650 Jahre Uni Wien: großer Geburtstagsreigen
Wir schreiben das Jahr 1388. Es ist Winter, die kalte Luft dringt bis in die Gemäuer der Burse, die Unterkunft und Lernstätte der Studenten. Das Repetieren, das ständige Wiederholen des Aristotelestextes, hämmert Johann wie Glocken durch den Kopf. Er kommt aus Halberstadt in Sachsen-Anhalt. Der dortige Bischof hat ihn nach Wien geschickt, wo es seit 1365 eine "hoe schuel" gibt. An der neuen Universität soll Johann ein Artistenstudium absolvieren – eine Art Grundstudium für alle weiteren Studien wie Theologie oder Medizin.
Vorlesung
In der Anfangszeit wurde vorgelesen, und die Studenten wiederholten. "Der Lehrende hatte zum Text keine persönliche Meinung, er trug kanonisch-überliefertes Wissen vor. Das steht im Gegensatz zu heute, wo ich reflektiertes Wissen beruhend auf eigener Forschung vermittle." Kunsthistorikerin Heidrun Rosenberg entdeckte aus dieser Zeit einige Übungsblätter, auf die gelangweilte Studiosi Verse gekritzelt und Pferde oder Frauen gezeichnet hatten.
Arme erwünscht
Die Herkunft der Studiosi wird im Matrikelbuch vermerkt. "Das p steht für pauper und weist auf die ärmliche Herkunft hin", berichtet Rosenberg. Viele von ihnen kommen wie Georg von Peuerbach vom Land. Oder aus Franken, so wie dessen Schüler, Johannes Müller, bekannt als Regiomontanus. Er stammte aber aus wohlhabendem Haus und avancierte zum bedeutendsten Astronomen und Mathematiker des Spätmittelalters. Er war Wegbereiter des Kopernikus – und Kandidat für einen Nobelpreis, findet Rosenberg, hätte es ihn damals gegeben. Dank heller Köpfe wie ihm erlangte die Uni Wien den Ruf als beste in den römisch-deutschen Ländern. Und so stieg die Studenten-Zahl – jährlich um 700. Um 1520 brachen die Zahlen dramatisch ein. Die Pest raffte viele dahin, die Türkenbelagerung sowie die Reformation führten zu einer Krise. Erst 1623 – als die Universität mit dem Jesuitenkolleg vereinigt wurde – kam der Aufschwung. Unter Maria Theresia (1717-1780) folgten noch weitere Reformen und die Gründung der "Wiener Medizinischen Schule".
Politisch
Spätestens 1848 wurde die Universität auch zum politischen Faktor: Angestachelt durch die Februar-Revolution in Paris, gingen Studenten und Professoren auf die Straße und forderten eine Verfassung und Pressefreiheit. Die Regierenden waren beunruhigt, ließen Rädelsführer hinrichten und ersannen den Plan, die künftigen Geistesgrößen des Landes zu trennen: Als Folge des Aufstands wurden die Fakultäten über die ganze Stadt verstreut.
532 ihrer 650 Jahre waren Frauen ausgeschlossen: "Männerbund Universität" prangerte die ÖH bei der Pressekonferenz anlässlich des Jubiläumsjahres daher an. Die Botschaft ist angekommen: Einer der Schwerpunkte des Jubiläumsjahres ist "Geschlechtergerechtigkeit". Heißt: Die Universität Wien macht mit vielfältigen Events auf die Benachteiligung von Frauen aufmerksam. Den Anfang macht ab heute die Ausstellung "Radical Busts" der Künstlerin Marianne Maderna.
In der normalerweise von Männern dominierten "Hall of Fame" im Arkadenhof der Uni hat sie den Büsten männlicher Gelehrter 33 Skulpturen herausragender weiblicher Denkerinnen gegenübergestellt. Darunter die berühmten Töchter der Alma Mater Rudolphina Vindobonensis, Lise Meitner und Marie Jahoda.
Sie gehörten zu jener Generation Frauen, die sich das Recht zum Studium erst erkämpfen mussten: Erst 1897 öffnete die Philosophische Fakultät ihre Tore für ordentliche Studentinnen. Seit 1900 sind Frauen an der medizinischen, seit 1919 an der juridischen Fakultät zugelassen, als letzte folgte 1945 die katholische Theologie.
Es ist keine Frage, dass viele Nobelpreisträger an der Universität Wien studiert und hier ihre akademische Laufbahn absolviert haben. Doch sollte sich die ehrwürdige Alma Mater nicht in allen Fällen mit den großen Namen rühmen, denn etliche von ihnen haben ihre tatsächlichen Karrieren anderswo gemacht – oft weil man sie aus Österreich vertrieben hat.
