Ein Vitaminstoß für mehr Wachstum

Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat sich die Vorschläge der Wirtschaftsexperten genau angehört.
Die deutschen Ökonomen Marcel Fratzscher und Peter Bofinger erklären, wie man Investitionen ankurbelt.

Wie kann Europa aus dem Teufelskreis der Krise entkommen? Auf diese Frage geben der Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sowie der streitbare deutsche Wirtschaftsweise Peter Bofinger Antworten. Einig sind sie sich im zentralen Punkt: Eine europäische Wachstums- und Beschäftigungsinitiative ist nötig.

Ein Vitaminstoß für mehr Wachstum
kba
"Die größte Schwäche für Unternehmen in der gesamten Eurozone sind die niedrigen Investitionen", sagt Fratzscher. Das DIW hat eine Investitionslücke von zwei Prozent des BIP, das sind 200 Milliarden Euro jährlich, für die Eurozone errechnet.

Private Investitionen

Der Professor an der Humboldt-Universität in Berlin und Berater von Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) sieht den Schlüssel für einen wirtschaftspolitischen Impuls bei privaten Investitionen.

"Nur ein Anstieg privater Investitionen stärkt sowohl die Angebotsseite als auch die Nachfrageseite der Volkswirtschaften. Mehr Investitionen führen zu mehr Produktivität, Innovation, zu mehr Jobs und höherem Einkommen."

Ein Vitaminstoß für mehr Wachstum
Redaktionshinweis: Verwendung des Fotos nur zur redaktionellen Berichterstattung und bei Nennung "DIW Berlin" +++ Der Leiter der Abteilung Internationale wirtschaftspolitische Analysen bei der Europaeischen Zentralbank (EZB), Marcel Fratzscher, aufgenommen am Mittwoch (18.07.12) in Frankfurt am Main. Das renommierte Berliner Wirtschaftsforschungsinstitut DIW bekommt einen neuen Vorsitzenden. Der Oekonom Marcel Fratzscher soll auf Gert Wagner folgen. Diesen Vorschlag hat die Findungskommission dem Kuratorium des DIW unterbreitet, wie am Dienstagabend (17.07.12) mitgeteilt wurde. (zu dapd-Text) Foto: DIW Berlin/dapd
Um Europa global wettbewerbsfähig zu machen, braucht es laut Fratzscher eine europäische Investitionsagenda, die drei Elemente enthält: Das erste ist eine Verbesserung von Wettbewerb und die entschiedene Umsetzung struktureller Reformen.

Das zweite Element ist eine expansivere Fiskalpolitik. Die Regierungen sollten diese für öffentliche Investitionen nutzen, um die Produktivität der Wirtschaft zu verbessern. Öffentliche Mittel sollten aber auch dafür verwendet werden, Arbeitsplätze für Unternehmen durch Senkung von Steuern und Abgaben günstiger zu machen.

Der DIW-Chef ist dafür, den Stabilitäts- und Wachstumspakt einzuhalten. Es geht darum, das schwache Vertrauen der Unternehmen und Menschen in Europa nicht weiter zu schwächen.

Als drittes Element fordert Fratzscher die Finanzierung privater Investitionen durch einen Investitionsfonds, der bei der EU angesiedelt ist. Dieser Fonds könnte einen Teil der Kreditrisiken für Banken, die Kredite an kleine und mittlere Unternehmen vergeben, übernehmen. Das ist im Übrigen auch ein zentraler Punkt des Wachstumsplanes von Jean-Claude Juncker.

