Traurige Tomaten, pampige Paradeiser

Sie wollen also wissen, wie es den Paradeisern geht? Okay: Schlecht geht es ihnen.
Doris Knecht

Doris Knecht

Traurige Tomaten, pampige Paradeiser.

von Doris Knecht

über Paradeiserzucht

Sie wollen also wissen, wie es den Paradeisern geht? Okay: Schlecht geht es ihnen. Vor zehn Tagen, nach dem langen Regen, wurden sie ja endlich ins Freie gesetzt: fünf in einem sonnigen Erker verwöhnte, halbwüchsige Setzlinge in fünf Töpfen mit frischer, torffreier Bio-Erde. Die Töpfe stehen unter einem Vordachl an einer Hausmauer, auf die von früh bis spät Sonne trifft, und die Pflanzen werden regelmäßig, aber nicht überreichlich gegossen.

Jedes Mal, wenn ich daran vorbeigehen, fällt mir der Titel eines Kinderbuchs ein: "Traurige Tomaten". Die Recherche ergibt: So heißt das Buch gar nicht. Es heißt "Traurige Tiger toasten Tomaten", aber diese Tomaten wird, wenn das so weitergeht, niemand toasten: dünnes, blasses Blattwerk, vergilbte Blattränder, weiße Flecken, vertrocknete Spitzen. Traurige Tomaten, pampige Paradeiser. Nicht eine der Pflanzen ohne Makel. Die Idee, einfach alle angegriffenen Blätter von den Stauden abzuzupfen wurde nach genauerer Betrachtung verworfen, weil nach einer solchen Aktion nichts davon übrig bliebe. Es ist bitter. Lieber gleich alle Hoffnung fahren lassen auf Tomatensalat, ganz süße, langsam im Ofen geschmorte Paradeiser, Caprese oder Bloody Mary.

Immerhin: Da ist Trost. Das konsequente Schnecken-Klauben und die Schneckenkorn-Barrieren haben gefruchtet. Nun hat die Beschwörung des ganz einfachen Guten eine lange und, durch herben Blut-und-Boden-Geruch, nicht immer ruhmreiche Tradition. Aber. Die Scheibe vom frischen, selbst gebackenen Brot vorhin, mit etwas Butter darauf und dem gerade geschnittenen, duftenden und ganz scharfen Rucola (wenn man immer nur Rucola aus der Packung gegessen hat, weiß man gar nicht, wie intensiv Rucola tatsächlich schmeckt, wenn er ganz frisch aus dem Beet oder dem Topf gepflückt ist), garniert mit ein paar Vierteln von ebenso zeitnah aus der Erde gezogenen jungen, superknackigen Radieschen: Das kann im Augenblick das wunderbarste, beste Essen der Welt sein. Wer braucht schon Paradeiser.

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