Das ORF-Gesetz: Ein Mikadospiel für rot und schwarz

Keine Faxen: 2010 gab es dieses Formular noch. Der Verfassungsgerichtshof hob sie im Oktober 2011 auf. Jetzt wird um ein paar Sätze im Gesetz gefeilscht.
Das Streichen der Faxwahl und die Implikationen: Es geht, wie könnte es anders sein, um politischen Einfluss im ORF.
Philipp Wilhelmer

Philipp Wilhelmer

Die Machtarithmetik verschöbe sich hin zu rot, lautet eine Theorie

von Philipp Wilhelmer

Über das Feilschen um ein paar Sätze im ORF-Gesetz

Kaum ein Unternehmen spiegelt den parteipolitischen Modus vivendi dieses Landes besser wider als der ORF. Das Spitzenpersonal wird politisch gewünscht und über den vorgeblich entpolitisierten Stiftungsrat besetzt. Dieser ist seit Wolfgang Schüssels großem ORF-Paket aus 2001 zwar frei von aktiven politischen Würdenträgern, dient aber genauso als Verlängerungsarm der Parteizentralen wie einst das ORF-Kuratorium, in dem sich Josef Cap und Peter Westenthaler früher auch außerhalb des verläßlich über den Weg liefen.

Diskrete Freunde

Seit 2001werden diskret ausgesuchte Vertrauensleute aus den eigenen politischen Lagern in das oberste ORF-Gremium geschickt, die sich mal mehr, mal weniger effektiv in sogenannten Freundeskreisen organisieren. Wichtig werden die Mehrheiten vor allem dann, wenn die ORF-Geschäftsführung bestellt wird. Wer den General bestimmt, ist im ORF am Drücker, lautet die verkürzte politische Faustregel. Die Mechanik des Gesetzes sieht vor, dass die Kanzlerpartei im Stiftungsrat einen klaren Vorteil hat. (Dass nach Schüssel damit die SPÖ-Kanzler im ORF am Ruder sein könnten, hat man 2001 entweder nicht mitbedacht oder ÖVP-seitig einer eher lieblosen Risiko-Kalkulation unterzogen.)

Eine wichtige Rolle spielt in dem Bestellungsprozedere der Publikumsrat, der ansonsten eine relativ machtferne Vertretung der Hörer- und Seherinteressen ist. Interessant ist seine politische Funktion als Durchschleus-Station für Stiftungsräte, denn laut ORF-Gesetz werden sechs Mitglieder aus dem Publikumsrat in den Stiftungsrat geschickt.

Bisher sah das Gesetz vor, dass "drei Mitglieder aus den auf Grund der Ergebnisse der Direktwahl bestellten sechs Mitgliedern des Publikumsrates" stammen müssen. Diese Wahl – die originellerweise nur per Fax möglich war – hat der VfGH im Oktober 2011 allerdings gestrichen.

Die Trägerrakete

Derzeit sieht ein von rot und schwarz als Initiativantrag eingebrachter Gesetzesentwurf vor, dass zur Reparatur des ORF-Gesetzes der Passus um die Faxwahl einfach gestrichen wird. Angekündigt als „Trägerrakete“ für weitere Reparaturen im Gesetz, scheint sich derzeit noch nicht mehr getan zu haben. Wobei vor allem die ÖVP noch nicht restlos zufrieden ist und sich aus ihrer Sicht nicht zu unrecht skeptisch zeigt. Die Streichung dieses einzigen Satzes hat nämlich im subtilen Machtgefüge der Stiftungsratbestellung konkrete Implikationen: Wenn nämlich keine sechs direkt gewählten Publikumsräte mehr im Gremium sitzen, dann können - je nach Rechtsauslegung - wohl kaum drei der „gewählten“ in den Stiftungsrat weiterwandern, wie dies ein paar Paragrafen weiter festgeschrieben wird.

