Stille Stunden

Romantisch. Oder?
Auch wenn er nichts mehr sagt, ist für sie alles gesagt. Das kann tückisch werden.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Wir müssen nicht laut und dramatisch werden, um Kleinkriege zu führen.

von Gabriele Kuhn

über die Szenen einer Redaktionsehe.

Sie

Ich höre sehr gut. Und zwar so sehr und so umfassend, dass ich wahrnehmen kann, was der Mann nebenan denkt, aber nicht sagt. Das tut er ja sehr, sehr oft. Nichts sagen, aber oscarreif denken. Er schaut mich an, er schaut mir zu und sagt nichts. Aber jeder einzelne seiner Körperteile drückt nonverbal aus, was ihm dabei gerade so durch den Kopf geht. Die Stirn raunzt runzelnd: Was, um Himmels willen, machst du denn da schon wieder? Während ich keuchend das Vorzimmer von den Gatschbröseln befreie, die mir der Mann, das Kind und der Hund nach einem total lustigen Spaziergang total spontan in die Wohnung getragen haben, weil alle total unabsichtlich aufs Abputzen und Schuheausziehen vergessen haben. Die Füße wippen genervt: Muss ich mit dir ernsthaft diskutieren, ob wir rote, orange oder beige Überzüge für die Zierkissen im Wohnzimmer brauchen? Mir ist das nämlich ziemlich wurscht.

Wenn Augen schreien könnten

Seine Nase tut’s auch. Wenn sie etwa rümpfend fragt: Wie komisch kann ein Mensch sein? Während er beobachtet, wie ich unsere gefühlten 100.000 Bücher so ordne, dass Fanny Hill nicht mehr neben dem Kochbuch „Schnelle Nudelrezepte für alle“ steht. Die Augen höhnen verächtlich: Sicher! nicht! Ganz blöde Idee. Während ich ihm die Vorteile eines gemeinsamen Heilfastens im ruhigen Waldviertel ans Herz zu legen versuche. Und sich seine Arme zu einem Ich würde übrigens auch nicht mit Monica Bellucci oder Uma Thurman heilfasten verschränken. Wobei ich natürlich registriere, dass seine Arme dabei nicht ganz so fest verschränkt sind wie bei einer Damit du’s weißt, ich werde garantiert keine Tarotkarte zu Jahresbeginn ziehen Armabwehrverschränkung. Das ist das Schöne an einer langen Beziehung: Wir müssen nicht laut und dramatisch werden, um Kleinkriege zu führen. Aber auch nicht, um zu sagen, dass wir uns eh noch recht lieb haben.

Twitter: @GabrieleKuhn

Er

Verblüffend, dass eine Ehe offenbar nicht lange genug dauern kann, um bei all den Kanten, die man im Lauf der Zeit bei der, sagen wir charakterspezifischen, Gattin so registriert hat, nicht doch noch überrascht werden zu können. Etwa dann, wenn ich an einem Sonntag aus der Entfernung meine Frau stöhnen höre, als müsste sie Kohlensäcke über die Kellerstiege schleppen. Um dann zu sehen, dass sie auf allen Vieren mit einer kleinen Bürste die haardünnen Fugen zwischen den Fliesen schrubbt, weil: „Dieser Belag stört mich extrem“. Extrem? Ich hatte bis zu diesem Augenblick nicht einmal registriert, dass diese Fliesen offenbar viel mehr können als einfach nur dazuliegen. In den Fugen angegraut sein etwa. Dann staunte ich und dachte nach, was ich tun soll. Denn natürlich will ich sie nicht putzen sehen und ächzen hören, während ich den Tag lediglich dazu nütze, um mein edles Entspannungsprofil zu polieren. Gleichzeitig will ich ihr aber auch nicht meine Hilfe anbieten, um dann plötzlich selbst ächzend einer Tätigkeit nachzugehen, die ich für ein wenig pflegebedürftiges Neuröslein halte.

Sonderbare Sucht

Meine Gewissensfrage stand aber anscheinend klar und deutlich im Raum. Denn nur Sekunden nach meinem Eintreffen samt Aber-sonst-geht’s-dir-hoffentlich-gut-Blick presste meine kleine Boden-Rakete den Satz hervor: „Wenn eine Fuge sauber ist, will man, dass es die nächste auch ist. Das Bürsten kann richtig süchtig machen.“ „Ja eh“, sagte ich, verkniff mir aber den Nachsatz, wie lange sie noch gedenkt, den Rollsplitt auf den Gehsteigen unserer Gasse liegen zu lassen. Die ernste Mimik wollte aber so nicht recht gelingen. „Die Ironie kannst du dir sparen“, fauchte sie und war beleidigt. Aber ich denke, das kann ich mit einem romantischen Candlelight-Dinner am Fußboden reparieren.

Twitter: @MHufnagl

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