"Du Opfer" – wie man zum Täter wird

Wie kann man jugendliche Amokläufer verhindern? Die Frage stellt sich – wieder einmal – nach München.
Martina Salomon

Martina Salomon

"Du Opfer" ist eine halblustige Redewendung, von der manche Schüler direkt betroffen sind.

von Dr. Martina Salomon

über die Gründe, die Jugendliche zu Amokläufern machen.

Die Beschreibungen der Täter ähneln einander: Fast immer sind es (un)auffällig in sich gekehrte, Außenseiter. Junge Loser, die ihre Minderwertigkeitsgefühle gerne mit brutalen Videospielen übertünchen. Der Münchner Amokläufer liebte " Counter Strike: Source". Er trug einen kindischen Pokemon-Rucksack, als er neun Menschen und sich selbst erschoss, war depressiv und immerhin in psychiatrischer Behandlung. Doch die Medizin ist leider nicht, wie wir immer hoffen, eine exakte Wissenschaft. Die Psychiatrie vielleicht noch viel weniger als andere Fächer. Technisch wissen wir viel – aber unsere ungemein komplexe Psyche scheint unerforschlich zu sein.

Mobbing ist unsichtbarer geworden

Was wir dennoch tun können: Noch mehr Mobbing-Vorbeugung an Schulen. "Du Opfer" ist eine halblustige Redewendung, von der manche Schüler direkt betroffen sind. Nicht dieselbe (Marken-)Kleidung tragen zu können, bei Rangeleien stets unterlegen zu sein, beim anderen Geschlecht nicht "landen" können, einfach "anders" zu sein: Das macht empfindlich für Gehässigkeiten und Selbsthass. Mobbing hat dank sozialer Medien seine Gestalt geändert, ist für Lehrer und Eltern unsichtbarer geworden.

Dabei ist unsere Gesellschaft eigentlich sogar aufmerksamer geworden, was Mobbing betrifft. Noch nie gab es so viele Erziehungsratgeber, so viele Psychotherapeuten und Sozialarbeiter. Manchmal hat man durchaus den Eindruck, dass in der Schule mehr therapiert als unterrichtet wird. Ohne den vielen engagierten Frauen im Bildungswesen auf die Zehen trampeln zu wollen: Aber weniger Betulichkeit und mehr natürliche Autorität wäre nötig. Es braucht dringend mehr männliche Lehrer – coole Vorbilder, die einem verzweifelten Burschen einen mentalen Rettungsanker zuwerfen können.

Das Image des Lehrberufs ist daher ebenfalls dringend verbesserungswürdig, damit sich die Richtigen dafür entscheiden. Die pädagogische Ausbildung hinkt den oft kaum mehr zu bewältigenden Anforderungen hinterher: Multikulturalität, Gewalt, Aufmerksamkeitsstörungen (auch der Eltern), Sprachdefizite. Dafür braucht es starke Persönlichkeiten, die vielleicht dennoch nicht ihr ganzes Leben in diesem Beruf aushalten.

Was ebenfalls wichtig ist: absolut restriktiver Zugang zu Waffen. Diese Forderung gilt nicht nur für die USA, wo legaler Waffenbesitz buchstäblich "kinderleicht" ist und wo es die meisten Amokläufe gibt. Leider sind als Spätfolge der Balkankriege auch in Europa Hunderttausende Waffen im illegalen Handel.

Und zuletzt sollte man auch ein anderes "Schlachtfeld" nicht ausblenden, auf dem noch viel mehr Opfer zu beklagen sind: die Straße. Wie viele psychisch gestörte (vor allem junge) Männer benutzen ihr Auto als gefährliche Waffe, um ihr mangelndes Selbstwertgefühl "aufzupimpen" und reißen andere mit in den Tod?

Beobachten wir die Stillen eigentlich so sehr wie die Lauten? Erstere scheinen mehr gefährdet zu sein als die anderen.

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