Bleiben übrig: Je ein Mitglied aus den Bereichen der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, der Hochschulen und der Kunst. Die letzten zwei werden direkt vom Kanzler in den Publikumsrat und damit gleich weiter in das oberste ORF-Gremium geschickt. Kirchenvertreter – derzeit Franz Küberl – zählten bisher zu den parteiunabhängigen Räten.

Machtarithmetik kommt rot zu Gute

Bei spitzfindigen Juristen macht deshalb schon die Theorie die Runde, die Kanzlerpartei habe gar keinen großen Drang, die Passage großräumig zu reparieren, selbst wenn damit drei Räte aus dem Gremium wegfallen würden. Die geänderte Machtarithmetik käme rot zu Gute, lautet die Theorie (politisch will diese Planspiele übrigens keiner kommentieren). Aus Sicht der SPÖ macht das durchaus Sinn: Verzichtet man auf die drei Stiftungsräte aus der Faxwahl, dann verlöre die ÖVP zwei Räte aus ihrem Einflussbereich.

Sollte bis zum Verfassungsausschuss an diesem Donnerstag keine Einigung zwischen SPÖ und ÖVP zustande kommen, geht sich eine echte Reparatur des vom VfGH beanstandeten Gesetzes übrigens nur mit viel Kreativität aus. Der Publikumsrat sollte sich am 7. April konstituieren, der Stiftungsrat am 24. April. Treten die beiden Gremien ihr Amt ohne neues Gesetz an, könnten wichtige Entscheidungen wie eine Gebührenerhöhung juristisch allzu leicht angefochten werden. Ein heikles Mikadospiel um ein paar politische Wünsche.

UPDATE: Die Regierungsparteien schaffen den Verfasssungsausschuss nicht und wollen etwaige Änderungen in zweiter Lesung im Nationalrat einbringen.

Es gibt eine neue Deadline für das kleinteilig renovierte ORF-Gesetz: Am 26. März soll der akkordierte Regierungsentwurf im Plenum des Nationalrats beschlossen werden, nachdem sich die beiden Parteien bisher nicht einigen konnten. Laut KURIER-Infos soll die Zahl der Publikumsräte, die in den Stiftungsrat geschickt werden, bei sechs gehalten werden. Wie das gemacht wird, trennt Rot und Schwarz aber noch. Drei dieser Räte müssen laut geltendem Gesetz den Gruppen der Hochschulen, der Kunst und der Kirchen angehören. Die restlichen drei sollten aus dem Kreis der per Fax gewählten stammen, was seit der Streichung der Wahl wegfällt.

Was das Ganze für die ÖVP heikel macht: Ohne Faxwahl verliert der Publikumsrat sechs Mitglieder und wäre damit rot dominiert. Die Gefahr, dass die sechs in den Stiftungsrat weitergeschickten Räte der SP zuzuordnen sind, ist aus Sicht der ÖVP wohl evident. In der alten Gremienperiode sah das Verhältnis so aus: Drei rote, zwei schwarze und ein unabhängiger Kirchenvertreter.

Vergiftungsgefahr

Ein Gedankenspiel, das auch so am Verhandlungstisch liegt: Würde man alle sechs künftig nicht mehr an Kategorien knüpfen, käme die Entscheidung über die Weiterschickung dem - dann rot dominierten - Publikumsrat zu. Mit politischen Folgen, wie der Vergleich zeigt: Würde der neue Stiftungsrat nämlich nach dem alten Gesetz bestellt werden, würde das Verhältnis zwischen SPÖ- und ÖVP-nahen Räten bei 14 zu 13 liegen. Würden theoretisch alle sechs der genannten Räte künftig rot bestellt werden, würde sich das Verhältnis drastisch zugunsten der Sozialdemokraten verschieben. Eine derart radikale Lösung würde die Koalition aber wohl vergiften.

So unspektakulär die Entscheidungen in der Novelle auch scheinen mögen: Hier werden die Weichen für Mehrheiten bei der nächsten Generalswahl gestellt. Und damit der Kampf um die Vorherrschaft im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

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