Missbrauch: Die späte Suspendierung

Missbrauch: Die späte Suspendierung
Trotz massiver Sex-Vorwürfe von Insassinnen benötigte Justizbehörde vier Monate für Entscheidung.

Eilig scheint es niemand zu haben. Während der Falter und der KURIER aus dem Abschlussbericht zu einem Justizwachebeamten, der Insassinnen in der Anstalt Wien Josefstadt missbraucht haben soll, zitieren, hörte man aus dem Justizministerium lange nichts: Am Mittwoch um 14 Uhr war immer noch nicht entschieden, ob "Elvis", wie der Beamte mit Spitznamen im Gefängnis heißt, im Dienst bleibt.

Zur Ehrenrettung der Justizverwaltung war am Dienstag der mächtige Sektionschef Christian Pilnacek ausgerückt: "Wir haben den Bericht noch nicht in Händen." Nur: Der Abschlussbericht des Bundesamtes für Korruptionsbekämpfung, der dem KURIER vorliegt, langte bereits am 20. Juni bei der dem Ministerium weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft Wien ein. Seitdem soll es "weitere Bearbeitungen" gegeben haben, heißt es bei der Anklagebehörde.

"Weitere Bearbeitungen"? Zeit scheint bei den Ermittlungen bisher kein relevanter Faktor gewesen zu sein: Denn bereits im August 2012 hatte die Wachebeamtin Andrea K. vorbildlich und "gemäß ihrer Dienstpflicht" (aus dem Akt) Alarm geschlagen. Insassinnen hatten sich ihr anvertraut.

Die Einvernahmen zeigen, wie ein Beamter seine Stellung hinter Gittern ausgenutzt haben soll, um die ihm ausgelieferten Frauen zu sexuellen Handlungen zu nötigen. Hinter Gittern schien es ein offenes Geheimnis zu sein: Der "Elvis" habe sich für weibliche Insassinnen stets "besonders eingesetzt", schildert ein Ex-Häftling. In der eintönigen Welt des Häfens sind das oft kleine Gefälligkeiten – von Getränken bis zu Süßigkeiten. Und "Elvis" war der Herr über den Alltag: Er entschied mit, wer Arbeit und somit Abwechslung hatte, und wer nicht. Und der Beamte schien die Macht, die er im Häfen hatte, zu missbrauchen. Petra K.* erinnert sich an die Zeit in der Haft. "Mitkommen", forderte sie der Beschuldigte auf. Im "Aufenthaltsraum neben der Herrentoilette" musste sie sich "locker" machen, sagt sie. "Er hat kein Kondom verwendet." Aus Angst, ihre Beschäftigung in der Justizanstalt zu verlieren, habe sie die sexuellen Übergriffe über sich ergehen lassen.

Silvia P.* schildert, wie sie sich gegen seine Versuche wehrte. Er habe sie "gegen meinen Willen geküsst", sie ins "Putzkammerl" zitiert. "Ich bin am Türstock stehen geblieben." Sie sei regelmäßig "am ganzen Körper" ausgegriffen worden.

Vier Ex-Häftlinge erzählen unabhängig voneinander von mehreren Vorfällen von 2011 bis 2012 – von Übergriffen, Belästigungen und sexistischen Bemerkungen.

"Elvis" war offenbar stets alleine mit den Frauen. Sie hatten Putz-, er Wachdienst. Ein Umstand, der im größten Frauengefängnis Österreichs in der Schwarzau "praktisch nicht vorkommt", erklärt Direktor Gottfried Neuberger (siehe unten).

Verdacht verdichtet

Strafrechtsexperte Wolfgang Gratz mahnte im KURIER ein, die Behörde müsse Signale senden: "Wie reagieren wir, wenn etwas passiert?" Es fehle eine "Führungskultur". Gratz’ Rat griff lange niemand auf – bis Mittwochnachmittag. Die Vollzugsdirektion bestätigte auf KURIER-Anfrage, dass der Beamte suspendiert worden sei. Die Verdachtslage, die seit Jahren bestand, habe sich "verdichtet". Der Beamte streitet die Vorwürfe ab.

