"... dann ist das die Bankrotterklärung"

Symbolbild
Berater Markus Andorfer über den ORF, die Wahl, dessen Probleme und seine Möglichkeiten.

Am 28. Juli endet die Bewerbungsfrist für die Funktion des ORF-Generaldirektors. Welche Aufgaben auf diesen warten, analysiert Markus Andorfer.

KURIER: Wird es die Wahl ein Match Wrabetz gegen Grasl oder rechnen Sie mit weiteren Bewerbern?

Markus Andorfer: Nein, sicher nicht. Auch wenn noch hundert Mal beteuert wird, dass die Bestellung des ORF-Generals nichts mit Politik zu tun habe, ist klar, dass außer den Beiden niemand sonst ernsthaft in Erwägung gezogen werden würde. Damit ist auch klar, dass sich niemand Namhafter bewerben wird. Das ist schade, weil der ORF als Milliarden-Unternehmen im deutschsprachigen Raum wie auch auf dem europäischen Markt noch immer ein relevanter Player ist. Deshalb wäre meiner Meinung nach das Bestellungsprozedere so zu gestalten, dass sich auch ein europäisches Bewerberfeld dafür interessieren müsste. So aber verkommt die Bestellung des Chefs eines Millarden-Unternehmens zur Lokal-Polit-Posse.

Gleichzeitig ist die Quoten-Situation des ORF und noch mehr jene am Werbemarkt alarmierend.

Alarmierend ist das richtige Wort. Am österreichischen Werbemarkt ist die ProSieben-Gruppe dabei, den ORF nachhaltig zu überholen. Das sind nicht mehr nur Ausreißer-Tage. Es schaut so aus, als gäbe es bald den sogenannten Tipping-Point - dann brauchen Werbetreibende nicht mehr zwingend den ORF, um ihre Botschaft entsprechend unters Volk zu bringen. Und das Fatale ist ja, der Verlust am Werbemarkt verläuft nicht parallel zu jenem am Sehermarkt, der ebenfalls dramatisch ist. Sondern das geht dann abrupt. Vor zehn Jahren war das ein Szenario, das nicht vorstellbar war. Jetzt aber steht der gesamte Werbekuchen des ORF-Fernsehens zur Disposition.

Für die Werbung sind vor allem junge Seher wichtig, doch das ORF-Programm ist, gleich auf welchem TV-Sender, eher auf Ältere abgestimmt.

Die Folgen sind offensichtlich: Der ORF hat in den letzten 10 Jahren in der werberelevanten Zielgruppe der 12- bis 49 Jährigen 15 Prozentpunkte Marktanteil verloren. Das entspricht beinahe einer Halbierung. Verluste, zumal in diesem Ausmaß, müssen nicht sein. Als dramatisch sehe ich die Entwicklung in ORFeins. dessen Zielgruppe sich die gleichen Serien trotz Werbeunterbrechungen inzwischen bei ProSieben anschaut. Das zeigt die Marke ORFeins einen massiven Imageverlust bei den Jungen erlitten hat. Den wird man aber sicher nicht damit los, dass man auf US-Serien ganz verzichtet, wie das auch schon vorgeschlagen wurde.

Was ist das Problem?

Der Hauptgrund ist die Vermischung der Kanäle ORFeins und ORF2. Es gibt keine klaren Sender-Profile. Das beginnt schon bei der On-Air-Promotion reicht bis hin zum Programm: „ORF wie wir“ über alle Sender hinweg zu promoten, halte ich für einen Fehler. Wenn man schon das Glück hat, zwei Sender-Marken zu haben, dann muss man diese in der Strategie konsequent umsetzen. Wenn ich diesbezüglich Richard Grasls Vorstellungen richtig deute, würde diese Vermischung noch verstärkt werden, was ein Kardinalfehler wäre. ORFeins muss die werberelevante Zielgruppe bedienen, ORF2 die Älteren. Entsprechend muss auch programmiert werden. Nur weil heute etwas auf ORFeins läuft, heißt das noch lange nicht, dass das für Junge gemacht oder von denen gesehen wird.

Was ist also zu tun?

"... dann ist das die Bankrotterklärung"
Markus Andorfer
Mehr und zielgerichtete Eigenproduktionen in den unterschiedlichen Programmfarben. Im Grunde muss das in jedem Hauptabend stattfinden.

Dafür ist das Geld nicht da.

Womit wir beim Kernpunkt sind: 60 Prozent der ORF-Ausgaben gehen in Overheads und nicht ins Programm. Das betrifft vor allem Personal und Technik-Kosten. Vergleichbare Sender liegen bei 30 Prozent, eventuell auch weniger. Das heißt, hier muss der Hebel angesetzt werden. Tut man es nicht, ist das die Bankrott-Erklärung des Managements und man gefährdet mittelfristig die Existenz des ORF und zuvor noch die Relevanz bei den Zusehern. Über alles weitere wie Social Media usw. muss man dann gar nicht mehr philosophieren. Es wird spannend zu sehen, wieweit die Konzepte, wenn sie vorliegen, diesen Punkt aufgreifen. In einer Agenda 2025 muss das Ziel bei den Kosten 70 Prozent Programm zu 30 Prozent Overheads festgeschrieben sein!

