Copwatcher in Texas: "Polizisten sind Terroristen"

Eine Verhaftung in NYC bei Protesten gegen Polizeigewalt
Copwatcher in den USA filmen Amtshandlungen, um Polizisten zur Rechenschaft ziehen zu können. Nur wenige denken so radikal wie Antonio Buehler in Austin, Texas.

Neujahrsvorsätze haben es an sich, dass sie meist schnell wieder aufgegeben werden. Aber der Vorsatz, den sich Antonio Buehler in der Silvesternacht 2012 machte, änderte sein Leben. Irgendwann in den ersten Stunden des Jahres hielt er an einer Tankstelle, und während er sein Auto mit Sprit auffüllte, beobachtete er zufällig eine Verkehrskontrolle. Was er sah, schockierte ihn: Der Polizist zog eine schreiende Frau vom Beifahrersitz aus ihrem Auto, Buehler schrie daraufhin den Polizisten an, der in der Folge auf ihn zustürmte, ihm mehrere Stöße auf den Brustkorb versetzte und ihn verhaftete. Er beschuldigte Buehler später, ihn bespuckt zu haben – ein Video der Amtshandlung zeigte keine Beweise dafür.

Copwatcher in Texas: "Polizisten sind Terroristen"

Pro Tag töten Polizisten zwei bis drei Menschen

Antonio Buehler ist ein mutiger Mann, denn der Vorfall passierte in der texanischen Hauptstadt Austin; und in den USA kann ein solches Auftreten tödlich enden. 505 Menschen wurden nach Recherchen der Washington Post heuer in den Vereinigten Staaten von Polizisten getötet, also zwei bis drei Personen an einem durchschnittlichen Tag. Erst in den vergangenen beiden Tagen gingen die Fälle von zwei erschossenen Schwarzen durch die Medien – Philando C. in Minnesota und Alton S. in Louisiana.

"Es kann so schnell passieren", sagt Buehler. "Du musst nur bei einer Verkehrskontrolle aus Nervosität kurz aufs Gas statt auf die Bremse steigen. Oder aussteigen, bevor es dir der Polizist ausdrücklich anschafft. Oder nach deinem Ausweis greifen, wenn er glaubt, dass du eine Waffe hast." Er übertreibt nicht, letzteres war es, das Philando C. das Leben kostete. Vier Mal schoss der Polizist, als Philando C. nach seiner Geldbörse greifen wollte.

Buehler wollte nicht länger zusehen, kurz nach dem Vorfall in der Silvesternacht gründete er das "Peaceful Streets Project" – und begann seine Karriere als "Copwatcher". Das bedeutet, er filmt mit Gleichgesinnten Amtshandlungen. Um belastendes Material zu haben, falls sie außer Kontrolle gerät, aber auch, "um ihnen zu zeigen, dass wir da sind. Dass sie nicht tun können, was sie wollen", sagt Buehler.

Verhaftungen, Anzeigen, Freisprüche

Copwatching geht zurück ins Jahr 1990, aber jetzt, wo jeder mit seinem Smartphone filmen kann, ist es in allen größeren Städte der USA verbreitet. Mobiltelefone sind die Waffen derer geworden, die die Polizisten kontrollieren wollen. "Police Accountability" heißt das Schlagwort, auf das sich die Copwatcher berufen: Den Polizisten müsse klar werden, dass sie bei jeder ihrer Handlungen gefilmt und damit auch dafür zur Rechenschaft gezogen werden können.

Buehler stellt sich entweder Samstag Abend an die Sixth Street, die Ausgehmeile Austins, wo es auf jeden Fall zu Amtshandlungen kommen wird; oder er fährt ziellos an den Rändern der Stadt umher; in jenen Gebieten, wo hauptsächlich Minderheiten leben. Und sobald er einen Polizisten im Einsatz sieht, läuft er los, um ihn zu filmen. "Ich habe auch immer eine kleine Kamera neben mir im Auto liegen, falls ich zufällig Zeuge einer Amtshandlung werde", sagt er. Ist es nicht gefährlich, die Polizisten so zu provozieren? "Ja, aber die meisten Polizisten der Stadt kennen mich schon", sagt er und lacht. Nicht dass sie ihm deshalb freundlicher begegnen würden. Schon ein halbes Jahr nach der Silvesternacht 2012 wurde er wieder verhaftet – weil er beim Filmen die Polizeiarbeit behindert haben soll. Es folgen vier weitere Verhaftungen und noch mehr Anzeigen; bislang wurde er vor Gericht aber stets freigesprochen.

