Vergewaltigung in Jugendhaft: 17-Jähriger verurteilt

Der Vergewaltigungsfall wurde im vergangenen Juni bekannt und führte zu einer breiten Debatte über den Jugendstrafvollzug. (Bild: Die Jugendabteilung in der Justizanstalt Josefstadt)
Angeklagter soll einen 14-jährigen Mithäftling vergewaltigt haben. Das Urteil: 15 Monate Haft - nicht rechtskräftig.

Ein mittlerweile 17-jähriger Bursch, der am 6. Mai 2013 in der Justizanstalt Josefstadt einen 14 Jahre alten Mithäftling misshandelt und vergewaltigt haben soll, ist am Dienstag in vollem Umfang der Anklage schuldig gesprochen worden. Das Urteil lautete auf 15 Monate unbedingte Haft. Der Schuldspruch wegen Vergewaltigung, Körperverletzung und Nötigung ist nicht rechtskräftig.

Schuldsprüche setzte es auch für zwei Mitangeklagte, die gemeinsam mit Täter und Opfer in einer Zelle gesessen waren und dem misshandelten 14-Jährigen nicht geholfen hatten. Die beiden Burschen wurden wegen Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung, einer der beiden zusätzlich wegen Körperverletzung zu jeweils vier Monaten auf Bewährung verurteilt.

"Klassische Demütigung"

Bei einem Strafrahmen von bis zu fünf Jahren fand der Schöffensenat beim 17-Jährigen mit einer Strafe an der Untergrenze das Auslangen. Obwohl dieser nach einem schweren Raub noch bis 2016 eine dreijährige Freiheitsstrafe abzusitzen hat und daher eine gravierende Vorstrafe aufweist, waren für das Gericht für die Vergewaltigung 15 Monate angemessen. "Sie sind sicher kein Sexualtäter", meinte Richter Norbert Gerstberger. Er bezeichnete die Misshandlung mit dem Besenstiel als "klassisches Demütigungsverhalten von Jugendlichen im Zuge der Haftbedingungen".

Bei den Mitangeklagten war bei der Strafbemessung auf zwei jeweils aus vorangegangenen Raubüberfällen resultierende Vorstrafen Bedacht zu nehmen. Die je vier Monate wurden daher als Zusatzstrafen zu Freiheitsstrafen von 24 zu 21 Monaten verhängt und auf Bewährung ausgesprochen, da sich die Burschen seit längerem wieder auf freiem Fuß befinden und mittlerweile einen Job bzw. eine Lehrstelle gefunden haben.

Justizministerin in Bedrängnis

Der Fall hatte im vergangenen Sommer für heftige Diskussionen um den Jugendstrafvollzug gesorgt und der damaligen Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) herbe Kritik eingetragen (siehe Chronologie). Diese richtete dem 14-Jährigen in einer ersten Reaktion auf die erlittene Misshandlung aus, der Strafvollzug wäre "kein Paradies" und schloss eine Entschädigungsmöglichkeit für den Burschen aus. Erst Tage später ruderte Karl zurück und setzte eine Task Force ein, die Verbesserungen im Jugendstrafvollzug in die Wege leitete. Seither ist die Unterbringung von minderjährigen Häftlingen in Zwei-Mann-Zellen obligatorisch. Generell soll U-Haft für Jugendliche vermieden bzw. verkürzt werden.

Der 14-Jährige war im vergangenen Frühjahr mit drei deutlich älteren Burschen in einer Zelle gesessen. Probleme dürfte er vor allem mit einem im Oktober 1996 geborenen, ursprünglich aus Südamerika stammenden Burschen gehabt haben. Wie Staatsanwalt Sebastian Kleibel zu Beginn der Verhandlung darlegte, versetzte der Ältere dem Burschen am 6. Mai, nachdem abends die Zelle geschlossen wurde, nach einer verbalen Auseinandersetzung zunächst mehrere Ohrfeigen und stieß ihn schließlich zu Boden. Gemeinsam mit einem weiteren, knapp 17-Jährigen Mithäftling soll er dem am Boden Liegenden Faustschläge in den Bauch versetzt und den Wehrlosen mit Füßen getreten haben.

