Die Welt im Wandel: Zusehen reicht nicht

Europäer haben viel erreicht. Und blicken pessimistisch in die Zukunft, weil sie Veränderungen fürchten.
Helmut Brandstätter

Helmut Brandstätter

Man muss nach Kuba fahren, um Gutes über Europa zu hören. Von der langen Zeit des Friedens reden die Menschen in einem Land, in dem mit der russisch-amerikanischen Raketenkrise im Jahr 1961 aus dem Kalten Krieg fast ein heißer geworden wäre. Und viele kennen den Begriff der "sozialen Marktwirtschaft", der für Kubaner die große Hoffnung nach der Zeit des Kommunismus ist. In Europa hingegen spürt man da zum Jahreswechsel ein wenig Zufriedenheit über das, was in 70 Jahren seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht wurde, oder gar Optimismus? Keine Rede davon. Die jüngste weltweite Gallup-Umfrage zeigt, dass die Menschen in Lateinamerika und Asien glücklicher sind und eher Gutes von der Zukunft erwarten, während in Europa nur 27 Prozent der Befragten optimistisch in die Zukunft blicken.

Vor allem in den Mittelschichten ist zu spüren, dass der Zuwachs an Wohlstand deutlich gebremst ist und soziale Errungenschaften gefährdet sind. Das hat ja auch eine reale Grundlage, weil das Kapital in der globalisierten Welt dorthin geht, wo Arbeit günstig und Innovationen vielfältig sind. Aber es ist noch viel mehr: Europa wurde nach dem Krieg zunächst sehr erfolgreich als Wirtschaftsgemeinschaft aufgebaut, hatte aber von Anfang an einen zutiefst politischen Kern: Nämlich die Lehren aus der langen Geschichte zu ziehen, die einerseits von permanenten Kriegen, nationalen Konflikten und dem Holocaust gezeichnet war, andererseits aber auch einmalige künstlerische und philosophische Leistungen sowie die Entwicklung der Menschenrechte hervorgebracht hat. An der Oberfläche sieht es so aus, als wären die Ängste vor der Zukunft rein ökonomisch bedingt, in Wirklichkeit aber ist in Europa der Glaube an die eigenen Stärken und die bewährten Werte verloren gegangen.

EU: Wirtschaft UND Demokratie

Zur europäischen Geschichte gehört ja auch die Eroberung der Erde, verbunden mit dem rücksichtslosen Aufbau von Kolonialreichen. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben sich auch Briten und Franzosen schrittweise zurückgezogen und den – für uns – Nahen Osten den USA überlassen. Die Amerikaner brauchen das Öl nicht mehr, also müssen wir eine Nachbarschaftspolitik machen, die unseren Werten, aber auch unseren Interessen entspricht, und das kann nur EU-weit funktionieren. Wir hatten ja Glück, dass die wirtschaftlich überlegene Bundesrepublik Deutschland durchwegs vorsichtige und historisch bewusste Bundeskanzler hatte. Die Deutschen wollen ein europäisches Deutschland, aber wenn die EU zerfällt, wird es ein deutsches Europa geben.

Die EU wurde wirtschaftlich erfolgreich, weil sie auf Rechtsstaat und Pluralismus aufgebaut wurde. Und auf die Überwindung von nationalen Egoismen. Wenn die Ungarn und die Polen glauben, mit dem Geld anderer EU-Staaten autoritäre Systeme aufbauen zu können, werden wir einfach nicht mehr bezahlen. Aber was wir alle aus der Geschichte lernen müssen: Gesellschaften verändern sich, auch durch Zuwanderung. Es sind nicht nur die wirtschaftlichen Leistungen Europas, die uns so attraktiv machen, es ist der "European Way of Life", wo Rechtsstaat und Toleranz genauso dazugehören. Das lassen wir uns nicht nehmen, weder von Zuwanderern noch von Politikern mit autoritären Träumen.

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