Interessanterweise drehten sich jüngste Diskussionen aber nicht ums Programm, sondern um die Frage, ob es eine Direktion für die Technik, die einen Gutteil der Mitarbeiter umfasst, braucht im ORF oder nicht. Was meinen Sie?

Ich verstehe schon, dass es traditionelle Strukturen gibt. Da muss man aber Mut haben und sich überlegen, wie man die Technik nach und nach über einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren outsourcst und an den Markt heranführt, so dass sie als Dienstleister – für den ORF und andere - bestehen kann. Es wird ja auch kein Film und keine Serie mehr heute von einem ORF-Team gemacht sondern von privaten Dienstleistern, sprich Produktionsfirmen. Fernsehen wird es trotzdem weiter geben. Im restlichen deutschsprachigen Raum haben die Sender zum Teil ja bereits rigorose Einschnitte diesbezüglich hinter sich. Ein Sender wie ProSieben besitzt heute nicht einmal mehr eine eigene Kamera – wozu auch. Es ist das alles problemlos am Markt verfügbar und man arbeitet mit zum Teil langjährigen Partnern zusammen.

Darf sich ein Öffentlich-Rechtlicher so abhängig machen vom Markt?

Es gibt eine Vielzahl an Anbietern - es liegt dann am ORF, jene mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis zu finden. Da sehe ich also keine Abhängigkeit. Auch wenn man das am Küniglberg sicher nicht gern hört – es ist das in diesem Bereich auch nicht anders als bei der Autoindustrie: Einer baut den Motor, einer die Karosserie, ein weiterer liefert die Reifen usw. und am Ende wird das zusammengebaut und es verkauft das Marketing das Produkt über das Design und die Marke.

Fernsehmachen kann man nicht mit einer Fabrik vergleichen, heißt es immer.

Fernsehmachen heißt Kreativität, Programmideen, Journalismus. Dafür muss man das Geld freimachen, das ja da ist bei einem Umsatz von knapp einer Milliarde Euro wie beim ORF. Abe wo sind denn die vielen großartigen eigenrecherchierten Geschichten, die Korrespondenten-Magazine, aber auch eigenentwickelten Shows und viele Fiction? Genau dafür aber bezahlen die Zuseher ihre Gebühren.

Es gibt schon einiges, was beim Publikum zieht, Leuchttürme, wie es im ORF-Jargon heißt: Dancing Stars, Millionenshow, Vorstadtweiber oder jetzt eben die Liebesgschichtn.

Die sogeannten Leuchttürme, die es noch gibt, sind nahezu alle 10 Jahre oder länger auf Sendung. Aber was drängt nach, was könnte das Bessere sein, dass der Feind des Guten ist? Womit wir wieder beim Geld sind, das man freibekommen muss im ORF-Budget: Wenn man kein Geld hat, um Sendungsideen zu entwickeln, auszuprobieren und alles immer sofort funktionieren muss, dann gerät man in eine Abwärtsspirale der Risikolosigkeit und Fadesse - die Angst vor dem Programmmisserfolg ist der Tod des Programmmacher. Denn es gibt keine Erfolgsgarantie: Auch ein John de Mol hat neben Erfolgsformaten wie „The Voice“ oder „Big Brother“ weniger tolle Formate in die Welt gesetzt. Diesen Geist, wieder Risiko zu nehmen, Programmideen selbst zu entwickeln und auch umzusetzen, der muss stärker geweckt werden. Dafür braucht es Geld und Sendeflächen, die es bei vier ORF-TV-Sendern auch geben sollte.

Ähnliches könnte man dann wohl über die Moderatoren des ORF sagen.

Völlig richtig. Das Musikfernsehen, das wie früher mit beispielsweise Mirjam Weichslbraun für Moderatoren-Nachschub sorgte, gibt es so nicht mehr. Also muss man selbst Talente entwickeln und das geht nur, wenn sie vor der Kamera stehen können. Ich bin mir in diesem Zusammenhang nicht sicher, ob es der richtige Weg ist, Ö3-Moderatoren ins TV zu transferieren, so wie man das jetzt hin und wieder tut. Der ORF aber hat ja wie gesagt vier TV-Sender, die kann man noch besser nützen. Und ich wiederhole mich: Dafür muss man experimentierfreudig sein und es braucht Geld, das man freimachen muss.

Was, wenn sich nichts ändert?

Dann schaut das Szenario trist aus: Man probiert nichts, keine Sendungen, keine Moderatoren, es gibt keine Ideen mehr, weil sie keine Chance auf Umsetzung haben – mittlerweile ist der ORF offenbar auch schon von einem internationalen Kreativaustausch abgeschottet. Da bekommt man immer wieder den Eindruck, die Redakteure erfahren von den Programmentwicklungen großer deutscher Sender erst aus den Programmmedien. In den 80ern hat der ORF im großen Orchester mitgespielt, Mitarbeiter von dort waren gefragt. Das hat sich in den vergangenen 15 Jahren merklich abgekühlt.

