"Manchmal denk ich, ich pfeif drauf": Kulturschaffende in der Pandemie-Krise
Die Kultur ist eine Ein-Prozent-Branche, und zwar freundlich gerechnet.
Dem einen Prozent an Künstlern und Kulturschaffenden, die wirklich komfortabel von Kultur leben können, die sich einen beim breiten Publikum bekannten Namen erarbeitet haben und finanziell gut durch die Pandemie kommen, stehen viele Kulturschaffende gegenüber, die auch unter normalen Bedingungen vielleicht gerade mal so über die Runden kommen. Die sich ihren Namen gerade erarbeiten, von Projekt zu Projekt und Engagement zu Engagement leben.
Und diese sind von der Pandemie besonders getroffen. Weil einerseits ebendiese Projekte teils seit vielen Monaten und wohl noch für viele Monate abgesagt sind. Es gibt keine Rockkonzerte mehr, die Beleuchter oder Tontechniker brauchen, derzeit auch keine Theater, die Darsteller suchen oder einen fixen Premierentermin in Aussicht stellen können. Es gibt keine Lesungen, mit denen sich viele Autoren ein Honorar erarbeiten können. Es gibt viele der Engagements nicht, bei denen sich aufstrebende Künstler zeigen können.
Viele der 99 Prozent sind unsichtbar geworden.
Vorerkrankung
Einnahmen, mit denen Freischaffende gerechnet haben, sind ersatzlos ausgefallen, Investitionen verpufft, Pläne für die kommenden Monate in Unsicherheit ertränkt worden.
Und in der Pandemie bricht auch wieder eine bekannte Vorerkrankung der Branche aus: Viele der 99 Prozent leben von Selbstausbeutung und in prekären Arbeitsverhältnissen.
Wer eine unruhige Anstellungshistorie vorweist, gilt beim Arbeitsmarktservice als komplizierter Fall und fällt andererseits um viele jener Förderungen um, die die Politik für die Kulturschaffenden geschaffen hat.
Gar nicht wenige überlegen, der Kultur nun den Rücken zuzukehren.
Andere hoffen auf Impfung und die baldige Rückkehr zur Normalität.
Wie geht es also den Menschen in der Branche? Was machen sie, wovon leben sie? Der KURIER hat bei Kulturschaffenden nachgefragt.
Kabarettisten: „Die Frage ist, wann wieder Leute kommen“
„Unseren nächsten Auftritt hätten wir am 8. Jänner“, sagt Bettina Bogdany. „Sollten wir spielen dürfen, haben wir vorher vier Tage, um dafür zu sorgen, dass auch Leute kommen.“
Die Sängerin und Pianistin tritt mit ihrem musikalischen Partner Bernhard Viktorin unter dem Namen „Be-Quadrat“ auf: Auch Viktorin singt und spielt Klavier, gemeinsam performen die beiden ein Musikkabarett mit eigenen Kompositionen, adaptierten Hits und vielen Pointen. Zusätzlich zu Auftritten auf kleineren und mittleren Bühnen werden Be-Quadrat als Entertainer für private Feiern gebucht, zuletzt kamen sie auf 30-40 Auftritte pro Jahr. Mit der Pandemie brachen ihnen gleich zwei Plattformen weg.
Die Öffentlichkeit habe oft keine Vorstellung von den Vorlaufzeiten für Auftritte, befindet Viktorin – wenn Live-Events wieder erlaubt werden, springe der Betrieb nicht einfach wieder an. Durch die vielen Absagen sei ein Rückstau entstanden: Veranstalter stünden Acts, deren Auftritte „verschoben“ wurden, im Wort und zögern daher, neue Termine zu buchen. Selbst wenn diese zustande kommen, muss die Promotion – die oft von den Künstlern selbst organisiert und finanziert wird – wieder bei null beginnen. „Wir haben 2020 Tausende Flyer weggeschmissen“, erzählt Viktorin. „Das kann man nicht wieder einspielen.“
Bogdany konnte die Überbrückungsfinanzierung der Sozialversicherung für Selbstständige ausschöpfen – für Viktorin, der im Rahmen einzelner Theaterproduktionen öfters angestellt war, ging das nicht. Das AMS „konnte mit meinem Beruf nicht viel anfangen“, erzählt er – generell sei die Situation von Kulturschaffenden und anderen Berufsgruppen, die ihr Einkommen aus verschiedenartigen Beschäftigungsverhältnissen lukrieren, komplex.
