Justizreformen: Top oder Flop?

Minister Wolfgang Brandstetter
Ausweitung des Jugendstrafrechts auf junge Erwachsene bis 21 wird als "Jahrhundertwerk" gelobt, der Maßnahmenvollzug liegt weiter im Argen, nur in Asten gibt es eine Vorzeige-Anstalt.

Ein 74-jähriger Häftling wird lebensbedrohlich vernachlässigt; zu viele Jugendliche sitzen im Gefängnis; der sogenannte Maßnahmenvollzug wird als Verstoß gegen die Menschenrechte angeprangert: Das waren (sind?) einige Baustellen von Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP). Der KURIER hörte sich – neben eigener Einschätzung (die Paragrafen stellen Bewertungspunkte dar) – bei Justizexperten um, welche Reformen Top oder ein Flop sind.

Maßnahmenvollzug: "Schuldunfähige sind Patienten, sie gehören ins Spital", sagt Andreas Zembaty (stellvertretend für andere Experten) vom Bewährungshilfe-Verein Neustart. Das sah auch Brandstetter so und wollte die zur Einweisung in eine Anstalt verurteilten Unzurechnungsfähigen ins Gesundheitsressort übersiedeln. Die meisten kommen ohnehin von dort, haben schon Aufenthalte in Psychiatrien hinter sich, ehe sie ein Blutbad anrichten. Doch sie bleiben im Strafvollzug. Dazu kommen psychisch kranke, aber zurechnungsfähige verurteilte Straftäter, die auf diverse Gefängnisse aufgeteilt sind. Zur Trennung von "normalen" Insassen dient etwa in Stein bloß eine Planke, die man aufgestellt hat. Nur das Forensische Zentrum Asten (siehe Lokalaugenschein) gleicht mehr einer Klinik als einer Justizanstalt.Während es in der Medizin etwa Regeln gibt, wann ein Kreuzbandriss operiert wird, fehlen im Strafvollzug einheitliche Standards. Es gibt kein Maßnahmenvollzugsgesetz, keine Rechtsvertreter für die Untergebrachten, keine fachlich geeigneten Beamten, immerhin werden jetzt aber Departmentleiter ausgewählt.

WERTUNG: § § § § §

Strafvollzug: Für die Leitung der Werkstätten in den Gefängnissen, in denen Häftlinge angelernt werden und arbeiten, wurden Tischlermeister und andere Handwerker von außen geholt. Ein erfolgreiches Rezept aus Bayern. Sie bekamen einen vierwöchigen Kurs im Exekutivdienst und einen Pfefferspray zur Verteidigung, falls nötig. Aber die Justizwachegewerkschaft legte sich quer: Wer hat das Sagen? Wer ist für die Sicherheit verantwortlich? Aus einer Liste von 123 benötigten Handwerksmeistern wurden nur 18 angestellt.

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Jugendhaft: Die Justizanstalt für Jugendliche in Gerasdorf, NÖ, sollte zum Jugend-Kompetenzzentrum ausgebaut werden. Das scheitert am Geldmangel, von geplanten Kompetenzzentren in anderen Bundesländern ganz zu schweigen. Immerhin gibt es ein Stufenmodell: Bei guter Führung können sich Insassen innerhalb des Hauses bis 22 Uhr frei bewegen, das Modell soll auch in anderen Anstalten eingeführt werden. Und die Jugendgerichtshilfe mit Betreuung durch Pädagogen und Sozialarbeiter gibt es nun österreichweit. Die Alternative zur U-Haft für Jugendliche, betreute Wohneinrichtungen, ist eine Totgeburt: Zuletzt war mit Weisung des Gerichts bloß ein Platz belegt.

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Fußfessel: Der elektronisch überwachte Hausarrest ist ein Erfolgsmodell. Rund 300 Verurteilte mit Fußfessel entlasten die überfüllten Gefängnisse. Im September wurde eine Ausdehnung auf Verurteilte angekündigt, die eine Strafe oder einen Strafrest von bis zu 18 Monaten offen haben (bisher bis maximal ein Jahr). Umgesetzt wurde das noch nicht.

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Gesetzesreformen: Brandstetter hört auf den Rat von Experten. Das von Neustart empfohlene neue Jugendgerichtsgesetz – Zembaty: "Eine Jahrhundertreform" – wurde überwiegend so beschlossen, man hätte sich nur noch eine Ausdehnung auf junge Erwachsene bis 25 und nicht nur bis 21 gewünscht. Die von Neustart konzipierte Sozialnetzkonferenz, die Alternativen zur U-Haft sucht, ist nun Gesetz und soll auch bei der bedingten Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug Anwendung finden. Notwendig wäre noch eine Verpflichtung für das AMS, auch bei der Fort- und Ausbildung von Häftlingen, Freigängern oder Fußfessel-Trägern Maßnahmen zu fördern.

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