Die Zerreißprobe

Die Zerreißprobe
Emotionen.Über allerlei laute Gespräche mit Gegenständen und das Mistsack-Phänomen.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Ich schimpfe in Wahrheit gar nicht mit dem Mistsack, der kann ja gar nichts dafür

von Gabriele Kuhn

über die Szenen einer Redaktionsehe.

Sie

Die großen Fragen des Lebens: Woher kommen wir, wohin gehen wir und was macht der Mann nebenan wirklich, wenn er sagt: Ich brauch jetzt frische Luft? Vermutlich geht er in den Keller, um dort mit dem Kasten zu plauschen. Womit sich eine weitere große Lebensfrage stellt: Haben Gegenstände eine Seele? Es dürfte fast so sein. Denn nur so lassen sich die vielen kleinen Gespräche erklären, die er während eines langen Tages führt.

Blöder Sack

Nicht mit mir, nicht mit dem Kind und nicht mit dem Hund, sondern mit diversen Gegenständen, die sich gerade nicht so geschmeidig in sein Konzept von Glück fügen. Der Mistsack etwa. Weil Herr Hufnagl über mangelnde Sackkenntnis verfügt, wiederholt sich mit trottelhafter Regelmäßigkeit folgende Szene: Er greift nach dem bummvollen Mistsack, worauf der Mistsack reißt, Dreck quillt auf den Boden. In solchen Momenten beginnt der Mann nebenan laut zu sprechen. Wobei man nicht so genau weiß, mit wem er redet: dem Sack oder dem Mist? Was aber wurscht ist, denn ausfällig ist es sowieso.

Heftige Gespräche führt er auch mit dem Laptop oder dem WLAN-Router. Ich weiß nicht, wen er mehr beschimpft, vom Gefühl her hat aber der Router derzeit die Arschlochkarte. Und der Mann stellt Fragen. Seiner Sporttasche zum Beispiel. Mit rotem Kopf wühlt er in ihr herum und stammelt ein Ja sag du mir, ich hab’ doch gerade neue Tennisbälle gekauft, wo sind die jetzt? Die Tasche schweigt und spuckt ihr dunkles Geheimnis partout nicht aus, wahrscheinlich hat sie sich mit den Bällen abgesprochen. Nun, wie heißt es so schön: „In uns allen steckt ein Stück Schöpfungsgeschichte. Jeder hat seinen eigenen Urknall.“ (Zitat: Erich Ferstl) Der Mann nebenan hat einen besonders großen.

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Er

Selbstverständlich spreche ich – wie vermutlich jeder zur Emotion fähige Mensch – gelegentlich mit Gegenständen. Oder mit der Luft, die mich umgibt. Oder mit jenem imaginären Wesen, das für den ganzen Alltagswahnsinn die Verantwortung übernimmt, und zwar ganz ohne diese Antworten, die alles nur noch viel schlimmer machen. Und weil sich gnä Kuhn das simpelste aller Beispiele, nämlich den mit hoher Wahrscheinlichkeit reißenden Mistsack , aus dem großen Angebot der Kategorie „Das darf doch bitte nicht wahr sein!“ herausgepickt hat, will ich auch nicht verheimlichen, was genau ich dem Mistsack im Augenblick seiner Zerstörung laut mitteile: „Unfassbar, das will einfach nicht in meinen Schädel rein. Jetzt hab’ ich wieder den ganzen Dreck herumkugeln, weil sich jeder in diesem Haushalt zu gut für einen Abtransport ist. Ja klar, nur net sozial denken, das ist völlig überbewertet, lieber stopf’ ma noch etwas in den Sack, und noch etwas, und noch etwas. Wurscht, ob da schon alles überquillt, aber geh’, a bisserl a Mist hat immer noch Platz g’habt. Und irgendwann wird der Depperte (Anm.: Ich!) das Klumpert schon wegbringen ...“

Harmoniebedürfnis

Und ebenso wird der Depperte in seiner Mistsack-Kolumne die vielen nur gedachten Flüche unerwähnt lassen, jedoch für Aufklärung sorgen: Ich schimpfe in Wahrheit gar nicht mit dem Mistsack, der kann ja gar nichts dafür. Sondern ich teile lediglich Frau und Tochter via Mistsack Essenzielles für ein harmonischeres Zusammenleben mit. Aber wie ich die beiden kenne, werden sie nur im Duo die Augen verdrehen, weil mein Selbstmitleid ist vor allem eines: Sondermüll.

Unsere nächsten Paaradox-Auftritte: 19. 11. und 20. 12. im Wiener Rabenhof, 18. 12. in Klosterneuburg (Wilheringerhof)

Twitter: @MHufnagl

www.michael-hufnagl.com

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