Die Politik braucht noch mehr Merkel

Sie ist als Sphinx verschrien. Nach der unfassbaren Abschuss-Tragödie nahm sie als erste Putin glasklar ins Visier.
Josef Votzi

Josef Votzi

Die Politik braucht noch mehr Merkel

von Josef Votzi

über die als Sphinx verschriene deutsche Kanzlerin

Auf den Nachrichtenkanälen laufen noch die ersten Bilder von rauchenden Trümmern und fassungslosen Angehörigen. Es ist Tag 1 nach Abschuss der malayischen Boeing 777 an der ukrainisch-russischen Grenze. Noch wird spekuliert,wer die Boden-Luft-Rakete abgefeuert hat. Angela Merkel gehört in der Regel nicht zu den ersten, die die politische Arena stürmen, um ihre Meinung kundzutun. Abwarten, analysieren – und am besten das letzte entscheidende Wort haben. Im Fall der MH 17 war die deutsche Kanzlerin die erste, die nüchtern, aber glasklar die Dinge beim Namen nennt: "Wir müssen die Lage sehr, sehr ernst nehmen." Sie hält sich auch nicht damit auf, diplomatisch zu verbrämen, wer damit zuvorderst gemeint ist: "Der russische Präsident muss einen Beitrag leisten, damit es zu einer politischen Lösung der Krise kommt."

Der Ukraine-Konflikt ist vielschichtig und kennt nicht nur eindeutig Gute und Böse. Aber die dramatische Eskalation mit schweren militärischen Waffen geht vornehmlich auf das Konto Moskaus. Den unfassbar tragischen Abschuss eines Zivilflugzeuges der Malaysia Airlines haben pro-russische Rebellen zu verantworten. Und damit auch ihr politischer Protektor im Kreml.

Die in Deutschland als Sphinx und bei den neuen EU-Betrittsländern als Putin-Versteherin verschriene deutsche Kanzler nahm den Kreml-Herren als erste EU-Spitzenpolitikerin ohne Wenn und Aber scharf ins Visier: In der Ukraine-Tragödie ist Russland jetzt am Zug. Es ist am Kreml und nicht an Kiew, einen entscheidenden Schritt Richtung politischer Lösung zu tun.

Merkel hat noch immer den besten Draht zu Putin. Umso mehr hat ihre Botschaft an Moskau Gewicht: Die Zeitbombe Ukraine muss jetzt am Verhandlungstisch und nicht am Schlachtfeld entschärft werden.

Was kommt nach Kanzlerin?

Angela Merkel zu entschlüsseln mag oft ermüdend sein – vor allem dann, wenn sie ihre Sätze situationselastisch bewusst so wählt, dass ihre Substanz nur mit der Apothekerwaage auszumessen sind: Diese Woche zuletzt schmerzlich hör- und spürbar, als auch der dritte Anlauf scheiterte, die Spitzenposten in der EU neu zu besetzen.

Rund um Merkels 60er erblühten einmal mehr die Spekulationen: Was kommt nach Kanzlerin? Von der Nachfolgerin des blassen UNO-Generalsekretärs bis zur gekrönten Königin Europas (als übernächste Rats-Präsidentin) ist vieles drin. Angela Merkel sagt von sich selbst, dass sie jeden politischen Schritt vorab bis zum absehbaren Ende kalkuliert. Es ist davon auszugehen, dass sie für die Zeit nach Kanzlerin nicht nur einen Plan A, sondern auch einen Plan B und C hat.

Zum politischen Saisonschluss in Berlin wurde sie dieser Tage gefragt, was denn ihr wichtigster innenpolitischer Beitrag 2014 war. Nach einer kurzen Gedankenpause formuliert sie extra dry eine Antwort, die sich nur eine Angela Merkel ungescholten erlauben darf: "Vielleicht fällt Ihnen was ein. Irgendwie war ich beschäftigt."

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