Nach Darstellung des Staatsanwalts hatte sich die Situation danach fast schon wieder beruhigt, als der 14-Jährige den dritten Mitgefangenen ansprach, der unbeteiligt zugesehen hatte. Das veranlasste den gebürtigen Südamerikaner, neuerlich auf den 14-Jährigen loszugehen. Er misshandelte ihn laut Anklage zunächst mit einem nassen Geschirrtuch, leerte dann einen Mistkübel am Boden aus und ließ den körperlich unterlegenen Burschen die Abfälle und Essensreste mit einem Löffel essen, nachdem er zuvor noch hineingespuckt hatte.

Unter Androhung weiterer Schläge soll er den 14-Jährigen dann gezwungen haben, sich komplett nackt auszuziehen. Der Anklage zufolge musste sich der mittlerweile verängstigte und eingeschüchterte Jugendliche gegen die Wand stellen und wurde von seinem Peiniger mit einem Besenstiel malträtiert, wobei jener ihn noch besonders gedemütigt haben soll, indem er ihn aufforderte, laut zu stöhnen.

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Der 14-jährige Bursch, der im vergangenen Mai in der Justizanstalt Wien-Josefstadt vergewaltigt wurde, hatte fünf Tage in der Zelle verbracht, bis es zu den gewalttätigen Übergriffen kam. Diese bewirkten letztens Änderungen im Jugendstrafvollzug, eine Task Force erarbeitete Möglichkeiten, die U-Haft für Minderjährige vermeiden bzw. verkürzen soll. Im Folgenden eine Chronologie:

29. April 2013: Der 14-Jährige wird mit zwei älteren Komplizen und einem noch nicht 14 Jahre alten und daher strafunmündigen Burschen festgenommen, nachdem das Quartett versucht hat, in Wien einem älteren Mann auf der Straße mit zwei gezückten Messern Wertgegenstände wegzunehmen.

2. Mai 2013: Nach einer Einvernahme, in welcher der Bursch auf die Haft- und Rechtsschutzrichterin keinen nachhaltig geistig beeinträchtigten Eindruck macht, verhängt das Wiener Straflandesgericht über den 14-Jährigen die U-Haft. Als Haftgrund wird Tatbegehungsgefahr angenommen. Der Bursch kommt mit drei Burschen - zwei sind zu diesem Zeitpunkt 16, einer 17 Jahre alt - in eine Zelle.

6. Mai 2013: Der 14-Jährige wird am Abend nach einer verbalen Auseinandersetzung von einem 16 Jahre alten Mitgefangenen zunächst geohrfeigt, geschlagen und getreten. Dann zwingt ihn der Peiniger, Abfall und alte Speisereste aufzuessen. Der 14-Jährige muss sich entkleiden und wird mit einem Besenstiel malträtiert.

7. Mai 2013: Der 14-Jährige meldet der Justizwache den Vorfall, die Verdächtigen werden umgehend - teilweise sogar in andere Justizanstalten - verlegt. Der 14-Jährige bleibt in Haft.

14. Mai 2013: Um 12.00 Uhr trifft bei der Staatsanwaltschaft ein Bericht der Jugendgerichtshilfe ein, in dem von einer verminderten geistigen Reife des 14-Jährigen die Rede ist und die Vermutung geäußert wird, dieser könnte noch nicht reif genug sein, um das Unrecht seiner Tat einzusehen. Damit wäre gemäß § 4 Absatz 2 Ziffer 1 Jugendgerichtsgesetz (JGG) keine Strafbarkeit gegeben. Noch am selben Tag bringt die Staatsanwaltschaft gegen den Burschen und die zwei strafmündigen mutmaßlichen Komplizen eine Anklage wegen versuchten schweren Raubes ein. Die Staatsanwaltschaft weiß zu diesem Zeitpunkt von der Vergewaltigung, die der 14-Jährige erlitten hat und die bei der Anklagebehörde zur Anzeige gebracht wurde.

