche Gewaltforscher Nils Böckler.
Worin sich Amokläufer und Attentäter ähnlich sind
"Man kennt dies auch aus der Suizidforschung als den sogenannten Werther-Effekt", so der Experte im Gespräch mit der APA. In ihren narzisstischen Tendenzen haben Amokläufer und ideologisch radikalisierte Attentäter Berührungspunkte: Beide wollen sich nicht als gestörte Massenmörder, sondern als Attentäter mit einer Botschaft verstanden wissen. Was terroristische Einzeltäter jedoch bedrohlich macht, fasste Böckler zusammen: "Die Radikalisierungsdauer nimmt immer mehr ab und somit bleibt den Behörden immer weniger Zeit zur Intervention."
"Die Ursache dafür ist, dass die Inhalte immer leichter im Netz zu finden sind. Der IS hat es geschafft, seine Lebenswelten auf den Westen zu übertragen, die so für potenzielle Täter leichter verfügbar sind", sagte der am Institut für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt tätige Experte.
Ideologie wird im Internet bereitgestellt
"Al Kaida oder IS planen ihre Taten nicht mehr bis ins Detail, sondern versorgen die Ausführenden mit Ideologie, Motivation und einer vermeintlich moralischen Rechtfertigung", nannte der Psychologe eine weitere beunruhigende Tatsache. Die Terrororganisation feiern dann die Täter im Westen als Märtyrer und rufen dazu auf, es diesen gleich zu tun." Und diese Täter haben wiederum eines gemeinsam: "Ob in Würzburg, Nizza oder nun in Ansbach: Wir haben jeweils einen Menschen vor uns, der sich entweder der Gesellschaft entfremdet hat oder in dieser noch nicht Fuß gefasst hat. Dann kommt jeweils die Ideologie ins Spiel, die Sinn vermittelt und es erlaubt, die Gewalt aus einem Opferstatus heraus zu rechtfertigen.
"Amoklauf von Columbine 1999 ist hier die Blaupause"
Minderwertigkeitsgefühle kompensieren
Wiederum ist Attentätern, die als sogenannten "Lone Actors" allein agieren, und Amokläufern gemein, dass sie jeweils antizipieren, was nach ihren Taten passieren wird - etwa wie die Medien über sie berichten werden. Beide wollen auch ihre Minderwertigkeitsgefühle kompensieren. Während jedoch beim Attentäter eine gewisse Nähe zur Ideologie notwendig ist - ein falsches Gefühl der Rückkehr "zu den Wurzeln" -, ist besonders beim werdenden Schulamokläufer die oft zufällige Begegnung mit dem Thema Auslöser: "Bei der Auseinandersetzung werden dann Ähnlichkeiten mit der Lebensgeschichte erkannt, Fixierung und Identifizierung sind die Folge", erläuterte der Experte. Dass sich diese Täter oft als Mobbingopfer erleben, obwohl sie es in vielen Fällen gar nicht sind, ist im übrigen ebenfalls Resultat der narzisstischen Tendenzen, die dazu führen, das Umfeld als kränkend zu erleben.
Bei potenziellen Attentätern ist wiederum ein gemeinsamer Nenner, dass sie eine Krisenerfahrung durchleben, bei denen ihre herkömmlichen Deutungsmuster nicht mehr funktionieren - dann können Terrororganisationen für ein radikale "Neuorientierung" sorgen. "Auslöser kann ein neuer kultureller Kontext sein, wie es auch eine Lebenskrise sein kann, etwa wenn ein nahestehender Mensch stirbt", erklärte Böckler.
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