Tourengeher überlebte zehn Stunden unter Lawine

Rettungskräfte am Lawinenkegel bei der Bergung eines Verschütteten
23-jähriger Oberösterreicher wurde bei Dunkelheit ausgegraben. Sein Begleiter starb.

Es war der letzte Versuch bei der Suche nach zwei vermissten Tourengehern, der letztlich zur Rettung eines Oberösterreichers führte. Der 23-Jährige lag zehn Stunden unter Schneemassen begraben.

Pilot Helmut Metzler und Alpinpolizist Franz Poppeller hatten Sonntagabend mit ihrem Hubschrauber bereits mehrere Berge im Tiroler Gschnitztal angeflogen, Gipfelbücher kontrolliert und Lawinen nach Hinweisen abgesucht. „Es war fast dunkel und wir wollten schon abbrechen, da haben wir den Lawinenkegel im Sandestal entdeckt“, erzählt Poppeller. Bei einem Überflug schlug das Lawinensuchgerät an. „Plötzlich hatte ich zwei Signale“, berichtet der Alpinpolizist.

Schnell hatte er den ersten Verschütteten entdeckt. „Er war leider schon tot“, berichtet Poppeller. Für einen 27-jährigen Deutschen aus Rostock, der in Innsbruck lebte, kam jede Hilfe zu spät. „Wir haben nicht erwartet, jemand lebend zu finden. Normalerweise wirst du von so einer Lawine erdrückt“, sagt der Alpinpolizist angesichts der 400 Meter langen und 200 Meter breiten Nassschnee-Lawine.

Bei der Suche nach dem zweiten Verschütteten dann das Wunder: „Da habe ich Hilferufe gehört.“ So schnell wie möglich versuchte Poppeller das Gesicht des Tourengehers freizulegen, während Pilot Metzler losflog, um weitere Bergretter zur Unglücksstelle zu bringen.

Tourengeher überlebte zehn Stunden unter Lawine

Erste Worte

„Er hat gesagt, dass ihm kalt und er einbetoniert ist“, erzählt der Polizeibeamte von den ersten Worten eines 23-jährigen gebürtigen Oberösterreichers aus Laakirchen (Bezirk Gmunden), der in Innsbruck studiert. Mithilfe der eingetroffenen Bergretter wurde der junge Mann ausgegraben.

Am Montag war der junge Mann, der stark unterkühlt in der Innsbrucker Uni-Klinik eingeliefert wurde, außer Lebensgefahr. Am Dienstag dürfte er bereits von der Intensiv- auf die Beobachtungsstation überstellt werden.

Sein Leben verdankt der Tourengeher einer perfekten Rettungskette: Um 18.35 Uhr hatte der Vater des Oberösterreichers bei der Leitstelle Tirol Alarm geschlagen, wusste allerdings nicht, wo im Gschnitztal sein Sohn auf Tour gegangen war. Um 20.40 Uhr hatte man den jungen Mann ausgegraben. Den letzten Telefonkontakt mit den beiden Tourengehern hatte es um elf Uhr – zehn Stunden vor der Bergung – gegeben.

Peter Paal von der Universitätsklinik Innsbruck forscht seit Jahren zu den Überlebenschancen von Lawinenopfern. „Das ist sicher ein extremer Fall, wie es ihn in den Alpen nur alle paar Jahre gibt. Das überleben nur die wenigsten“, sagt der Intensivmediziner zur Rettung eines 23-Jährigen, der bis zu zehn Stunden unter einer Lawine begraben lag.

Wird ein Patient nicht innerhalb der ersten 90 Minuten befreit, sinken seine Überlebenschancen rapide (siehe Grafik). Doch es gibt sie immer wieder, die großen Wunder. Als absoluter Rekord gilt der Fall einer Frau, die 1974 in der Lombardei verschüttet worden ist und 48 Stunden überlebt hat.

Dazu braucht es vor allem eines: viel Glück. Von dem hatte der junge Oberösterreicher auch abseits seiner letztlich eher zufälligen Rettung reichlich. Wer unter einer Nassschneelawine begraben wird, läuft zunächst einmal Gefahr, schlicht erdrückt zu werden. „Im Frühjahr ist der Schnee bis zu 600 Kilogramm pro Kubikmeter schwer“, erklärt Paal. Ansonsten entscheiden Sauerstoffzufuhr und Körpertemperatur über Leben und Tod.

„Vor Mund und Nase muss ein Atemhöhle sein, sonst ist das Ersticken vorprogrammiert“, stellt der Mediziner klar. Je mehr Zeit verstreicht, umso wichtiger ist jedoch ein weiterer Faktor: „Diese Atemhöhle muss eine Verbindung zur Außenwelt haben, damit die verbraucht Luft nach außen und frische herein kann.“ Das dürfte in diesem Fall gegeben gewesen sein.

Gleichzeitig kühlt ein Verschütteter aber auch kontinuierlich ab. Das ist zunächst ein Vorteil. Der Körper fährt seine Funktionen herunter, wie bei einem Tier im Winterschlaf. Mit jedem Grad Abkühlung sinkt laut Paal auch der Sauerstoffbedarf um sechs bis sieben Prozent.

Doch irgendwann spielt einfach das Herz nicht mehr mit. „Fällt die Körper-Kerntemperatur unter 30 Grad, beginnt die Todeszone. Unter 28 Grad bleibt jedes zweite Herz stehen.“ Der 23-Jährige war bei seiner Bergung bereits auf 29 Grad abgekühlt.

Psychische Belastung

Wie ein Lawinenopfer stundenlanges Begrabensein psychisch verkraftet, ist laut Paal – selbst aktiver Bergretter – von Fall zu Fall verschieden. „Ich kenne einen Mann, der konnte nach seiner Rettung nie wieder liegen und muss seither im Sitzen schlafen.“

Kommentare