Der Maler-Star, der keiner sein will

Der Maler-Star, der keiner sein will
Gerhard Richter, der wichtigste und teuerste Maler der Gegenwart wird 80: Zwei große Ausstellungen feiern ihn – er aber sagt, wie immer, wenig dazu.

Die Fotografie einer brennenden Kerze vor diffusem Hintergrund: 1982 hatte Gerhard Richter eine Serie davon gemacht und dann akribisch abgemalt. Rasch wurde sie vom Kunstmarkt zum Symbol der DDR-Bürger gegen das sozialistische Regime stilisiert. Weithin berühmt wurde das Bild aber erst im Oktober 2011, als es um zwölf Millionen Euro versteigert wurde. "Unverständlich, albern, unangenehm", nannte der Maler den Preis, den inzwischen ein abstraktes Bild von ihm mit 20,8 Millionen Dollar schon wieder überbot.

Die Kerzen-Fotos sind Teil der 800 Collagen, die Richter seit den Anfängen zur Grundlage seiner Bilder machte: Porträtfotos Unbekannter, Postkarten, Familien in der DDR, Landschaften, tote RAF-Häftlinge bis zu seinen eigenen nun erwachsenen Kindern. Richter hat alle Fotos akribisch gesammelt und gerahmt und sieht sie unter dem Titel "ATLAS" nun als eigenes Kunstwerk.

"Zu schade zum Wegtun, zu schlecht zum Verkaufen", kokettierte der Künstler am Wochenende bei der Eröffnung von deren Schau in der Kunsthalle seiner Heimatstadt Dresden (bis 22. 4.) . Sie ist ihr Beitrag zum 80. Geburtstag des weltberühmten Sohnes, der die DDR kurz vor dem Mauerbau verlassen hatte und seither in Köln lebt.

Maler-Star

Seit vielen Jahren erzielen Richters Werke die höchsten Auktionspreise eines lebenden Künstlers. Das ist aber keine Marotte eines irrationalen oder nur spekulativen Marktes: Es ist der finanzielle Ausdruck der Stellung Richters für die moderne Kunst. Kein Zeitgenosse hat sich so konstant und richtungsweisend mit dem Sehen und dem malerischen Verarbeiten von Licht und Motiv beschäftigt wie er: Und das in vielen Gestaltungsformen, in denen er jeweils auch mit handwerklicher Meisterschaft ultimative Standards setzte.
Richter gilt als wichtigster Vertreter des Fotorealismus, des Übergangs von der Fotografie zur Malerei – und wieder zurück. Und das als meist subtiler Zeitzeuge. Dabei immer zweifelnd und suchend nach der Perfektion.

All das reiht ihn nach einhelliger Meinung der Kritik ein bei den großen Malern der Geschichte, wie sonst nur wenige Zeitgenossen, vor allem die beiden verstorbenen Briten Francis Bacon und Lucian Freud.

Im Gegensatz zu denen ist Richter aber nun auch den Weg der Abstraktion gegangen und versucht immer neue Varianten, zuletzt auch mit Computer-Hilfe. Und er tut es mit einer Ausdauer, die nie mit sich selbst zufrieden ist, wie der aktuelle Kino-Film "Gerhard Richter Painting" zeigt (ab März als DVD). Aber auch dessen Zusehen bei der Arbeit Richters im Atelier und seine eigenen Kommentare lösen nicht das Rätsel des Genies.

Mysterium

Im einzigen großen Interview zum 80er sagte er der Welt am Sonntag, es gebe, anders als in der Musik, nicht die richtigen Worte, um über Malerei zu reden: "Sie können nicht benennen, warum ein Gemälde besser ist als ein anderes. Es ist nicht eine Frage der Technik, es ist eine andere Qualität, und die bleibt ein Mysterium."

Das sucht der viel jünger wirkende Großmeister immer noch in täglicher Arbeit von acht bis neunzehn Uhr.

Unterbrochen wird das Ritual nur zu Ausstellungseröffnungen wie der in Dresden oder der am Samstag in Berlin. Die bringt er mit seiner Familie aus drei Ehen inklusive dem jüngsten Sohn Theo (6) und dem Hund so rasch und wortkarg hinter sich wie nur möglich: Es sprächen ja seine Bilder.

Jubiläumsschau: Von London nach Berlin: Richters "Panorama"

Der Maler-Star, der keiner sein will

Die Londoner waren die Ersten, die Gerhard Richter gratulierten: Im Oktober 2011 starteten sie in der Tate Modern, ihrer avantgardistischen Kunstfabrik am Themse-Ufer, eine opulente Jubiläumsschau: "Gerhard Richter – Panorama" war neben der Da-Vinci-Schau in der National Gallery das Kunstevent der letzten Monate auf der britischen Insel. Wenn die Berliner Nationalgalerie die Ausstellung nun zu einem wesentlichen Teil übernimmt, darf man auf die Hängung der Kunstwerke dort schon gespannt sein.

Grau

180 Werke aus allen fünf Jahrzehnten des künstlerischen Schaffens Richters bekamen die Besucher in der Tate zu sehen: Seine berühmten "abgemalten" Fotografien, durch Verwischen verfremdet; "zerstörte", dekonstruierte Landschaften und Städte wie "Mondlandschaft" und "Seestück"; Richters graue Bilder ("die einzige Farbe, mit der sich das Elend des Lebens darstellen lässt"); auch die Farbfeuerwerke seiner großen abstrakten Gemälde wie "Gelbgrün" oder "Chinon". Und riesige Glasskulpturen – alles perfekt präsentiert in der Tate.

Wie ein roter Faden zieht sich die Auseinandersetzung mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts durch Richters Werk: Der Zyklus "18. Oktober 1977" thematisiert auf fünfzehn Leinwänden – gemalt nach damals erschienenen Pressefotos – das Ende der RAF-Terroristen rund um Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Das Gemälde "September" über die Terroranschläge in New York am 11. September 2001 – entliehen aus dem New Yorker Museum of Modern Art – schließt den vorläufigen Kreis der Gewalt, den Richter abbildet.

Wie der wortkarge Künstler auf Fragen nach seinem Oeuvre reagiert, war in London auf Videos zu sehen: Er verfolge keine Absichten, kein System, keine Richtung; er habe kein Programm, keinen Stil, kein Anliegen, erklärte Richter da. "Ich mag das Unbestimmte und die fortwährende Unsicherheit. "

Susanne Lintl

INFO: "Gerhard Richter – Panorama": 12. 2.–13. 5., Berlin, Neue Nationalgalerie. Ab 6.6. ist die Schau im Centre Pompidou Paris zu sehen.

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