Wie sehen Sie die Unterhaltung im ORF?

Als Öffentlich-Rechtlicher muss man sich bewusst sein, dass Unterhaltung ein Bestandteil des Auftrags ist, das sie dazu gehört wie auch Film und Serien. Dazu muss man sich ebenso bekennen, wie man es bei der Information ohne Zögern tut. Ansonsten landet der ORF in einer Ecke wie vor einigen Jahren die deutschen Öffentlich-Rechtlichen. Die haben darüber diskutiert, ob sie Unterhaltung noch brauchen oder ob sie nicht lieber nur aus Nachrichten und Sport bestehen wollen. Das wäre kommerziellen Konkurrenten natürlich ganz sicher recht. Jedenfalls dieses deutliche Bekenntnis zur Unterhaltung, und speziell jener für die junge Zielgruppe, fehlt mir beim ORF.

Ist das noch die Nachwirkung der „größten Programmreform aller Zeiten“ und von „Mitten im Achten“, dessen Quoten man sich heute wünschen würde?

Das ist diese Misserfolgsangst. Ja, es stimmt, Unterhaltung ist schwierig und Misserfolge sind vorprogrammiert. Deshalb braucht es Mut und diese Einstellung muss von ganz oben vorgelebt werden. Für einen Kardinalfehler halte ich in diesem Zusammenhang auch den Umstand, dass im ORF die Programmverantwortliche (Fernsehdirektorin Kathrin Zechner, Anm.) nicht über das Programmbudget entscheidet.

Die ORF-Information ist ins Gerede gekommen wegen schwerwiegender journalistische Fehler, zuletzt gab es aber auch Kritik, was Reaktionszeiten betrifft bzw. wie mit Ereignissen umgegangen wurde.

Das fügt sich ins Gesamtbild, wie man den ORF von außen in der Branche wahrnimmt. Da kommt die Budgetproblematik zum Tragen, aber auch, wie man intern organisiert ist. Da steht man sich auch gegenseitig im Weg. Dabei gäbe es beispielsweise mit ORFIII auch eine wunderbare Spielwiese für neue Formate, junge Journalisten koordinierte Social Media-Aktivitäten inklusive. Es ist schon klar, dass ORF2 das Flaggschiff ist auch für die Information, aber bei niederschwelligen Ereignissen und als Entwicklungsplattform ist ORFIII sicher nicht ausgereizt.

Ein Problem auch in Hinblick auf den Werbemarkt ist, wie vereint man junge Zielgruppen und den Informationsauftrag?

Eine ZiB20 oder das sogenannte Magazin davor sind Showstopper in ORFeins. Da reicht ein Blick auf die Quoten. Und diese in Wirklichkeit ja nur wenige Minuten langen Formate werden trotzdem als Aushängeschilder des Engagements für junge Seher verkauft - das geht sich nicht aus. Eine notwendige Überlegung wäre, ORFeins ganz klar auf die Bedürfnisse der Jungen und damit der Werbewirtschaft hin auszurichten und die Information im Zweier-Kanal so zu attraktivieren, dass sie auch junge Seher anzieht. Jetzt kommt ORF2 daher wie das ZDF vor 10 Jahren. Aber in ORFeins so ein wenig auf RTL2-Nachrichten zu machen, funktioniert eben auch nicht.

Der ORF soll neu aufgestellt werden, es soll auf dem Küniglberg ein echtes ORF-Zentrum kommen. Das Herzstück ist der trimediale Newsroom. Wie sehen Sie das?

Trimedialer Newsroom klingt toll, ist aber vor allem einmal eine bauliche und technische Maßnahme. Wenn das von den notwendigen Innovationen im ORF übrigbleibt, dann ist man auf dem Holzweg. Hauptthema kann nicht der Ort sein, wo alle Info-Redakteure werden sitzen müssen, sondern die Frage, wen will man wie und womit erreichen? Immerhin war man jetzt einmal im journalistischen Konsortium für die Panama Papers vertreten - das muss das Ziel sein, ein News-Kompetenzzentrum zu sein und zwar im österreichischen, europäischen oder wie bei den Panama Papers im globalen Kontext. Das ist die Herausforderung: tatsächliche Relevanz zu haben in bestimmten Bereichen und sich nicht damit zufrieden zu geben, dass man weltberühmt in Österreich ist.

Zur Person: Markus Andorfer

Markus Andorfer, 1969 in Linz geboren, startete bei SAT.1 als Programmplaner und Marktforscher, war bei ATV Programmchef, baute Comedy Central und Nickelodeon im D-A-CH-Gebiet auf. Heute Produzent und Berater für TV, Streaming, Vermarktung. Auf der Kundenliste u.a.: Disney, Discovery, Red Bull Media House, NBC Universal, DMAX, Ogilvy, MirriAD.

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