Eine Frage des Stils

Eine Frage des Stils
Jede Menge Stoff für Streit: Krawatte oder Shirt? Rock oder Hose?
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Bäh, ich will keine Krawatte. Bäh, ich will kein Hemd. Bäh, ich will keinen Anzug.

von Gabriele Kuhn

über die Szenen einer Redaktionsehe.

Sie

Unlängst kam mir eine schöne Geschichte zu Ohren – von diesem klugen Mann, der vieles kann, nur eines nicht: für sich das passende Outfit wählen. Und Koffer packen – das macht seine Frau. Von ihm, dem Herrn Doktor, stammt der Satz: "Schatz, ich kann mich in diesem Koffer nicht orientieren." Und nein, es handelt sich nicht um einen Samsonite XXL für Rocksänger auf Tournee und auch nicht um den Mann nebenan. Dennoch passt die Geschichte zu ihm. Er kann sich zwar schon selbst anziehen und findet sich in seinem Köfferchen zurecht, dennoch kommt es immer wieder vor, dass er sich fünf Sekunden vor dem geplanten Aufbruch vor mir aufbaut, um zu fragen: Geht das eh? Dieser Frage ist nicht nur die verknappte Form von Bin ich dem Anlass gemäß gekleidet?, sondern vor allem ein Statement: Bäh, ich will keine Krawatte. Bäh, ich will kein Hemd. Bäh, ich will keinen Anzug.

Kein biederer Binder

Fakt ist: Der Mann nebenan ist Krawattenhasser. Das war nicht immer so. Als wir zusammenzogen, übersiedelten wir eine Kiste mit Krawatten. Die gibt es zwar immer noch – so wie mich – aber sein Bindungsverhalten hat sich verändert. Die Krawatten sind nicht mehr so wichtig (zu mir sag ich nix). Und zwar seit ihm die Kollegin aus dem Mode-Ressort verklickert hatte, dass er der Typ "Weißes Hemd, lässig/offen" sei. Nix biederer Binder. Am besten stünde ihm der minimalistische Existenzialismus-Look. Schwarzes T-Shirt, schwarzes Sakko, schwarze Über- und Unterhose. Die Krawatten verrotten, während ich von Tonnen schwarzer T-Shirts umgeben bin. Und sonst? Sonst steht er 30 Minuten vor Beginn des Pianokonzerts vor mir, um zu fragen, ob das mit dem T-Shirt und so eh geht, während ich daneben aussehe wie jemand, der sich in die Weihnachtsabteilung von Kika verirrt hat – aufgeputzt. Es lebe der unfeine Unterschied.

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Twitter: @GabrieleKuhn

Er

Nein, ich hasse Krawatten nicht. Ich finde sie auch gar nicht einmal unbequem. Ich trage sie vor allem deshalb nicht, weil ich sie gar nicht so toll und als modisches Selbstverständnis überbewertet finde. lch habe dazu einmal getwittert: "Ich warte auf den Tag, an dem der dramatische Irrtum, Krawatten stünden für seriöse Eleganz, endlich offiziell als solcher anerkannt wird."

Aber im Grunde ist es mir wurscht. Und ich habe zu entsprechenden Anlässen mittlerweile auch nur mehr selten Diskussionen mit meiner Frau, wenn sie sagt: "Ich glaube, da solltest du schon eine Krawatte umbinden." Und ich sage: "Ich glaube, da sollten die anderen schon auf eine Krawatte verzichten." Unabhängig davon ist es jedoch tatsächlich in höchstem Maße originell, dass ausgerechnet sie ausgerechnet mir ein Posing nach dem Motto "Geht das eh?" andichtet.

"Wie schau’ ich aus?"

Die Wahrheit ist – und ich soll ein Leben lang dazu verdammt sein, Seminare für das Anfertigen doppelter Windsorknoten zu veranstalten, wenn es nicht stimmt: Gnä Kuhn stellt mir vor jedem gemeinsamen Ausgang immer, immer, immer diese eine Frage: "Und, wie schau’ ich aus?" Dann sage ich immer, immer, immer nicht: "Entsetzlich." Sondern ich finde selbstverständlich nur Worte größter Bewunderung. Das ist aber auch tückisch, denn es folgt dann oft a) "Nein, ehrlich jetzt", oder b) "Du hast überhaupt nicht hingeschaut" oder c) "Ich weiß, dass dich diese Frage nervt, aber du könntest auch einmal auf die Idee kommen, von selbst etwas zu sagen." Heißt: Auch Huldigungen sind kein Garant für Frieden. Aber immerhin hat sie aufgehört, ihre Unsicherheit zu delegieren und mich "Passt das zusammen?" zu fragen. Ich glaube, es war mein 75. "Hm ... weiß nicht ... ja ... eh", das bei ihr das Sinnlosigkeitserkenntnislicht aufgehen ließ. Gut so. So lange sie mit der Frage nicht uns beide meint.

Twitter:@MHufnagl

Übrigens: Wir haben die „Szenen einer Redaktionsehe“ für die Bühne neu arrangiert. Zu sehen ist die Inszenierung am 9. 10. und 10. 11. im Wiener Rabenhof, www.rabenhoftheater.com.

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