Justizgewerkschafter Albin Simma macht einen anderen Skandal aus: "Die Untersuchungen laufen seit zwei Jahren. Das ist schon der Skandal." Für den Personalvertreter sei "die Dienstbehörde gefordert – zum Schutz unserer Berufsgruppe".

Rascher reagiert hat die Behörde bei Andrea K., die den Fall gemeldet hatte. Sie wurde 2012 vorsorglich versetzt.

(*Namen geändert)

Gottfried Neuberger ist seit 2005 Leiter der Justizanstalt für Frauen in Schwarzau am Steinfeld in NÖ. Das Gefängnis ist für bis zu 171 weibliche Häftlinge eingerichtet, die eine Strafe von mehr als 18 Monaten abzusitzen haben. Es gibt auch eine Mutter-Kind-Abteilung, in der Gefangene ihre Kinder bis zum zweiten Lebensjahr betreuen dürfen.

KURIER: Sind sexuelle Kontakte in Ihrer Anstalt ein Thema?

Gottfried Neuberger: Als neuer Anstaltsleiter habe ich natürlich Flirtversuche mitbekommen, auch wenn ich weiß, dass ich nicht George Clooney bin. Man muss von Anfang an vorsichtig sein, was man tut und was man sagt. Man muss klare Signale der Abgrenzung aussenden. Schon in der Ausbildung der Justizwachebeamten muss man das Abgrenzen vermitteln. Und wenn wir neue männliche Beamte bekommen, was selten vorkommt, gibt es für sie gleich die Warnung, den Frauen gegenüber keine falschen Hoffnungen zu machen, wenn Angebote kommen.

Ist es gut, in Justizanstalten mit weiblichen Gefangenen männliche Justizwachebeamte einzusetzen?

Bei uns sind 66 Prozent der Justizwachebeamten Frauen. In den Werkstätten oder am Gutshof gibt es natürlich auch Männer. Aber wenn viele weibliche Gefangene mit einem Mann zusammen sind, ist das ja harmlos. Flirten oder sexuelle Übergriffe kann es eher geben, wenn eine Insassin mit einem Justizwachebeamten allein ist. Das kann ich für meine Anstalt so gut wie ausschließen.

Weil alles ständig überwacht wird oder warum?

Alle Gänge und Freizeiträume sind kameraüberwacht. Im Nachtdienst müssen auch weibliche Justizwachebeamte da sein, Visitierungen der Gefangenen dürfen ohnehin nur Frauen vornehmen. Wie auch etwa die Begleitung von Insassinnen zum Gynäkologen. Es kommt praktisch nicht vor, dass ein Beamter mit einer Gefangenen allein ist. Und von Übergriffen ist mir nichts bekannt.

Wie läuft das in den Betrieben, die von Männern geleitet werden?

Da machen wir keinen Unterschied zur Situation draußen. Draußen arbeiten Männer und Frauen zusammen, hier herinnen auch.

Was haben OMV und die Gefängnisverwaltung miteinander zu tun? In beiden Unternehmen werden Fehlentwicklungen verschlafen und dringende Entscheidungen in Zeitlupe gefällt. OMV-Chef Gerhard Roiss muss zwar wegen Führungsschwäche gehen, aber erst nächstes Jahr. Bei der Justiz weiß man spätestens seit Juni, dass ein Wachebeamter im dringenden Verdacht steht, vier weibliche Häftlinge zu sexuellen Diensten genötigt zu haben. Suspendiert wurde er erst jetzt, und nur unter medialem Druck.

Noch etwas verbindet OMV und Justizverwaltung: Nach Aufdeckung der beinahe tödlichen Vernachlässigung eines 74-jährigen Gefangenen sollten die zuständigen Beamten eine Prämie für besondere Leistungen bekommen. OMV-Chef Roiss bekommt zum Abgang noch eine leistungsorientierte Pension.

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