Die selektive Welt der Polizei

Mehr Personal gefordert
Drogendealer und Gewalttäter sind Hauptdarsteller, Politiker werden wie Sexopfer geschützt.

Sieben Berichte der Pressestelle der Wiener Landespolizeidirektion sind bis zum frühen Mittwochvormittag in den Nachrichtenredaktionen eingetrudelt. Darunter der obligatorische Verkehrsunfall und der Drogendealer; zum Drüberstreuen gab es einen Widerstand gegen die Staatsgewalt, einen Juwelenraub sowie eine Geschichte über Polizisten, die ihr Wachzimmer Flüchtlingen als Schlafplatz zur Verfügung gestellt haben.

Was die Polizei nicht an die Öffentlichkeit gibt, rückt nach einem Bericht der ORF-Redakteurinnen Evelyn Kanya und Alexandra Siebenhofer im Falter und auf wien.orf.at jetzt in den Mittelpunkt des Interesses. In Kooperation mit dem Recherchezentrum correctiv haben sie die Polizei-Aussendungen aus den Jahren 2013 und 2014 analysiert. Dabei stellten sie zum Beispiel fest, dass über jeden fünften Handtaschenraub, aber nur über jede 43. Vergewaltigung berichtet wird – obwohl beides in Wien in etwa gleich oft vorkommt. Über verhaftete Drogendealer liest man fast täglich, über rassistisch motivierte Gewalt so gut wie nie.

Polizei selektiert

"Polizeiberichte zeigen nur einen kleinen Teil der Wirklichkeit. Die Frage ist, wie sehr man sich auf diesen kleinen Ausschnitt verlassen kann", sagt Autorin Siebenhofer.

So wäre – den häufigen Aussendungen über Diebstähle, Raufereien und Drogendelikte nach zu urteilen – Favoriten das gefährlichste Pflaster von ganz Wien. Tatsächlich gibt es laut Kriminalstatistik aber die meisten Pro-Kopf-Delikte im Bezirk Innere Stadt (siehe Bericht unten).

Diese Selektion durch die Polizei hält Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl für "demokratiepolitisch hochproblematisch". Das Bild der Realität werde verzerrt, die Bevölkerung in die Irre geführt. "Die Brutalität in Form von Vergewaltigungen und Hass, die direkt aus der Mitte der Gesellschaft kommt, verkauft sich eben nicht so gut wie der Drogendealer oder der Dieb, der am Rand steht", sagt er.

Die selektive Welt der Polizei
Oberst Johann Golob, Leiter der Pressestelle der Wiener Polizei im Gespräch am 26.08.2015 in Wien.
Die Polizeiarbeit originalgetreu abzubilden, sei auch gar nicht der Anspruch, räumt Johann Golob, Leiter der Wiener Polizeipressestelle, ein. "Natürlich informieren wir über die wesentlichsten Geschehnisse", betont er. Im vollen Umfang sei das aber aus "zweckrationalen Gründen" nicht möglich.

Bei Vergewaltigungen hätte häufig der Opferschutz Vorrang, Einbrüche in Häuser von Promis oder Politikern würden aufgrund des Datenschutzes verschwiegen. Golob verweist auf die Grundrechte.

Sensationen zählen

"Wir haben schon ein Gespür dafür, was eine G’schicht ist", meint Golob zur Selektion der Berichte. Man wolle die Redaktionen ja auch nicht mit Lappalien "zumüllen".

Warum der Presse dann so gut wie jeder festgenommene Kleindealer feilgeboten wird? "Das sind greifbare Ermittlungserfolge, die der Bevölkerung zeigen, dass die Polizei präsent ist. Das stärkt das Sicherheitsgefühl", erklärt er.

Kriminalsoziologe Kreissl unterstellt der Polizei ein "männerbündlerisches Selbstmissverständnis" und holt zum Rundumschlag aus: "Sie präsentieren sich nach außen wie Cowboys, in der täglichen Arbeit sind sie aber Sozialarbeiter und Beamte, die mit Papierkram beschäftigt sind." Mit Meldungen über den fiesen Handtaschendieb bis hin zum gefassten Mörder schaffe man Sensationen – und das wollen die Menschen in den Medien lesen, hören, sehen.

Kreissl zeigt bei aller Skepsis aber durchaus Verständnis für das Marketing-Prinzip der Staatsdiener: "Politische Parteien und andere Institutionen investieren Millionen Euro für Werbung. Die Polizei wirbt eben mit Heldengeschichten für sich."

Kommentare