Wien sucht Pflegeeltern für junge Flüchtlinge

Beatrice R. aus Wien hat mit Isabella bereits ein Pflegekind. Zurzeit wartet die 53-Jährige auf weiteren Familienzuwachs – aus Afghanistan.
Bei der MAG11 will man unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Pflegefamilien unterbringen. Die Nachfrage ist groß.

Isabella nennt Beatrice R. „Mama“, für sie ist das ganz selbstverständlich. Dabei war die Schülerin bereits dreieinhalb Jahre alt, als sie einzog. Als Pflegekind, weil die leiblichen Eltern nicht in der Verfassung waren, für sie zu sorgen.

Sie kam, um zu bleiben. Anfang November feiern Isabella und ihre Pflegemutter ihr 8. „Jubiläumsfest“ – für die Kleine „eine Art zweiter Geburtstag“. Was sie sich wünscht: Ein Geschwisterchen. Und wie es ausschaut, bekommt sie auch eines: voraussichtlich einen achtjährigen Afghanen, dem ohne Eltern die Flucht nach Österreich gelungen ist.

Frau R. (53) gehört nämlich zu jenen Wienern, die sich vorstellen können, einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling – zumindest vorübergehend – ein neues Zuhause zu geben. Bei einem Infoabend der MAG11 (Kinder, Jugend und Familie) zu diesem Thema fanden sich Ende September 50 Interessierte ein. Und wegen der regen Nachfrage ist am 3. November eine weitere Veranstaltung in der Brigittenauer Wasnergasse 33 geplant.

Integrationsfaktor Familie

Pro Monat kommen im Schnitt 30 elternlose Kinder unter 14 Jahren an. Der weitaus größere Teil, der hier strandet, ist aber 15 bis 18 Jahre alt. Insgesamt sind zurzeit 732 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Wien untergebracht.

Für sie werden adäquate Unterkünfte gesucht. „Pflegefamilien haben ein anderes Niveau als eine Bundes- oder Landeseinrichtung“, betont Martina Reichl-Roßbacher, die Leiterin des Referats für Adoptiv- und Pflegekinder (RAP). „Der Integrationsfaktor ist sehr hoch.“

Aufgrund der akuten Dringlichkeit hat die Stadt, die für die Unter-14-Jährigen verantwortlich ist, daher die Vergabekriterien für Pflegeeltern vereinfacht: Statt aufwendige Kurse, die sich über ein Dreivierteljahr hinziehen, müssen Interessierte zum Beispiel bloß eine dreitägige Schulung absolvieren.

Dort geht es nicht nur um die rechtlichen Rahmenbedingungen, sondern auch um die Besonderheiten, auf die man sich einstellen muss, wenn man einen jugendlichen Flüchtling muslimischer Herkunft in die Familie integrieren will: um interkulturelle Unterschiede und sprachliche Defizite, um Traumatisierung oder auch um die mögliche erneute Trennung – nach Kriegsende etwa, oder wenn die leiblichen Eltern nach Österreich nachkommen.

Die Vergabe dauert dennoch länger als ein paar Tage. Denn um die bestmögliche Unterkunft für die oftmals traumatisierten Schützlinge zu finden, überprüft die MAG11 erst die Interessenten – dabei kann es sich auch um Alleinerziehende oder gleichgeschlechtliche Paare handeln – punkto Leumund, Einkommen, Wohnsituation und zeitliche Möglichkeiten.

Mitspracherecht des Kindes

Spricht nichts gegen eine Pflegeelternschaft, wird gemeinsam mit der Asylkoordination ein passendes Kind gesucht. Beim gegenseitigen Kennenlernen ist ein Dolmetscher dabei und bei der Anbahnung hilft die Behörde.

„Die Kinder selbst sind in die Entscheidung ebenso mit eingebunden, wie – nach Möglichkeit – ihre leiblichen Eltern“, erklärt Reichl-Roßbacher. „Es kann sein, dass die Eltern noch in einem Flüchtlingslager in der Türkei sitzen und der einzige Familienkontakt, den das Kind hat, ist sein Handy.“

Die Verantwortung für den Schützling teilen sich letztlich vier Stellen: Asylkoordination, MAG11, das Jugendamt als gesetzliche Vertretung und die Pflegeeltern, die für den Alltag des Kindes zuständig sind und ein monatliches Pflegegeld erhalten. (Bei 6- bis 10-Jährigen sind das 505€, bei 10- bis 15-Jährigen 520€ und ab 15 Jahren 560€.)

Dass die Obsorge für einen Flüchtling eine besondere Herausforderung ist, dürfe nicht abschrecken, meint Beatrice R. – zumal absehbar sei, „dass er nur ein paar Jahre bleibt“. „Da muss man offen und lernbereit sein."

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