Mehr Staat

Ein Vitaminstoß für mehr Wachstum
Berlin/ Autor Peter Bofinger am Dienstag (25.09.12) in Berlin bei der Vorstellung seines Buchs "Zurueck zur D-Mark? Deutschland braucht den Euro". Fuer Bofinger gibt es zur Rettung des Euros keine Alternative. Auch wenn dies mit Risiken und einem gewaltigen Kraftakt verbunden sei. Die Rueckkehr zur D-Mark berge jedoch viel groessere Risiken. Das schlechteste Modell ist laut Bofinger aber ein "Durchwurschteln" wie in den letzten Monaten. (zu dapd-Text) Foto: Maja Hitij/dapd
Der bekannte Ökonom Peter Bofinger setzt sich ebenso für "starke staatliche Impulse ein, um in Infrastruktur- und Kommunikationsnetze sowie in Bildung und Forschung zu investieren. "Nur so kann Europa vorankommen." Für den Uni-Professor heißt das aber nicht, dass alles der Staat machen müsse. "Es braucht ein ausgewogenes Paket sowie maßgeschneiderte Strukturreformen."

Vehement wehrt er sich gegen strenges Sparen und Deregulierung. "Nur mit Sparen wird man Europa nicht voranbringen." Bofinger’s Botschaft lautet: "Der Staat muss die Möglichkeit haben, Investitionen über Kredite durchzuführen. Man muss diese Goldene Regel der Finanzpolitik wieder etablieren, sonst wird man es nicht schaffen, genug Auftrieb zu erzeugen, um angemessenes Wachstum in Europa zu generieren."

Ein Vitaminstoß für mehr Wachstum
So kann Europa gelingen_Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG
Um aus der Wachstumsfalle zu kommen, ist der Wirtschaftsweise "eindeutig dafür", den strengen Stabilitätspakt der EU flexibler auszulegen und anzuwenden (erlaubt ist ein Defizit bis 3 Prozent). Bofinger weist darauf hin, dass es in Spanien und Irland derzeit wirtschaftlich auch besser läuft. Der Grund: "Diese Länder haben eben nicht ein oder zwei Prozent Defizit, sondern eben sechs Prozent."

Es soll das Vorzeigeprojekt für Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker werden, sein 315 Milliarden Euro schweres Wachstumspaket, das er heute, Mittwoch, im Parlament in Straßburg vorstellen wird. Konkret sollen in den nächsten drei Jahren 16 Mrd. Euro durch EU-Mittel und weitere fünf Milliarden durch die EIB aufgebracht werden. Damit werde eine Mobilisierung zusätzlicher privater Mittel mit einer Hebelwirkung von 1:15 erwartet – eben besagte 315 Milliarden Euro. Damit will er in erster Linie die hohe Arbeitslosigkeit in der EU bekämpfen, den jungen Menschen eine Perspektive geben und nötige Investitionen ankurbeln.

Die Eckpunkte des Planes, die Juncker unbedingt durchsetzen will, liegen dem KURIER vor.

Demnach will er einen Europäischen Fonds für Strategische Investitionen einrichten. Dieser soll auf EU-Budgetgarantien und Cash der Europäischen Investitionsbank in Luxemburg gestützt werden. Der Fonds kann Unternehmen über verschiedene Instrumente fördern: Das Ziel dahinter ist, dass die EU mit öffentlichem Geld das Hauptrisiko neuer Projekte übernimmt, um wesentlich höhere private Investitionen anzustoßen ("Hebeln").

Vereinfacht gesagt, würde zunächst die EU mit dem Geld aus dem Investitionsfonds haften, wenn ein Projekt scheitert, und erst dann die privaten Investoren. Ein Euro öffentliches Geld soll bis zu neun Euro privates Geld anlocken. Die Beteiligung von Mitgliedsländern ist ausdrücklich gewünscht. Schnelle und einfache Genehmigungsverfahren und niedrige bürokratische Hürden für neue Investitionen sind Teil des Paketes. Investitionen, die seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 stagnieren oder gar sinken, sollen rascher angeschoben werden.

Bei den Projekten soll es keine sektoralen oder nationalen Beschränkungen geben, Energie-Effizienz kann ebenso unterstützt werden wie Infrastrukturvorhaben und Breitbandnetze. Ein Investitionsausschuss entscheidet über die zu fördernden Projekte, wobei Nachhaltigkeit ein Kriterium ist. Wichtig ist Juncker die Unterstützung und Exportförderung kleiner und mittlerer Unternehmen.

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