Zum Vergessen

Zum Vergessen
Merke: Die unterschiedliche Gedächtniskraft zweier Eheleut’ besitzt Konfliktpotenzial.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Dieser mentale Ausflug war jedenfalls lustiger als die Realität.

von Gabriele Kuhn

über die Szenen einer Redaktionsehe.

Sie

„Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist“, schmettert man so herrlich üppig in der Operette „Fledermaus“. Ich denk’ mir: Wäre Johann Strauss noch am Leben, hätte er dem Hirni nebenan seine Partitur dazu gewidmet. Mit der Zusatz-Notiz: „Für den Maestro selektiver Gedächtnisleistung – hochachtungsvoll, Johnny Strauss“. Zum Verständnis: Der Geliebte ist zwar imstande, Geburtsstunden, Geburtsorte, Verwandtschaftsverhältnisse und Torstatistiken sämtlicher Weltfußballer abzurufen, aber mitunter kommt’s vor, dass er im Supermarkt nimmer so genau weiß, warum er überhaupt da ist und ob er nun Weckerln oder WC-Steine kaufen soll.

Nix zugeben

Okay, das ist eine etwas verzerrte Darstellung, aber en gros haut das hin. Vor allem, wenn es um „heikle“ Angelegenheiten geht. Dabei handelt es sich um kleinere und größere „Sünden“, die sich alle 10 Jahre in der Zweisamkeit einnisten. Hier regiert nicht nur bei Don Hirni das Credo: „Im Zweifelsfall für das Vergessen“. Was von uns Frauen als Männerklassiker durchschaut werden muss, der vor allem eines zum Ziel hat: Nur! nix! zugeben! Wobei ich mich an dieser Stelle gerne an das Lied „Küss di Hand, schöne Frau“ von der EAV erinnere: Helga, wer, Helga wie? Diesen Namen hört’ ich nie! Aber auch ich lösche zuweilen etwas aus meinem Kopf-Archiv. Heikel wird’s, wenn sich das mit seinem „Alles-pfutsch-Talent“ multipliziert. Dann passieren seltsame Dinge. Etwa als wir unlängst in einem Restaurant dinierten. Nachdem wir das Lokal verlassen hatten, fiel mir auf, dass etwas fehlte. Ich sprach mit leicht gehässigem Unterton: „An deinen Pulli muss wohl wieder ich denken?“ Worauf er ins Lokal zurückging, wo neben dem Pulli auch noch etwas Großes und Hechelndes unter dem Tisch lag: unser Hund. Der Rest ist schweigen, schämen und so manche extrem unhöfliche Schuldzuweisung.

Twitter: @GabrieleKuhn

Er

Da meine selektive Vergesslichkeit immer wieder zum süffisanten Thema wird, rufe ich an dieser Stelle den hoch geschätzten Doktor Gerald Hüther in den Zeugenstand. Der gute Mann ist nämlich ein anerkannter Neurobiologe und beschäftigte sich daher auch intensiv mit dem Gedächtnis. So vermag er klarerweise leicht zu erklären, warum ich mich ganz genau an das Tor von Austria-Edeltechniker Felix Gasselich 1982 in Istanbul gegen Galatasaray (Endstand 4:2) erinnern kann. Aber fix nicht an den Namen des „Na geh, weißt eh, der superlustige Freund von der Hannelore“. Weil: In unserem Hirn bleibt vor allem dann etwas tief verankert, wenn es mit starken Gefühlen verbunden ist. Hüther im Originalton: „Alles hängt davon ab, ob man sich für etwas begeistern kann. Wenn etwas wirklich unter die Haut geht, vergessen wir es nicht so leicht.“ Heißt: Ich weiß, dass ich einst als Bub jubelnd durch die Wohnung gehüpft bin, weil Gott Gasselich erst wie ein Zauberer gegaberlt und dann wie ein Idol genetzt hat – das Ereignis hat sich also (ich vermute im Gegensatz zu meiner Frau) bei mir eingebrannt. Gleichzeitig erinnere ich mich aber an keine einzige superlustige Wuchtel vom Dingsbums. Und auch das Kaufen von z. B. Distelöl ist in meinem Leben nicht mit starken Gefühlen verbunden. Worüber ich ehrlicherweise recht froh bin.

Strategie

Ich gebe aber zu, dass dieser gelegentliche Hang zur Vergesslichkeit auch gerne als Strategie eingesetzt wird, wenn es um Rechtfertigungen aller Art geht. Blöd ist nur, wenn man sich plötzlich an etwas erinnert, von dem man einst behauptet hat, es längst vergessen zu haben. Noch blöder, wenn die eigene Frau garantiert jedes Detail jeder Unterhaltung der vergangenen 15 Jahre abrufen kann ... aber dann kein Argument dafür besitzt, warum sie den Hund vergessen hat.

Übrigens: Wir haben die „Szenen einer Redaktionsehe“ für die Bühne neu arrangiert. Zu sehen ist die Inszenierung am 9. 10. und 10. 11. im Wiener Rabenhof, www.rabenhoftheater.com.

Twitter:@MHufnagl

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