US-Notenbank: Angst vor der eigenen Courage

Die Federal Reserve belässt die Zinsen auf Null. Worauf wartet sie eigentlich?
Hermann Sileitsch-Parzer

Hermann Sileitsch-Parzer

Will man warten, bis die nächste Blase - Börsen, Anleihen, Immobilien, wo immer - platzt?

von Hermann Sileitsch-Parzer

über den Leitzins-Entscheid der Fed

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat offiziell nur einen Auftrag: auf Preisstabilität zu achten. Die US-Notenbank Federal Reserve, kurz Fed, hat ein duales Mandat: Sie muss auf Preisstabilität achten UND auf maximale Beschäftigung. Seit Donnerstagabend müsste man ergänzen: und auf alles, was irgendwo in der Welt passiert.

Die Begründung, warum US-Notenbankchefin Janet Yellen das Zinstief weiterhin beibehält ist nämlich alles andere als überzeugend. Indirekt räumt die Fed sogar ein, dass die Börsenturbulenzen in China und die Sorgen, dass darunter die globale Wirtschaft leiden könnte, sie davon abgebracht haben, die Zinsen anzuheben.

Die US-Arbeitslosigkeit ist nämlich tief wie lange nicht, der Inflationspfad ist zwar noch weit unter der Zielmarke von 2 Prozent - vor allem wegen des Ölpreises. Aber auf mittlere Sicht (der entscheidende Zeitraum) würden diese 2 Prozent erreicht. Die Fed erwähnt mit keinem Wort Deflationssorgen. Der Anlass für das Nichthandeln waren also "finanzielle und internationale Entwicklungen". Die Fed werde "Entwicklungen im Ausland beachten".

Das ist vor allem aus einem Grund bedenklich: Das wertvollste Instrument einer Notenbank ist die Glaubwürdigkeit. Sie kann mit Ankündigungen, nur mit Worten also, die Erwartungen des Marktes steuern und beeinflussen - aber nur, wenn ihr geglaubt wird. Janet Yellen wird es künftig schwer haben, dass ihr noch geglaubt wird.

Forward misguidance

Die Fed hat selbst das Instrument der "forward guidance" eingeführt. Das heißt, sie wollte den Märkten möglichst klare Hinweise darauf geben, wie sich ihre Geldpolitik entwickelt und woran sie sich orientiert - und zwar basierend auf harten Fakten. Allerdings wurden diese Ziele so oft geändert, umdefiniert oder neu gesteckt, dass diese Orientierungshilfe praktisch zum Krenreiben geworden ist. Ein Wegweiser, der im Zweimonatstakt umgesteckt wird, ist sinnlos.

Es stimmt schon: Die Finanzkrise hat die Notenbank rund um den Globus gezwungen, Experimente zu wagen, die zuvor undenkbar gewesen wären. Zu groß war die Furcht, aus Untätigkeit die Fehler der Großen Depression zu wiederholen, wo die restriktive Geldpolitik aus einer Krise eine Katastrophe gemacht hat. Deshalb wurden alle Schleusen geöffnet: die Zinsen auf Null gesenkt, Währungsaustausch-Programme der Banken untereinander gestartet, unbegrenzte Kreditlinien für die Banken und gewaltige Wertpapierankaufprogramme beschlossen.

Nur: Irgendwann muss damit wieder Schluss sein - idealerweise bevor man sich damit die nächste Krise einhandelt. Denn zur Erinnerung: Die Basis für die Subprime-Immobilien-, Finanz- und Verschuldungskrise hat Yellen-Vorvorgänger Alan Greenspan mit seinen ultratiefen Zinsen gelegt. Jetzt droht sich das zu wiederholen, wenn die Fed weiterhin Angst vor der Courage hat.

Börsenreaktion

Die unmittelbare Reaktion der US-Börsen nach der Bekanntgabe war ein deutliches Absacken. Das ist ungewöhnlich, denn der Nullzinssatz sollte die Börsenkurse eigentlich anschieben. Offenbar ist die Wahrnehmung: Wenn die Fed nicht handelt, dann muss sie sich ernsthafte Sorgen um die Entwicklung der globalen Wirtschaft machen.

Das eigentlich Besorgnis erregende: Die US-Wirtschaft präsentierte sich in den abgelaufenen Monaten konträr zu jener der Eurozone, nämlich äußerst stabil und solide. Wenn die US-Notenbank es jetzt nicht wagt, die Zinswende zumindest mit einem ersten, ohnehin nur symbolischen Minischritt zu starten, wie soll dann jemals eine Normalisierung der Zinsen zustandekommen?

Oder will man warten, bis die nächste Blase - Börsen, Anleihen, Immobilien, wo immer - platzt? Was dann, wenn der Zinssatz immer noch bei Null grundelt? Alles keine sehr ermutigenden Aussichten. Ein höherer Zinssatz würde zwar theoretisch die Konjunktur dämpfen und den Dollar stärken, es wäre aber auch als Zeichen der Stärke und Kalkulierbarkeit der US-Geldpolitik verstanden worden.

Jetzt geht die Unsicherheit weiter: Wann wird Yellen die Zinsen anheben - im Oktober? Möglich, sagt Yellen. Nein, sagen Fed-Kenner: Da gibt es keine Pressekonferenz und Yellen würde einen Zinsschritt doch wohl erklären wollen. Im Dezember, vor dem Weihnachtsgeschäft? Oder doch erst irgendwann 2016? Und wenn ja, wie rasch wird es dann gehen (müssen)? Fragen über Fragen, die die Märkte verunsichern und damit auch destabilisieren werden. Denn nichts ist so schädlich wie Ungewissheit.

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