Aufschrei der Wiener Spitalsärzte
Eine weiße Welle des Protests schwappte Montagnachmittag über das MuseumsQuartier. Die Ärztekammer hatte zu einer Großkundgebung für bessere Arbeitsbedingungen in den Spitälern aufgerufen – und rund 1500 Mediziner folgten der Einladung. Bei Weitem nicht alle Teilnehmer fanden in der Halle E Platz. Viele mussten den Event vom Vorraum aus verfolgen.
Der große Andrang überrascht wenig: Die Kammer hatte eigens 17 Busse gechartert, um die Teilnehmer in ihren weißen Mänteln ins MQ zu bringen.
Er zeigt aber vor allem, wie groß der Frust der Spitalsärzte mittlerweile ist. Denn für die praktische Umsetzung der neuen Arbeitszeit-Regelung gibt es in Wien immer noch keine endgültige Lösung. Seit Anfang Jänner dürfen die Mediziner im Schnitt nur mehr 48 Stunden pro Woche arbeiten. Zusätzliches Personal gibt es aber keines, wodurch es etwa in den OP-Sälen im AKH bereits zu ersten Leistungseinschränkungen kommt.
„Gehalt lächerlich“
Was den Ärzten besonders aufstößt: Mit der Arbeitszeitverkürzung kommt es vor allem bei Jungmedizinern zu Einkommenseinbußen von bis zu 30 Prozent. Als Ausgleich soll das Grundgehalt erhöht werden, lautet die Hauptforderung der Ärzte: „Derzeit beträgt der Stundenlohn zehn bis 20 Euro. Das ist lächerlich niedrig“, rechnet Wiens Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres vor. In Deutschland, der Schweiz, aber auch in anderen Bundesländern würden Ärzte deutlich mehr verdienen. „Wir fordern daher Gehälter, die national und international vergleichbar sind“, stellt Szekeres unter großem Applaus klar. Und es brauche endlich neue Arbeitszeit-Modelle: „Denn die Ärzte sind nicht mehr bereit, auf Familie und Freizeit zu verzichten.“
Sonst würden noch mehr Uni-Absolventen nach dem Studium ins Ausland abwandern. Ganz sicher ließe sich das Problem nicht lösen, indem man noch weitere MedUnis aufsperrt, ist Szekeres überzeugt. „Das sind nichts weiter als Prestigeprojekte von fehlgeleiteten Politikern – nach dem Motto: Jedem Landeshauptmann seine eigene MedUni.“
Vielmehr sollte die Politik den Ärzten endlich die gebührende Wertschätzung entgegenbringen. „Doch stattdessen werden wir als abgehobene Götter in Weiß verunglimpft.“
Auch Hermann Leitner, in der Kammer für die angestellten Ärzte zuständig, geht mit der Politik hart ins Gericht. „Alle haben gewusst, dass die Arbeitszeit-Verkürzung kommen muss.“ Seit Jahren wurde sie von der EU eingefordert. „Trotzdem gibt es kein Konzept für die Umsetzung.“
Die Folge: Der Betrieb könne nur durch Improvisation aufrecht erhalten werden: „Die Stationen müssen sich gegenseitig mit Personal aushelfen“, schildert Thomas Memmer von der Psychiatrie am Otto-Wagner-Spital. „Das hat aber zur Folge, dass der Patient immer von anderen Ärzten behandelt wird. Eine Kontinuität ist so natürlich nicht gegeben.“
Kein Durchbruch
Derzeit verhandeln die Ärztevertreter fieberhaft mit den Trägern der Wiener Spitälern über eine tragbare Lösung. Ein Durchbruch ist noch nicht in Sicht, Streiks sind im Falle eines Scheiterns nicht ausgeschlossen. „Wenn es keine Einigung gibt“, kündigt Leitner an, „dann werden wir uns beim nächsten Mal vielleicht im Happel-Stadion treffen müssen.“
Für Aufregung sorgte am Sonntag der Leiter der Neurologischen Abteilung des Krankenhauses Ried im Innkreis, Andreas Kampfl. Der Primar beklagte, dass wegen der neuen Höchstarbeitszeit von 48 Stunden in seiner Abteilung mehrere Spezial-Ambulanzen geschlossen werden mussten. Betroffen seien Patienten mit multipler Sklerose, Parkinson, Gedächtnisstörungen und Epilepsie sowie Schlaganfallpatienten; sie müssten auf niedergelassene Ärzte verwiesen werden.
Allerdings: Im Bezirk Ried gibt es nur einen einzigen Neurologen mit Kassenvertrag. Kampfl entschuldigte die Schließungen damit, dass alle verfügbaren Ärzte für Akutfälle benötigt würden.
Andrea Wesenauer, Direktorin der oö. Gebietskrankenkasse, zeigte sich irritiert: „Es ist höchst bemerkenswert, wenn eine Krankenhausleitung ohne jegliche Gespräche, die zu Lösungen führen könnten, an die Öffentlichkeit geht und damit massive Verunsicherung der Bevölkerung bewusst in Kauf nimmt.“ Ein Zusammenhang mit den laufenden Gehaltsverhandlungen zwischen Spitalsärzten und Land dränge sich geradezu auf.
Nach einem Gespräch zwischen Landeshauptmann Josef Pühringer und dem Spitalsträger wurden die Spezialambulanzen Montagmittag wieder geöffnet.
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