Wie "orbánisiert" ist Österreich?

Die Sehnsucht nach Abschottung von internationalen Märkten und Verstaatlichung blüht auch hierzulande.
Martina Salomon

Martina Salomon

Steht Österreich wirklich moralisch über solchen Dingen?

von Dr. Martina Salomon

über Österreichs Ähnlichkeiten mit Ungarn

Stellen Sie sich vor, 90 Prozent der Banken in Österreich wären in ausländischer Hand. Gäbe es da nicht längst ein Volksbegehren mit dem Ziel, wonach zumindest die Hälfte der Finanzinstitute in österreichischer Hand sein müsste? Als Slogan böte sich an: „Unser Geld in unserer Hand!“ Und wehe, die EU-Kommission in Brüssel würde mit Sanktionen drohen.

Aber nein – hier geht es um Ungarn. Europa schüttelt völlig zu Recht den Kopf über den nationalkonservativen Regierungschef Viktor Orbán. Die EU-Kommission hat eine Untersuchung eingeleitet, ob geplante Gesetzesänderungen gegen europäische Grundwerte verstoßen. Orbán will ja nicht nur, dass das Bankensystem künftig zumindest zur Hälfte Ungarn gehört. Er möchte auch die Befugnisse der Verfassungsrichter einschränken, staatlich geförderte Studenten nach Studienabschluss zur Tätigkeit in Ungarn verpflichten und Wahlwerbung in privaten Medien verbieten. Das alles widerspricht dem europäischen Gedanken. Aber steht Österreich wirklich moralisch über solchen Dingen?

Missbrauch der Zweidrittelmehrheit

Als die große Koalition (so wie die ungarische Regierung) noch über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament verfügte, entzog sie dem Höchstgericht per Verfassungsgesetz den Zugriff auf etliche Regelungen – sogar auf mäßig Bedeutendes wie die Wiener Taxikonzession. Natürlich kann der Verfassungsgerichtshof auch in Wien nicht über Verfassungsgesetze entscheiden.

Abgesehen davon: Kassieren nicht lediglich drei (Boulevard-)Zeitungen in Österreich den größten Teil der Regierungsinserate? Würde nicht auch Österreich seine Unis gerne vor ausländischem Studentenansturm schützen? Und man möchte sich lieber nicht vorstellen, was los wäre, hätten „ausländische“ Banken den Österreichern massenhaft Schweizer-Franken-Kredite verkauft, wodurch nun Tausende Eigenheime zwangsversteigert werden müssten. Eine faktische Enteignung der Banken – wie dies in Ungarn geschah, indem man sie zwang, Privatleuten einen Teil ihrer Frankenkredite zu erlassen – hätte hierzulande ungeteilten Beifall erhalten. Man muss nur eine x-beliebige Diskussionsrunde besuchen, um auf den Stehsatz zu stoßen, die Politik möge doch bitte die Menschen statt die Banken retten.

Dieser Vergleich entschuldigt nicht die eines Rechtsstaates unwürdige ungarische Politik. Sie ist auch im Eigeninteresse falsch. Denn die verunsicherten Investoren haben bereits ihren Rückzug aus dem Land begonnen.

Aber hätten nicht auch die Österreicher große Lust auf Abschottung von globalen Märkten? Herrscht nicht auch hier Sehnsucht nach (Re-)Verstaatlichung aller Lebensbereiche – beileibe nicht nur des Wassers? In Ungarn werden diese Visionen auf die Spitze getrieben. In Bulgarien gibt es ähnliche Tendenzen. Mit zunehmenden sozialen Spannungen wächst die Versuchung, auf nationalen Populismus zu setzen. Aber so weit von Ungarn entfernt, wie wir glauben, ist Österreich nicht.

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