Der Arzt Karl Landsteiner etwa, der 1901 an der Universität Wien die Blutgruppen entdeckte, hatte hier Medizin studiert, lebte aber, als er den Nobelpreis bekam, nicht mehr in Österreich. Ohne Landsteiners Forschungsarbeiten wären Operationen mit hohem Blutverlust und die Rettung schwer verletzter Unfallopfer undenkbar. Wohl gab es auch vor ihm Versuche, menschliches Blut zu übertragen, doch starben viele der Patienten. Karl Landsteiner hatte als Assistent am Pathologisch-Anatomischen Institut der Universität Wien herausgefunden, dass Blut nicht gleich Blut ist.
Österreichisches Schicksal
Anders verhielt es sich bei dem ebenfalls an der Universität Wien ausgebildeten Julius Wagner von Jauregg. Der Psychiater hatte Patienten, die an progressiver Paralyse – einer Spätform der Syphilis – litten, absichtlich mit Malaria infiziert und dadurch eine revolutionäre Heilmethode entwickelt. Wagner-Jauregg, der 1880 an der Universität Wien zum Dr. med. promovierte, hat viele Patienten beobachtet, deren Zustand sich bei höherer Temperatur besserte. Also "impfte" er ihnen Fieber ein – und war damit auf dem richtigen Weg. Der Erfolg kam, als er einem Todkranken das Blut eines Malariakranken injizierte, worauf dieservollkommen geheilt wurde. Wagner-Jauregg, der an der Psychiatrischen Klinik der Universität Wien tätig war, erhielt 1927 den Nobelpreis für Medizin.
Flucht vor den Nazis
Karl Landsteiner ist nicht der einzige der neun Nobelpreisträger, die mit der Universität Wien durch Forschung oder Lehre verbunden waren, aus Österreich jedoch vertrieben wurden. Zu ihnen zählt auch der am Pharmakologischen Institut tätige Otto Loewi, der bereits als Nobelpreisträger vor den Nazis flüchtete und amerikanischer Staatsbürger wurde. Loewi erhielt den Nobelpreis für seine Untersuchungen am vegetativen Nervensystem. Geflüchtet ist auch der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Wiener Physiker Erwin Schrödinger, dessen Konterfei viele Jahre lang die Tausend-Schilling-Scheine schmückte. Einst vertrieben, wurde er – wie viele andere auch – als Nobelpreisträger plötzlich geliebt!
Ein ganz anderer Fall ist der des Verhaltensforschers Konrad Lorenz, der – wie auch Wagner-Jauregg – ein Naheverhältnis zu den Nationalsozialisten hatte. Lorenz erhielt deshalb nach dem Krieg keine Anstellung in Österreich, weshalb er den Großteil seiner Forschungsergebnisse an Graugänsen am deutschen Max-Planck-Institut erzielte.
Amerikaner aus Wien
Infolge der komplizierten Staatszugehörigkeiten werden etliche Nobelpreisträger weltweit unterschiedlichen Ländern zugeordnet. So deklariert man einige der "Wiener" Nobelpreisträger anderswo als Engländer, Amerikaner oder auch als Deutsche.
Julius Wagner-Jauregg war Zeitgenosse Sigmund Freuds, der an der Universität Wien übrigens nie eine Ordentliche Professur erhielt. Die beiden Psychiater waren Gegenspieler, wobei es Wagner-Jaureggs Triumph blieb, dass er den Nobelpreis empfing, Freud jedoch nicht. Was von Freud blieb, ist nicht nur seine Lehre, sondern auch das hohe literarische Niveau seiner Schriften. Auf das spielte Wagner-Jauregg an, als ihm der Nobelpreis für Medizin überreicht wurde. Ein Kollege gratulierte dem eben Ausgezeichneten und fügte hinzu: "Schade, dass nicht auch Doktor Freud den Nobelpreis erhält."
Worauf Wagner-Jauregg spitz erwiderte: "Vielleicht erhält er ihn ja noch – für Literatur!"
Johann aus Halberstadt, der 1388 vom Bischof zum Studium nach Wien geschickt wird, oder Ursula, die Klassische Archäologie und Alte Geschichte studiert und 1984 in der Stopfenreuther Au campiert, um den Bau des Kraftwerks Zwentendorf zu verhindern - das Projekt Uni-Fiction erzählt die Geschichten von zwölf fiktiven Studenten, die von 1388 bis 2025 an der Universität Wien studieren.
Seit dem 12. März 2014 sind diese Geschichten in monatlichen Beiträgen unter diesem Blog zu lesen. Organisiert wurde das Projekt von der "Fakultätsgruppe Öffentlichkeitsarbeit" der Historisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät – unter der Koordination von Marianne Klemun, Martina Fuchs, Fritz Blakolmer und Hubert Szemethy."
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