Die Holzg’schnitzten

Wolfgang Winheim

Wolfgang Winheim

Als hätte Österreich im Skifahren gegen den Vatikan verloren.

von Wolfgang Winheim

über das Sensationsteam Island

Als eine 23-jährige Hebamme aus Reykjavik unter 24 Kandidatinnen zur Miss EM gewählt wurde, dachten alle (mit Ausnahme ihrer kickenden Landsleute), dass dies der einzige isländische Sieg in Frankreich bleiben würde. Drei Wochen danach hat Island dem Fußball-Mutterland den EM-Exit beschert, womit sich die Frage aufdrängt, ob der Triumph der Österreich-Bezwinger über England nicht auch der gebeutelten rot-weiß-roten Fußball-Seele guttut?

Ja. Weil der Spott, wonach Marcel Kollers Auswahl ihr letztes Gruppenspiel gegen „holzg’schnitzte“ Insulaner verlor, ein bissel abebben wird.

Nein. Weil die beliebte Ausrede, wonach kleine Länder letztlich gegen große den Kürzeren ziehen müssen, endgültig ihre Gültigkeit verloren hat.

Umgelegt auf Islands Einwohnerzahl (323.0000) war das 2:1 ungefähr so, als hätte eine Grazer Stadtauswahl England besiegt. Oder – wie es ein deutscher Internet-User formuliert – als hätte Österreich im Skifahren gegen den Vatikan verloren. Wie auch immer die Isländer im Viertelfinale gegen Frankreich abschneiden werden – ihr Abschneiden geht in die Sporthistorie ein ...

... wie 1992 der EM-Titel der Dänen, die nur als Ersatznation (für Jugoslawien) aus dem Urlaub zur Endrunde nach Schweden gekommen waren;

... oder wie der EM-Ausgang 2004, als Griechenland in Portugal dank Otto Rehhagels vermeintlich antiquierter Defensivtaktik Europameister wurde.

Ohne den Erfolg der Griechen (die in der Qualifikation für 2014 übrigens gleich zwei Mal an den Färöern scheiterten) schmälern zu wollen, zwingen die Play-Station-ähnlichen EM-Spiele 2016 zur Feststellung, ...

... dass der Fußball in den letzten 12 Jahren noch schneller geworden ist;

... und dass die Isländer nie so weit (u. a. Qualisiege über die Niederlande) gekommen wären, würden sie nebst dem Kämpfen nicht auch den Ball in hohem Tempo beherrschen.

Große Laufbereitschaft allein war nicht der Grund, weshalb es für die Isländer gegen England so gut lief. Laut Statistik sind sie gegen Österreich sogar noch mehr gerannt. Nämlich 110,5 Kilometer.

Als die mit Abstand größten Kilometerfresser (117,8 beim 2:0 gegen Spanien) erwiesen sich bisher die Italiener. Obwohl ihre Leistungsträger mehrheitlich über 30 sind. Wie Torschütze Giorgio Chiellini. Der Juventus-Recke gilt als biederer Verteidiger, zugleich aber – nicht nur wegen seines abgeschlossene Hochschulstudiums – als kluger Kopf. Dottore Chiellini leidet im Gegensatz zu manch bereits ausgeschiedenem Wunderwuzzi nicht an Selbstüberschätzung. Er spielt genau das, was er kann. So wie das gesamte Sensationsteam aus Island.

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