Das Leben im Badezimmer

Das Leben im Badezimmer
Warum wir immer zu spät kommen, hat zwei spezielle Gründe: ihren und seinen.
Gabriele Kuhn

Gabriele Kuhn

Michael Hufnagl

Michael Hufnagl

Bei fast jedem Ausgang kommt er nach 100 Metern Autofahrt drauf, dass er was vergessen hat.

von Gabriele Kuhn

über die Szenen einer Redaktionsehe.

Sie

Von rechts drüben ereilt mich oft die Beschwerde, ich würde im Bad herumbrodeln. Untermalt wird die Raunzerei mit folgender Frage aus dem Standardwerk „Alltags-Kommunikation in der Ehe“, Kapitel „Provokationen“: „Pinselst du dich für den Karneval von Rio an oder warum dauert die Maskerade so lang?“ Nicht erwähnt wird dabei die Tatsache, dass der Herr zuvor last minute in die Dusche geschlüpft ist, um dort eine Viertelstunde „Singin’ in the Rain“ zu pfeifen, während ich verzweifelt versuche, in dem Dampf Lidschatten aufzulegen. Blöd, denn leider kann ich mein Spiegelbild nicht finden. Schaffe ich es doch, vereinen sich Schminke und Farbe mit Schweiß zu einer Sauce, die mich aussehen lässt wie Rambo mit Tarnfarbe im subtropischen Dschungel. Und während der Mann vom Wasser erfrischt in den Anzug springt, versuche ich nicht in Ohnmacht zu fallen. Er hingegen sagt: „Kömma jetzt geh’n?“ Da kann schon einmal passieren, dass ich mir mit dem Kajal ins Aug’ fahr’ und die Prozedur noch ein Minütchen länger dauert.

Retour-Kutsche

Was insoferne wurscht ist, als es im Streit-Fall „Wer brodelt mehr?“ sowieso 10 zu 1 steht. Für mich. Es ist zwar so, dass er ein überpünktlicher Weg-Geher ist, aber gleichzeitig ein regelmäßiger Wiederkehrer. Bei fast jedem Ausgang kommt er nach 100 Metern Autofahrt drauf, dass er was vergessen hat: das Geschenk für den Gastgeber, die Schlüssel, das Handy oder die Karten für das Theater/Konzert/Kabarett, das wir besuchen wollen. Gerne kommt auch die Frage: Du Schatzi, wo müssen wir eigentlich hin? Dann beginnt ein umständliches Gekrame in alten Mails und SMS auf dem Handy. Wehe aber, ich erwähne die Uhrzeit. Da sagt er glatt: Pünktlichkeit ist noch zu kommen, bevor der andere geht. Twitter: @GabrieleKuhn

facebook.com/GabrieleKuhn60

Er

Ich muss gestehen, dass ich mich nach Lektüre des kuhn’schen Nassraum-Pamphlets verdammt nahe an der Hyperventilation befand. Denn derartig viel Talent zur Verdrehung der ehelichen Realität hätte ich nicht einmal ihr zugetraut. Und das will nach so vielen gemeinsamen Kolumnenjahren etwas heißen. Zusammenleben ist ja angeblich immer ein sogenannter Kompromiss. Na genau. Sehr witzig. Denn laut Wikipedia handelt es sich bei einem Kompromiss um „eine freiwillige Übereinkunft, unter beiderseitigem Verzicht auf Teile der jeweils gestellten Forderungen.“ Ha! sage ich da. Um augenblicklich ein lautes Haha! sowie ein noch lauteres Hahaha! folgen zu lassen. Denn in sämtlichen Badezimmern, die wir uns seit dem folgenschweren Entschluss zur Wohngemeinschaft geteilt haben, sah der Kompromiss exakt so aus: Sie gibt immer und überall ihre (gefühlt ewigen) Benützungszeiten beinahe bulletinartig bekannt, und ich möge gefälligst meinen Alltag um diese Vorgaben herum bauen. Dass sie einem weiblichen Selbstverständnis folgend dann auch noch ihre Aufenthaltsdauer im Unterschied zu mir flexibel gestalten darf, ist ein nicht verhandelbarer Sonderpassus im Kleingedruckten der Badezimmer-Verfassung. Aber immerhin muss ich nicht kalt duschen. Obwohl sie garantiert gerne einen Spiegelanlaufverbotsparagrafen in ihrer Duschlegislative verankert hätte.

Stress

Zu spät kommen wir daher in 99 von 100 Fällen, weil sie das rituelle Fertigmachen zuverlässig so gestaltet, dass sie vor allem mein Nervenkostüm fertigmacht. Und nicht, weil ich etwas vergesse, woran in Wahrheit sie hätte denken müssen, es aber spontan („Siehst du nicht, dass ich im Stress bin?“) an mich delegiert. Nur die Ausreden fürs Zuspätkommen übernimmt am Ende sie. Das kann sie. Ist links nachzulesen.

Twitter: @MHufnagl

www.michael-hufnagl.com

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