Unsere Grad-Wanderung

Unsere Grad-Wanderung
Zwei Welten.Sie will es warm, er will es kalt – und gemeinsam wollen sie Urlaub machen.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Er ist Australien, ich bin Grönland mit Treibhaus-Effekt-Tendenzen.

von Gabriele Kuhn

über die Szenen einer Redaktionsehe.

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Dinge wiederholen sich – diesmal: der Klimaanlagenkonflikt. Und damit verknüpft alles zum Thema "Temperaturempfinden", zu dem es kaum Gemeinsamkeiten gibt. Wenn er schwitzt, trage ich Weste und Socken. Wenn er Weste und Socken trägt, kann’s sein, dass ich schwitze. Die ideale Betriebstemperatur betreffend sind wir Antipoden. Er ist Australien, ich bin Grönland mit Treibhaus-Effekt-Tendenzen.

Bofrost-Verhältnisse

Im Sommer haben wir jedenfalls ein Abstimmungsproblem – vor allem Auto und Hotelzimmer betreffend. Ich werde etwa überhaupt nicht gerne von ihm abgeholt. Weil ich weiß: Das Heck eines Bofrost-Lieferwagens ist ein Tropenparadies gegen das Wageninnere des Mannes. Ich steige ein – und erstarre. Bis auf meine Stimmbänder, die sich zu einem sehr lauten "Wenn du die Absicht hast, dich lebendig kryokonservieren zu lassen, kontaktiere bitte ein Spezialunternehmen, aber lass mich bitte im Kraut damit formen. Nachsatz: Stell das sofort wärmer!" Dann fangen wir an, wie auf einem Bazar um jedes Grad zu verhandeln. Um uns darauf zu einigen, dass ich ein Taxi nehme – Motto: Wer zahlt, schafft an, auch die Wageninnenraumtemperatur. Ähnliches mit dem Hotelzimmer. Gäbe es ein Wettbüro mit der Wette "Wann sagt Hufnagl das erste "Pfuh, da ist es zu heiß", würde ich gewinnen. Ich setzte nämlich stets auf jenen Moment, in dem er das erste Mal das Hotelzimmer betritt. Wir haben noch nicht einmal das Gepäck abgestellt, geht die Jammerei los. Und damit die hektische Suche nach dem Klimaanlagenknopf . Wehe, ich äußere das absurde Ansinnen, die Terrassenfenster zu öffnen, damit ich einen Blick aufs Meer werfen kann: "Bist du des Wahnsinns! Da wird’s ja total heiß." Dann herrscht 14 Tage lang der Krieg um die Knöpfe. Bin ich am Zimmer, mach ich es warm. Ist er am Zimmer, macht er es kalt. Ein Fall von kalt/warm, also.

Twitter: @GabrieleKuhn

Er

Kaum jemand formuliert so oft Sätze, die mit "Ginge es nach mir..." beginnen wie ich. Und das, obwohl ich mittlerweile weiß, dass es zwar immer irgendwie geht, aber kaum jemals nach mir. Ginge es beispielsweise nach mir, wären solche ausgewiesenen Hitzemonate wie Juli oder August längst abgeschafft. Ginge es nach mir, wären alle Temperaturen jenseits der dreißig Grad gesetzlich verboten. Und ginge es nach mir, würde ich meinen Sommerurlaub am liebsten in einer Luxus-Kühlkammer samt gediegenem Eisbecken-Spa verbringen. Ja, wo immer ich mich in dieser Jahreszeit aufhalte, ich suche den Schatten und die Erfrischungen wie der Kluburlauber die reservierte Strandliege und den Mojito an der Poolbar.

Eiskalter Zug

Das Blöde ist nur: Dort, wo ich als Frostgrenzgänger am liebsten bin, wird meine warmherzige Frau niemals sein. Was in Anbetracht gemeinsamer Urlaube problematisch ist. Ich kann es ja nach meiner öffentlichen Liebesbekundung vom vergangenen Sonntag hier ruhig einmal schreiben: Das ewige Gejammer macht mich narrisch! Kaum dringt ein kühler Hauch, allenfalls ausgelöst vom Wimpernschlag eines vorbeihuschenden Helmkopfgeckos, an ihre zarte Haut, macht sie in der Sekunde ein Gesicht, als würde "dieser eiskalte Zug" eine Genickstarre bis zum Jahr 2021 garantieren. Ich darf dann freilich nicht mit den Augen rollen oder etwas wie "hysterisch" murmeln. Denn was dem "Huschi" und dem "Brrrr" womöglich folgt, sind alle erdenklichen Gesten des Vorwurfs. Gerade so, als hätte ich einen Abenteuerurlaub im Winter Jakutiens gebucht, in einer Frühstückspension in Werchojansk, dem Kältepol der Erde. Der regelmäßige Kampf um die Klimaanlagenhoheit ist also tatsächlich eine gnadenlose Grad-Wanderung zweier Extremisten. Daher: Ginge es nach mir, es wäre schon September.

Twitter:@MHufnagl

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