Bittere Heimkehr der Armenier aus Syrien

Ein Bub im zerstörten Aleppo.
Flüchtlinge: Fast 100 Jahre, nachdem ihre Vorfahren aus ihrer Heimat vertrieben wurden, müssen christliche Armenier wieder fliehen.

Aleppo, die Bomben in der größten Stadt Syriens, die Scharfschützen, der Hunger, die Todesangst, der Krieg. All das liegt hinter Sarkiss Boghossian, seit der 30-Jährige und seine Familie im Herbst ihr nötigstes Hab und Gut packten und flohen. Heute leben sie in Jerewan, der Hauptstadt der früheren Sowjetrepublik Armenien.

Mehr als 12.000 armenische Christen aus Syrien haben es ihnen mittlerweile gleich getan. Sie haben sich aus Syrien ins bitterarme Armenien gerettet – und sie alle, so glaubt man zumindest an der armenischen Staatsspitze, werden wohl bleiben.

Täglich werden es mehr syrisch-armenische Flüchtlinge in der kleinen, drei Millionen Einwohner zählenden Kaukasusrepublik. Die wirtschaftliche Lage ist trist. Arbeit gibt es kaum, die Armut ist groß. Und doch, so bestätigt es das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Jerewan dem KURIER, "werden hier die Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen." Schnell werden neue Dokumente ausgestellt. Wer will, erhält einen armenischen Pass.

Bittere Heimkehr der Armenier aus Syrien
Denn alle Flüchtlinge sind Nachkommen jener Armenier, die vor fast genau hundert Jahren den Genozid der Osmanen gegen ihr Volk überlebten. Während der systematischen Vertreibung und Auslöschung der Armenier durch die Türken waren ab Frühling 1915 weit mehr als eine Million Menschen umgekommen. Im syrisch-arabischen Aleppo hatten viele Überlebende einen Zufluchtsort gefunden. Hier war es den Armeniern selbst in der Assad-Diktatur gestattet, Kirchen und Schulen zu bauen, ihre Kultur und Sprache zu pflegen.

Mehr als 100.000 Armenier lebten im Großraum Aleppo – bis auch sie in den Strudel des syrischen Bürgerkrieges gerieten. Loyale Bürger wollten sie sein, ohne sich auf eine Seite ziehen zu lassen – unmöglich für die Christengemeinde, die immer heftiger von ultra-radikalen Islamisten-Gruppen ins Visier genommen wurde.

Barfuß

"Zuerst sind hier in Jerewan die Syrien-Armenier angekommen, die noch Geld hatten, die Händler, die Unternehmer und ihre Familien", erzählt eine UNHCR-Mitarbeiterin in Armenien. "Aber wer jetzt kommt, hat gar nichts mehr. Nur das, was er am Leib trägt." Unter den letzten Armeniern in Aleppo, deren Zahl auf 25.000 gesunken ist, kursiert ein Spruch: "Barfuß sind wir hier angekommen, barfuß werden wir wieder von hier weggehen."

Auch Sarkiss Boghossian besitzt kaum mehr, als er mit Händen tragen kann. Unterkunft fanden er und die Seinen in einem Gemeindezentrum. Küche und Bad teilt er mit fünf anderen Flüchtlingsfamilien. Arbeit hat er noch keine gefunden. "Aber wenigstens", sagte der junge Armenier, "bin ich in meinem Mutterland angekommen."

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