Dr. Motte: "Leute, habt euch alle lieb"

Mr. Loveparade: Dr. Motte wird am Dienstag im Flex auflegen.
Dr. Motte, der Gründer der Loveparade, über Guetta, die Bedeutung von Techno und die Schlümpfe.

Bei der ersten Loveparade im Jahr 1989 tanzten gerade einmal 150 Menschen über den Berliner Kurfürstendamm . Ein paar Jahre später pilgerten zum Mega-Rave, den Dr. Motte (bürgerlich: Matthias Roeingh) unter dem Motto "Friede, Freude, Eierkuchen" ins Leben rief, fast 1,5 Millionen Teilnehmer aus der ganzen Welt.

Getanzt wurde zu Techno, einer damals noch jungen Musikrichtung. 2010 kam das bittere Ende durch die Tragödie von Duisburg, bei der 21 Menschen starben. Ein Gespräch mit Dr. Motte, der am Dienstag im Wiener Club Flex seine Lieblingstracks spielen wird.

KURIER: Mit welchem Ziel haben Sie damals die Loveparade ins Leben gerufen?

Dr. Motte: Die Idee war, alle Menschen durch die elektronische Tanzmusik zusammenzubringen und alle Freunde werden zu lassen.

Würden Sie im Nachhinein der Loveparade eine wichtige politische Wirkung zusprechen?

Ja, unbedingt. Die Loveparade war die weltweit bekannteste Versammlung für Frieden und Toleranz. Wer damals dabei war, wird das niemals vergessen.

Ihr DJ-Kollege Westbam hat Sie für das goldene Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen. Würden Sie so ein Verdienstzeichen überhaupt annehmen?

Selbstverständlich. Schauen Sie mal, was wir für Berlin und Deutschland erreicht haben! Das ganze Image eines Landes haben wir nachhaltig verändert. Ich würde das stellvertretend für alle annehmen, die dabei waren.

Was hat Techno für Sie persönlich bedeutet?

Techno changed my life. 1988 hab ich die erste Acid House Party in Berlin, in meinem Club "Turbine Rosenheim", veranstaltet. Seitdem ist Techno mein Leben.

Sie sahen Techno auch als Medium der Verständigung. Wie sehen sie das Genre heute? Techno von damals und Techno heute – was hat sich verändert?

Techno war am Anfang eine kleine, elitäre Gruppe. Avantgarde. Wir haben uns aus der Gesellschaft entzogen, um unsere Musik zu hören und dazu zu tanzen. Heute hört fast die Hälfte der Weltbevölkerung elektronische Musik und aus dem kleinen, überschaubaren Underground ist ein hoch professionelles Business geworden.

1995 kam "Tekkno ist cool (Vol. 1)" von den Schlümpfen auf den Markt. Was haben Sie gedacht, als Sie das hörten?

Das hat mit Techno nichts zu tun. Ich ignoriere solche Auswüchse geflissentlich.

Dr. Motte: "Leute, habt euch alle lieb"
BER09 - 20020713 - BERLIN, GERMANY : Dr. Motte, DJ and founder of the Love Parade, makes music on a float during the techno music Love Parade in Berlin on Saturday 13 July2002, but police said the crowd would be only half the million-strong gathering who participated last year, apparently due to terrorism fears. The parade on the June 17th Avenue in central Berlin was graced by warm, sunny weather and the young ravers arrived, as in previous years, scantily clad, blowing whistles and with hair tinted in shades of synthetic colours. EPA PHOTO DPA / MARCEL MITTELSIEFEN /aa hpl fob

Sie haben die Organisation und den Namen "Loveparade" 2006 abgegeben. 2010 war dann das Unglück von Duisburg. Wie beurteilen Sie heute die damalige Situation?

Bereits im November 2005 habe ich das als Fehler gesehen, konnte die vier anderen Gesellschafter der Loveparade Berlin GmbH aber leider nicht überzeugen, weiter zu machen. Dann kam dieser Typ von der Fitnesskette und machte nur noch Marketing für seine Muckibude. Ab da war die Loveparade für mich nur noch eine Karikatur.

Sie kennen Berlin und ihre Clubkultur. Wie hat sich die Stadt in den letzten Jahren verändert?