Be-Quadrat arbeiten trotzdem – oft über Fernkontakt, gelegentlich auch in gemeinsamen Proben – an ihrem dritten Kabarettprogramm, das sie im Frühjahr präsentieren wollen. „Unsere Hauptfrage ist aber nicht, wann wir spielen dürfen, sondern ab wann wieder Leute kommen“, sagt Bogdany. Man solle auch von politischer Seite früh überlegen, wie das Vertrauen des Publikums wiederhergestellt und die Vielfalt der Veranstaltungsorte erhalten werden könne: „Wenn die Lust, sich live etwas anschauen zu gehen, ausstirbt, wäre das für mich persönlich eine Katastrophe“
Fremdenführerin: „Uns wurde der Boden unter den Füßen weggezogen“
Angeles Duca-Korp, 1965 geboren, ist seit bald drei Jahrzehnten Fremdenführerin in Wien. Auch nach dem Jugoslawienkrieg, nach 9/11 und nach der Finanzkrise hätte es weniger Touristen gegeben. „Aber jetzt war es wie ein Tsunami. Zunächst waren meine Kolleginnen, die auf Chinesisch führen, betroffen. Bei mir ist es Anfang März mit den Stornos losgegangen – aber dann Schlag auf Schlag. Es wurde uns der Boden unter den Füßen weggezogen. Ich dachte aber, dass es irgendwie weitergehen würde – bis Mitte März der Lockdown und das Berufsverbot kam. Das war dann wirklich ein Schock.“
Auch deshalb, weil es – abgesehen vom „schnell und unbürokratisch“ überwiesenen Tausender – zunächst keine staatliche Hilfe gab. „Zum Glück wurden wir von unseren Familien unterstützt.“ Denn auch ihr Mann, der Dirigent Tiziano Duca, fiel um etliche Engagements um.
Auf den Schock folgten Wut und Resignation. „Wir haben versucht, positiv zu bleiben, und hofften auf den Sommer. Vergeblich.“
Natürlich überlegte sie, sich neu zu orientieren. „Aber jede von uns Fremdenführerinnen hat sich ihren Markt erarbeitet. Da kann man nicht so einfach sagen: Nur weil jetzt keine Spanier kommen, will ich jetzt die deutschsprachigen Gruppen führen! Ich hab’ mich daher wegen Umschulungen erkundigt und war bei einer EPU-Beraterin. Ich kontaktierte das AMS und den WAFF. Aber es gibt praktisch keine Förderangebote für Selbstständige, bloß Schulungen, die man teuer bezahlen muss. Überall hieß es: Es tut uns leid, es tut uns leid. Ich habe mir daher gedacht, ich muss diese Zeit einfach durchstehen. Denn ich liebe meinen Beruf. Also hoffe ich auf die Impfung. Und dass dann der Städtetourismus wieder anspringt, auch wenn ich weiß, dass er sich nur langsam erholen wird.“
Jetzt funktioniert es zumindest mit der Unterstützung. „Sie ist viel geringer als das, was ich verdient habe. Wir müssen halt den Gürtel enger schnallen.“ Und Gott sei Dank steht ihre 26-jährige Tochter, die im Sommer in Italien heiraten wollte, auf eigenen Beinen. „Viele meine Kolleginnen sind alleinerziehende Mütter. Da trifft das Schicksal einige sehr viel härter als mich.“
Autor: "Lachen ist ansteckend – derzeit ist das gefährlich“
„Man traut es sich ja nicht laut sagen, aber es war eigentlich eine schöne Zeit“, sagt Schriftsteller René Freund über Lockdown I im Frühling. Die Familie sei im idyllischen Grünau im Almtal (OÖ) beisammen gewesen, seine Tochter habe ihn sogar auf die Idee für ein Corona-Stück gebracht. Die Premiere von „Corinna und David – eine virale Komödie“ musste aber immer wieder verschoben werden, Stand derzeit: 14. Jänner im Wiener Metropol. „Ob was draus wird? Ich weiß es nicht“, sagt Freund. „Lachen ist ansteckend – ein gefährliches Wort heutzutage.“ Jedenfalls ist daraus der Roman „Das 14-Tage-Date“ entstanden (ab Mai).
Ein großer Traum sei ihm dieses Jahr aber erfüllt worden: die Uraufführung seiner Komödie „Swinging Bells“ in Hamburg. „Nur durften statt 500 Leuten nur 150 hinein“, erzählt Freund. Nach drei Wochen wurde zugesperrt. „Meine Verlegerin hat mir vorgerechnet, was wir nicht verdient haben. Da kommen einem schon die Tränen.“
Eine Überbrückungsfinanzierung sei über die Künstlersozialversicherung geflossen, „unkompliziert und schnell, aber es war eher ein Trostpflaster“, sagt er.
„Katastrophal“ sei für ihn und viele Autoren ein anderer Ausfall gewesen. Vergangenen Herbst hatte Freund noch fast 30 Lesungen. „Das bedeutet ein schönes Honorar, man verkauft Bücher und kommt mit dem Publikum in Kontakt.“ Heuer aber wurde „einfach alles abgesagt“, sagt er. Eine einzige Lesung im September sei möglich gewesen, den Ausfall beziffert Freund mit 90 Prozent. „Der Jammer ist, es wird auch für nächstes Jahr nichts gebucht“, wofür er aber Verständnis habe. Wenn manche sagen, dafür werde mehr gelesen, entgegnet er: „Es wurden vielleicht auf Amazon die ersten 100 der Bestsellerliste verkauft. Aber wir Autoren der Mittelklasse sind unsichtbar gewesen. Und das ist wirklich traurig.“
Optimistisch ist Freund dennoch. Nach der Pandemie werde „der Hunger nach Live-Events enorm sein. Man wird nachher ein Achterl trinken und seine Freunde umarmen. Es wird wunderbar!“
Kunst-Allrounder: Geringer Zusammenhalt in schwierigen Zeiten
Florian Wischenbart hatte 2020 Großes vor: Er wollte mit zwei Theaterproduktionen durchstarten. Und dann kam Corona. Beim Jugendklassiker „Pünktchen und Anton“ nach Erich Kästner waren die Proben gerade in Fahrt, als alles abgesagt werden musste. Mit der zweiten Produktion „Next to Normal“, einem Musical über Menschen, die mit psychischen Erkrankungen kämpfen, wollte Wischenbart das Jahr noch irgendwie retten. Dann kam der zweite Lockdown. Nun steht er vor einem Berg Schulden. „Es ist eine Katastrophe. Wir haben keine Einnahmen, müssen sogar Fördergelder an die Privatinvestoren zurückzahlen“, sagt er dem KURIER. Apropos Fördergelder: Was ist mit den Rettungsschirmen, die der Kulturbranche zur Verfügung stehen sollen?
