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Welchen ORF wollen wir eigentlich?

Welchen ORF wollen wir eigentlich?
In eineinhalb Wochen wird der ORF-Generaldirektor gekürt. Rot oder Schwarz? Eine Bestandsaufnahme.

Das ORF-Logo, das berühmte Auge (links im Bild) ist falsch koloriert: Es müsste in Rot und Schwarz gehalten sein. Denn die beiden ehemaligen Großparteien halten den öffentlich-rechtlichen Rundfunk über den Stiftungsrat fest in ihrer Kontrolle – die komplizierten Beschickungsmethoden des obersten ORF-Gremiums machen es möglich. Zumindest so lange beide Parteien in Bund und Land an der Macht sind.

Am 9. August wird der ORF-Generaldirektor neu gewählt. Die Stiftungsräte, die diese Entscheidung treffen, haben im Wesentlichen die Wahl zwischen dem roten Amtsinhaber Alexander Wrabetz und dem schwarzen Richard Grasl, bisher Finanzdirektor. Einer wird wohl ab 2017 den ORF führen, sollte kein alle überstrahlender Dritter auf den Plan treten.

Aber in welche Zukunft? Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine politische Arena, in der vor allem eines sehr gut funktioniert: Taktische Manöver, die um Postenbesetzungen kreisen. Aber sonst? Ist der ORF noch zukunftsfit? Behindert er die anderen Privaten, wie die immer wieder beklagen?

Geht es um den ORF, geht es auch immer wieder um das Programm: Was bringt es an öffentlich-rechtlichem Mehrwert, wenn der ORF seit den 90ern auf den Wellen von RTL und ProSieben surft, statt sich rot-weiß-roter Stärken zu besinnen?

Vor einem halben Jahrhundert steckte der ORF in einer Misere: Die Politik wollte sich das noch junge Unternehmen proporzmäßig aufteilen, die Information war entsetzlich. Der KURIER hat das damals hartnäckig thematisiert und schließlich gemeinsam mit anderen Zeitungen das große Rundfunkvolksbegehren angestoßen, das zu einer Befreiung des ORF führte. Durch die Hintertür kehrte die Politik schließlich zurück. Und heute stehen wir wieder vor der Wahl: Rot oder Schwarz?

Ob ein Volksbegehren wie damals etwas ändern würde? Die Zeiten sind andere. Aber ein Befund ist notwendig. Daher stellt der KURIER in vier Kapiteln Überlegungen zur Baustelle ORF an. Und bietet Reparaturvorschläge an.

Kapitel 1: Im Vorhof der Macht

Der ORF hat 35 Stiftungsräte, von denen derzeit jeweils 13 direkt der SPÖ bzw. der ÖVP zugeordnet werden (die realpolitisch immer schwergewichtigere FPÖ etwa hat gerade mal einen).

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Weil der ORF offiziell "entpolitisiert" ist, organisieren sich SPÖ und ÖVP in sogenannten Freundeskreisen. Eingeführt wurde diese Scheinwelt unter ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel, der sich mit einem komplexen Beschickungsmodus stets die Mehrheit des Kanzleramtes sichern wollte.

Als er seinen Koalitionspartner BZÖ vergrätzte, wurde er 2006 jedoch mit den beschränkten Möglichkeiten dieser Art des Machterhalts konfrontiert: Mit einer "Regenbogenkoalition" aus allen Farben außer Schwarz warf Alexander Wrabetz die VP-Frau Monika Lindner aus dem Führungssessel. Bald darauf war Schüssel Geschichte. Die Abstimmung über den ORF-Generaldirektor hat in den Parteien den Status einer politischen Wahl: Tragisch, wenn man sie "verliert". Mit dieser Denkart setzen sich aktuell SPÖ und ÖVP auseinander, nachdem sie keinen gemeinsamen Wunderkandidaten aus dem Hut zaubern konnten: Das Ziel ist jetzt Schadensmaximierung für den Partner. Das Unternehmenswohl ist sekundär – es geht darum, den eigenen Kandidaten durchzubringen.

Noch jede Partei hat geglaubt, die ORF-Information steuern zu können. Und der Küniglberg bietet attraktive Jobs, die man gerne mit dem eigenen Mascherl versieht.

Für die Mitarbeiter stellt sich die heikle Frage: Hinter wem positioniere ich mich? Wem werde ich ohne mein Zutun zugerechnet? Und was, wenn der andere gewinnt?

Das oberste ORF-Gremium hat also Reformbedarf: Die Beschickung nach dem "Winner takes it all"-Prinzip, das die Kanzlerpartei extrem bevorzugt, ist zu überdenken. Auch aus Sicht der SPÖ, die derzeit der Nutznießer ist. Schüssels Niederlage war beispielgebend: Die ÖVP verlor zuerst den ORF, dann die Nationalratswahl und damit die Chance auf wesentlichen Einfluss im Rundfunk. Gäbe es keine schwarzen Bundesländer, hätte die SPÖ das Ruder fest in der Hand. Nach der nächsten Nationalratswahl könnte schnell ein blauer Winner die Geschicke des ORF entscheidend mitbestimmen. Ist es das wert?

Aber wer soll eigentlich im Stiftungsrat sitzen? Wenn der Stiftungsrat die Staatsbürger entsprechend vertreten soll, müsste die Opposition entsprechend ihrer Größe im Nationalrat aufgewertet werden. Warum der Wähler über die Bundesländern doppelt vertreten ist (derzeit ausschließlich in Rot und Schwarz), ist ein österreichisches Spezifikum: Ohne Länder geht nun einmal politisch wenig bis gar nichts – auch diese Macht müsste man eigentlich stutzen.