Als gebürtiger Berliner habe ich mein Leben lang gesehen, dass die Gentrifizierung Berlins alles zerstören kann, was diese Stadt einzigartig und besonders macht. Der Berliner Senat ist nur mit sich selbst beschäftigt und gibt keinen Bestandschutz für diesen Wirtschaftsmotor: Es gibt 30 Millionen Übernachtungen im Jahr – und 70 Prozent davon kommen wegen der Clubkultur. Das muss geschützt und erhalten werden. Berlin muss lebenswert bleiben. Für alle.

Sie wollten in Deutschland das Lärmschutzgesetz ändern. Musik sollte nicht mehr als Lärm gelten. Wie weit sind Sie damit gekommen?

Es ist eine Forderung, die ich an die Politiker stelle. Es bräuchte eine Initiative in jedem Land. Es wäre ein guter Support für Clubs und alle anderen Musikveranstaltungen. Das muss öffentlich und fair diskutiert werden.

In Wien leiden Clubs unter den Lärmbeschwerden der Anrainer. Wie beurteilen Sie die Situation in Berlin?

Auch in Berlin leiden Clubs unter Lärmbeschwerden. Wir sollten Musik nicht als Lärm diskreditieren. Denn Musik ist Kultur und existiert genauso lange wie der Mensch selbst. Man muss auch mal fragen, wieso Menschen Musik als Lärm empfinden. In anderen Kulturen ist das nicht so. Liegt es an der Gentrifizierung der Städte und Zuzug von stadtfremden Menschen? Clubs wie z.B. das Icon in Berlin, der lange existierte, wurden von neuen Anwohnern in Neubauten zerstört. Glücklicherweise hat sich eine neue Location in Kreuzberg gefunden. Dort soll jetzt aber auch gebaut werden. Vielleicht ändert man die Gesetze dahingehend: Bestehende kulturelle Strukturen muss bei der Stadtplanung und bei der Erteilung von Baugenehmigungen geachtet werden. Kultur muss geschützt werden.

Heute ist leicht "DJ" zu sein – die Technik macht’s möglich. Ist das nicht alles zu einfach geworden?

Wieso zu einfach? Gute Technik sagt noch nichts über die Qualität der Musik respektive des DJ-Sets aus. Was zählt, ist gute Musik.

Was fällt Ihnen spontan zu David Guetta ein?

Zu Beginn seine Karriere war er ein guter Unterground-DJ... Jetzt macht er Popmusik.

Was haben Sie sich gedacht, als David Guetta die Fußball-WM eröffnet hat?

Da war doch diese Mottenplage dieses Jahr (lacht).

Bei Festivals fungiert Musik nur mehr als Hintergrundbeschallung. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Ich sehe viele junge Menschen tanzen, wenn ich auflege. Alles andere geht eher um den Hype. Hype ist mir egal. Ich mag Qualitätsmusik …

Glauben Sie noch an die gesellschaftliche Kraft von Musik?

Unbedingt. Im therapeutischen Sinne ist das ein wichtiger Raum für Vielfalt der Kommunikation. Wir alle sollten eine musische Gesellschaft entwickeln und als Kultur für Menschlichkeit weiterpflegen und weiter entwickeln.

Sie haben stets eine Rede bei der Loveparade gehalten. Was würden Sie heute den Jugendlichen, den Teilnehmern an so einer Großveranstaltung, sagen?

Ich würde sagen: Leute, habt euch alle lieb. Tanzt, wo auch immer ihr könnt, und ladet eure Freunde und alle eure Familien dazu ein. Wir sind doch die Familie der Menschen auf diesem wunderschönen Planeten. Und wir alle wollen doch geliebt und verstanden werden.

Zur Person

Matthias Roeingh alias Dr. Motte kam am 9. Juli 1960 in Berlin-Spandau zur Welt. Am 1. Juli 1989 veranstaltete er die erste Loveparade in Berlin. Er gilt als einer der Gründerväter der deutschen Techno- und Clubkultur. Bevor er sich der elektronischen Musik zuwandte, war er Punkrocker und spielte auch in zahlreichen Bands.
Dr. Motte legt heute noch als DJ auf und betreibt das Label Praxxiz. Zudem engagiert er sich für die Berliner Subkultur, unter anderem setzt er sich gegen die Verdrängung von Clubs ein.

Tipp: Am Dienstag spielt er im Wiener Club Flex ein DJ-Set.

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