Nicht viel. Denn darauf kann der junge Schauspieler, Regisseur, Autor und Sänger nicht zugreifen. Denn er hat in den vergangenen Jahren nicht als selbstständiger Schauspieler und Regisseur gearbeitet, sondern war meist angestellt oder setzte eigene Produktionen um.
Und daher sei er aktuell beim AMS gemeldet, beziehe Arbeitslosengeld, und bekomme somit keine finanzielle Unterstützung aus den Fördertöpfen. „Mit dem Arbeitslosengeld würde ich zwar irgendwie auskommen, aber als Obmann des Kulturvereins Demaskiert, mit dem er – zusammen mit Jasmin Bilek – seit 2017 Theater- und Musical-Produktionen auf die Beine stellt, stehe ich vor dem Aus.“ Da alle Vorhaben verschoben oder abgesagt wurden, sieht er sich nun auch noch mit Forderungen der Darsteller konfrontiert. „Wir sind ein gemeinnütziger Verein. Wir haben geschaut, dass wir, so weit es halt der finanzielle Rahmen zulässt, faire Gagen bezahlen. Das hat bislang auch immer gut funktioniert. Aber Corona hat gezeigt, wie gering der Zusammenhalt in schwierigen Zeiten ist“, sagt Wischenbart enttäuscht.
Es gibt aber ein – diffuses – Licht am Ende des Tunnels. Zum ersten soll „Pünktchen und Anton“ im April 2021 im Theater Akzent zu sehen sein und „Next to Normal“ im Mai und Juni 2021 in der Ankerbrotfabrik in Wien, bleibt Wischenbart zumindest vorsichtig optimistisch. Es bleibt dem 26-jährigen Wiener auch nichts anderes übrig.
Schauspielerin: "Manchmal denke ich mir, ich pfeif’ drauf“
„Langsam geht mir ein bisschen die Luft aus“, sagt Johanna Orsini-Rosenberg, als Schauspielerin im Film, Theater und Fernsehen tätig: „Man nimmt immer wieder Anlauf und wird dann wieder eingebremst. Dieses dauernde On-Off ist einfach wahnsinnig anstrengend.“
Johanna Orsini-Rosenberg ist in vielen Kreativ- Bereichen zu Hause. Im Fernsehen sah man sie als Polizeipräsidentin in „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, im Kino verkörperte sie „Soldate Jeannette“ für Daniel Hoesl, am Landestheater in Linz spielte sie zuletzt in Martin Plattners „Die Sedierten“ – allerdings nicht lange: „Nach der Premiere wurde noch dreimal gespielt, dann abgebrochen“, seufzt Orsini-Rosenberg: „Dieser Entfall ist auch finanziell sehr bitter, besonders dann, wenn man, so wie ich, freischaffend ist.“
Die Schauspielerin veranstaltet zudem Konzertabende mit Konrad-Bayer-Chansons, die schon Lockdown I zum Opfer fielen.
„Das Problem dabei ist, dass mit einer Absage nicht nur ein einzelner Auftritt wegfällt, sondern ein ganzer Rattenschwanz an Möglichkeiten. Bei jedem Auftritt lassen sich andere, neue Jobs lukrieren. Wir leben von den direkten Begegnungen: Man spielt, wird wahrgenommen, gesehen, gehört, eingeladen – und das fällt jetzt alles flach.“
Den Chanson-Abend hat sie fürs Erste ins Internet gerettet, wo man sich Sonntagabend ab ca. 20.00 Uhr live ins Porgy & Bess zuschalten kann (porgy.at/events/9818): „Aber der energetische Austausch zwischen Bühne und Publikum fehlt. Es ist ein bisschen gruselig.“
Dank der Überbrückungsfinanzierung und der Arbeit, die zwischen den Lockdowns möglich war, kommt sie über die Runden. Aber die Sorge bleibt, ob einem nicht „irgendwann die Kraft, mit der man in ständiger Selbstausbeutung Projekte entwickelt, einmal ausgeht“, so Johanna Orsini-Rosenberg: „Manchmal denke ich mir, ich pfeif’ auf die Schauspielerei. Aber das Problem ist, ich kann nichts anderes.“
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