15. Mai 2013: Die Raub-Anklage fällt in der Jugendabteilung des Straflandesgerichts an. Der Akt wird der Jugendrichterin Daniela Zwangsleitner zugeteilt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft bestellt die Richterin eine psychiatrische Sachverständige, um den Geisteszustand des 14-Jährigen abklären zu lassen.

10. Juni 2013: Die Gutachterin Gabriele Wörgötter teilt der Justiz per Mail mit, dass sie die Einschätzung der Jugendgerichtshilfe teilt. Darauf wird der Jugendliche von der Richterin unverzüglich mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft enthaftet. Er kommt bei einer betreuten Wohngemeinschaft unter.

25. Juni 2013: Die Wochenzeitung Falter macht den Fall publik, nachdem die Wiener Jugendrichterin Beate Matschnig bei einer nicht medienöffentlichen Enquete von der Vergewaltigung berichtet hat.

26. Juni 2013: Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) reagiert nach Bekanntwerden des Übergriffs mit der Aussage, der Strafvollzug sei "kein Paradies". In einem "ZIB2"-Interview bemerkt Karl, die ihr Jus-Studium mit ausgezeichnetem Erfolg abgeschlossen hatte, auf die Frage nach Entschädigungsmöglichkeiten für den Burschen, sie könne das "juristisch nicht beurteilen". Und weiter: "Also ich kann als Justizministerin nicht da sitzen und mit dem Geld um mich werfen."

28. Juni 2013: Karl räumt nach breiter medialer Kritik an ihrer Performance Fehler der Justiz ein und stellt im Rahmen einer Pressekonferenz fest: "Aus heutiger Sicht hätte man das Opfer nicht in diese Zelle sperren dürfen." In weiterer Folge setzt Karl eine Task Force Jugendhaft ein, die die Haftbedingungen für jugendliche Häftlinge verbessern soll.

8. Juli 2013: In der betroffenen JA Josefstadt werden erste Maßnahmen ergriffen, um Jugendlichen die Haft zu erleichtern. Die Einschlusszeiten in die Zellen werden verkürzt, die Hafträume werden nur mehr mit maximal zwei Burschen belegt.

12. Juli 2013: Justizministerin Karl kündigt an, den Jugendstrafvollzug "deutlich verbessern" und "ein echtes Vorbild für Europa" sein zu wollen. Sie präsentiert ein 25 Punkte umfassendes Maßnahmepaket. Überschattet wird ihre Pressekonferenz vom Selbstmord eines 18-Jährigen in der JA Gerasdorf.

17. Juli 2013: Der Raubprozess gegen den vergewaltigten 14-Jährigen muss aus gesundheitlichen Gründen - der Bursch soll sich in einem psychisch angeschlagenem Zustand befinden - auf unbestimmte Zeit verschoben werden.

30. Oktober 2013: Die Task Force Jugendhaft legt ihren Abschlussbericht vor. Darin wird "Haftvermeidung" forciert. Die Experten empfehlen die Unterbringung von Jugendlichen in betreuten Wohngruppen statt im Gefängnis, sofern die Schwere des ihnen angelasteten Delikts dies zulässt.

1. April 2014: Der Peiniger des 14-Jährigen sowie die beiden Burschen, die untätig zugeschaut haben sollen, müssen sich vor Gericht verantworten. Sie bekennen sich zur Vergewaltigung bzw. Unterlassung der Verhinderung einer mit Strafe bedrohten Handlung "nicht schuldig". Der nach wie vor offene Raubprozess gegen den 14-Jährigen soll in den kommenden Wochen über die Bühne gehen.

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