Kapitel 2: Zwei Geldtöpfe, von denen andere nur träumen

Wie viel Gebühren braucht der ORF eigentlich? Immer mehr. Denn die Werbeeinnahmen sinken kontinuierlich – der Gebührenanteil steigt. Und im Herbst wird ziemlich sicher die nächste Erhöhung kommen. 2015 erlöste der ORF aus Gebühren ganze 593 Millionen, aus Werbung sind es nur mehr 218 Millionen – vor nicht allzu langer Zeit war das Verhältnis noch ausgeglichener.

Der ORF macht rund eine Milliarde Euro Umsatz und agiert in den Bereichen, die er kommerziell betreibt, wie ein Privater: Ö3 ist der erfolgreichste Radiosender, weil er seit den 90ern wie ein Kommerzieller agiert. ORFeins versucht die Jungen abzuholen und probiert es dabei weitgehend mit der Masche der Privaten. Teure Sportrechte wie Formel 1 oder Fußball sorgen ebenfalls für Quote, von der weniger finanzkräftige Private auch in den kommenden Jahren nur träumen können.

Zwei strategische Fragen stellen sich für die übrigen Medien: Ist es okay, dass der ORF auf so vielen Ebenen Werbung verkauft? Und wenn ja: Sollte man nicht auch anderen Sendern und Medien ihre teuren Inhalte mit ähnlich hohen Förderungen finanzieren? Die Haushaltsabgabe böte die Möglichkeit, einen Fördertopf für Journalismus zu schaffen. Und endlich die Presseförderung wieder auf realistische Höhen zu bringen.

Kapitel 3: Soviel Geld für die Struktur?

Der ORF ist ein Moloch – ohne Zweifel. Bei der Frage, ob der Rundfunk seine Zentrale saniert oder wegzieht, war eines immer klar: Weniger Platz brauchen wir nicht. Aber wofür eigentlich? Die Technik wird kompakter, die Journalisten weniger. "60 Prozent der ORF-Ausgaben gehen in Personal und Technik", sagte Medienberater Markus Andorfer jüngst im KURIER-Interview. Das heißt: Nur 40 Prozent wandern in Inhalte, also in Fernsehunterhaltung oder Information. Ist das üblich? Andorfer verneint: Vergleichbare Sender hätten die entsprechenden Kosten bei 30 Prozent angesetzt.

Modern ist das nicht, ebenso wenig wie der traditionell hohe Einfluss des Zentralbetriebsrats bei der Bestellung der ORF-Führung: Die fünf Betriebsräte sind ein gewichtiger Block, der zwar politisch gespalten ist, aber dennoch Einfluss hat. Bei der letzten ORF-Wahl wurde etwa der Betriebsrat Michael Götzhaber zum Technikdirektor gemacht. Braucht es solche Manöver?

Im Aktienrecht wäre es nicht möglich, dass die Belegschaftsvertreter über die Führungspersonen mitbestimmen. Ein wichtiger roter Betriebsratsmachtblock ist außerdem die ORF-Technik, die – siehe Kosten – eigentlich auch ausgelagert werden könnte. Aber die SPÖ wehrt sich gegen solche Überlegungen. Sie hat ihren Grund.

Und die neun Landesdirektionen? Der Einfluss der Länder ist auch im ORF teuer. Die inhaltlichen Stärken der dortigen Redaktionen werden jedoch zu wenig genutzt.

Kapitel 4: In den 90ern war RTL noch ein gutes Vorbild

Als Gerhard Zeiler den ORF in den 90ern auf Erfolg trimmte, schuf er zwei Reiche: ORFeins für junge Städter und ORF2 für die Senioren vom Land. ORFeins eiferte der Konkurrenz aus Deutschland nach (Zeiler wurde später wohl nicht ohne Grund RTL-Chef).

Heute ist das Vorbild selbst in der Krise, ORFeins hat sich aber nicht emanzipiert: Von "Dancing Stars" über die Castingshows ist viel von den deutschen Privaten inspiriert. Auch die US-Serien laufen hüben wie drüben. Was den Sehern fehlt, sind knackige Eigenproduktionen, wie der Erfolg von "Braunschlag" und den "Vorstadtweibern" bewies. Auch die Dokuschiene auf ORFeins hat sich bewährt. Warum also nicht mehr für heimische Produktionen ausgeben? Beziehungsweise: Warum so viel Geld für Kitsch? ORF2 produziert "Starnacht" nach "Starnacht" und tingelt damit ebenso seicht durch die Bundesländer wie mit dem Frühstücksfernsehen, das alles bietet, nur keine aktuelle Information.

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Abschließender Exkurs: Wie der ORF befreit wurde

Das Fernsehen war noch ein relativ junges Medium, als SPÖ und ÖVP versuchten, sich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einem noch nicht dagewesenen Proporz einzuverleiben.

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Der KURIER bekam von dem Plan Wind und titelte bereits am 20. März 1963 empört: "Parteien diktieren das Programm".Bereits drei Tage später hatte diese Zeitung, die damals unter der Leitung des legendären Hugo Portisch stand, eine Protest-Aktion in die Wege geleitet, die Geschichte machen sollte: Auf Coupons, die aus der Zeitung ausgeschnitten wurden, unterschrieben die Leser massenhaft gegen das geplante Proporzsystem. Letztlich sollten sich 52 Zeitungen und Zeitschriften an der Initiative beteiligen. 1966 folgte die Reform des Rundfunks. Erster Generalintendant des "neuen" ORF wurde Gerd Bacher ( 2015). Er resümierte später: So schön wie in der ersten Zeit sei es "nie wieder geworden, so unabhängig auch nie wieder".

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