Die Generation Selfie. Durchökonomisiert am Fußballrasen

Auch den Autor nervt der Trend. Aber selfie Sie selbst!
Was uns die Selfies von Lukas Podolski über die Welt der Bilder erzählen
Philipp Wilhelmer

Philipp Wilhelmer

Podolski hat etwas geschafft, an dem hunderte professionelle Fotografen zeitgleich scheiterten

von Philipp Wilhelmer

Über das Selfie vom WM-Rasen:

Es ist vollbracht! Die Fußballwelt trug für einen Abend die Farben schwarz-rot-gold und brachte überirdische Inszenierungen aus dem WM-Stadion in Rio de Janeiro für die Welt. Die Steadycam-Operateure schleppten ihre Kleinwagen-schweren Ausrüstungen am Spielfeld auf und ab, Helikopter kreisten rund ums Feuerwerk, blitzschnelle Teleoptiken fingen die Momente des Triumphes der Mannen von Jogi Löw ein. Und was taten die? Sie schossen Bilder für das kollektive Facebook-Album.

Lukas Podolski etwa twitterte sein Selfie noch direkt vom Rasen:

Später sah man ihn mit einer für ihre Verhältnisse besonders naive Güte ausstrahlende Kanzlerin Angela Merkel. Merke: Sport erlaubt alles. Selbst den Abschuss der eigenenen Regierungschefin mit einem nervösen Selfiefinger.

Die Generation Selfie. Durchökonomisiert am Fußballrasen
epa04314093 Photographers line to take the team pictures before the FIFA World Cup 2014 final between Germany and Argentina at the Estadio do Maracana in Rio de Janeiro, Brazil, 13 July 2014. (RESTRICTIONS APPLY: Editorial Use Only, not used in association with any commercial entity - Images must not be used in any form of alert service or push service of any kind including via mobile alert services, downloads to mobile devices or MMS messaging - Images must appear as still images and must not emulate match action video footage - No alteration is made to, and no text or image is superimposed over, any published image which: (a) intentionally obscures or removes a sponsor identification image; or (b) adds or overlays the commercial identification of any third party which is not officially associated with the FIFA World Cup) EPA/Chema Moya EDITORIAL USE ONLY

Dem gegenüber möchten wir dieses Bild stellen: Ein Pulk professioneller Bildberichterstatter wird am Seil durch die Arena geführt. Es kann ja gar nicht genug Bilder von einem Event wie einer Fußball-Weltmeisterschaft geben.

Die Generation Selfie. Durchökonomisiert am Fußballrasen
Photographers take pictures of the German team as they celebrate winning the 2014 World Cup final against Argentina at the Maracana stadium in Rio de Janeiro July 13, 2014. REUTERS/Fabrizio Bensch (BRAZIL - Tags: SOCCER SPORT WORLD CUP)

Oder dieses: Kreischende Fans zur rechten, die deutschen Sieger umringt von konzentrischen Kreisen professioneller Bildberichterstatter mit dem Finger auf Dauerfeuer. Dass alle mehr oder weniger dasselbe Bild mit heimbringen, ist übrigens Teil des Konzepts. Hauptsache: Bilder. Bildermassen, eigentlich.

Wie deuten wir also in einem solchen Umfeld den Impuls eines millionenschweren Kickers, in der Stunde des absoluten Triumphs ausgerechnet sein Handy zu zücken und den medialen Wahnsinn mit einem Tweet zu konterkarieren? Auslegung eins: Podolski hatte einen einträglichen Vertrag mit einem Smartphone-Hersteller (der steckte auch hinter dem wegweisenden Oscar-Selfie von Ellen De Generes). Auslegung zwei: Er setzte einen schlichten Akt der Selbstermächtigung: Mein Bild gehört mir. Und die mediale Ausschlachtung meines Triumphes ebenfalls. Schließlich landete der exklusive Schnappschuss vom Spielfeld auf dem Twitter-Account des Kickers. Das Bild mit der Kanzlerin zierte die Facebook-Fanpage des Kickers.

Beides wäre absolut konsequent. Die Generation Selfie ist schließlich eine in jeder Hinsicht durch-ökonomisierte. Die "Duckfaces" von 13-Jährigen sollen den eigenen Marktwert ebenso heben wie ein Bild eines Promis mit der Kanzlerin.

Insofern: Ja, das ist ernst gemeint. Und obwohl es nervt, dauernd über Selfies zu diskutierten, hat Podolski an einem Abend gleich zwei Mal etwas geschafft, an dem hunderte professionelle Fotografen zeitgleich scheiterten: Das andere Bild.

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