Copwatcher in Texas: "Polizisten sind Terroristen"
TOPSHOT - People hold a sign on July 7, 2016 in Los Angeles, California, protesting the fatal police shooting of two black men, Alton Sterling and Philando Castile. Black motorist Philando Castile, 32, a school cafeteria worker, was shot at close range by a Minnesota cop and seen bleeding to death in a graphic video shot by his girlfriend that went viral Thursday, the second fatal police shooting to rock America in as many days. / AFP PHOTO / Robyn Beck

Es ist nicht so, als wäre Antonio Buehler ein Pazifist. Er war beim Militär, hat im Irak-Krieg seinen Dienst geleistet und wurde dafür mit dem "Bronzenen Stern" ausgezeichnet. Dass fast alle Amerikaner bewaffnet sind, stört ihn nicht – nur, dass es die Polizisten sind. "Ich habe militärisches Training und das erste, das man dort lernt, ist: Man zieht seine Waffe nur, wenn man zu hundert Prozent bereit ist, sie zu benutzen. Die Polizisten hier ziehen sofort ihre Waffen, weil sie Angst haben. Und natürlich schießen sie dann. Ich verstehe es bei Spezialeinheiten, aber wieso muss ein Verkehrspolizist bewaffnet sein?"

Nachdem er aus dem Irak zurück kam, studierte er an den Elite-Unis in Stanford und Harvard, in seinem Lebenslauf schreibt er stolz, dass er, der von seiner alleinerziehenden Mutter in ärmlichen Verhältnissen in North Carolina großgezogen wurde, der erste aus seiner Familie war, der studiert hat. Und dann gleich an den Elite-Unis. 2010 gründete er seine eigene Firma, Buehler Education. Er geht von der Annahme aus, dass die Schule Kindern mehr schadet als nutzt, und bietet deshalb Unterricht abseits der klassischen Schulausbildung an.

"Schwein exekutiert", schreibt er über tote Polizisten

Buehler ist ein Mensch, der nicht nur von sich sagt, dass er für sein Land kämpfen würde – er hat es wirklich getan. Aber er findet auch, dass dieser Staat sich nicht in sein Leben einmischen sollte. Er filmt die Polizisten nicht nur bei ihrer Arbeit, weil er befürchtet, dass sie sich falsch verhalten. Buehler lehnt ihre Arbeit rundweg ab. Über die Jahre hat er einen tiefen Hass für die Polizei entwickelt.

Buehler ist ein hoch gebildeter, kluger Mann; aber wenn er über die Polizei spricht, setzt irgendetwas in ihm aus. "Terroristen" nennt er die Polizisten, deren Autorität er nicht anerkennt. Als im Vorjahr in Houston ein Polizist erschossen wurde, schrieb er auf Facebook: "Schwein in Houston exekutiert. Er hätte sich eben keiner kriminellen Gang anschließen sollen. Seine schlechten Entscheidungen haben ihn eingeholt. Sucht die Schuld bei seinen Eltern. Oder den tausenden Schweinen, die jedes Monat Menschen in den USA missbrauchen."

Es war keine Affekthandlung, das Posting ist bis heute auf Facebook abzurufen. Für Buehler ist die Polizei eine Art Besatzungsmacht; und er ist überzeugt, "dass Amerika ohne Polizisten sicherer wäre." Er sagt all das in ruhigen Ton, und so, als läge dieser Schluss auf der Hand, würde man nur genau darüber nachdenken.

Auch zu den beiden diese Woche erschossenen Schwarzen hat er sich zu Wort gemeldet, für das "Peaceful Streets Project" postete er: "Benutzt nicht den Terminus ‚Schießerei mit Polizeibeteiligung‘. Seid keine Feiglinge wie die Medien. Nennt es, was es ist: Mord, Exekution, Terrorismus." Und als in der Nacht auf heute in Dallas fünf Polizisten von Scharfschützen getötet wurden, schrieb er auf Facebook: "Wir befürworten keine Gewalt gegen Polizisten, aber wir verstehen sehr wohl, warum ihnen so viele Menschen Schaden zufügen wollen. Aber wenn du Teil einer rassistischen Institution bist, die regelmäßig Menschen verprügelt, vergewaltigt und tötet, legst du es darauf an, gehasst zu werden."

(Redaktionelle Anmerkung: Das Gespräch mit Antonio Buehler wurde im September 2015 in Austin geführt.)

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