Rätsel um den Tod von Duncan M.

Rätsel um den Tod von Duncan M.
Ein junger Kanadier starb auf dem Stubaier Gletscher. Ein Buch wirft Fragen auf.

Der 23-jährige Eishockey-Profi Duncan MacPherson verschwindet beim Snowboarden auf dem Stubaier Gletscher. 14 Jahre später taucht sein Leichnam wieder auf. Ein Unfall, sagen die Ermittler. Doch Duncans Eltern machen sich auf die Suche nach Erklärungen. Und stoßen auf Widersprüche. Der US- Autor John Leake forschte nach. Das Ergebnis: Das Buch „Eiskalter Tod“, das in der kommenden Woche erscheint.

„Er ist hier. Hier gefällt es ihm bestimmt“, waren Lynda MacPhersons erste Gedanken, als sie auf der Suche nach ihrem Sohn nach Innsbruck kam. Sie hatte Recht, wie sich Jahre später herausstellte. Der Stubaier Gletscher ist nicht allzu weit entfernt.

Doch die Gewissheit kam spät.

Duncan machte sich im August 1989 auf den Weg nach Europa. Er fuhr von Deutschland in Richtung Italien. Drei Wochen, nachdem Duncans Eltern ihn zuletzt gesehen hatten, hielten sie die Ungewissheit nicht mehr aus. Er war verschwunden, nicht mehr erreichbar.

Auch sein Auto, ein roter Opel, war weg. Den fand man am 22. September 1989. Direkt auf dem großen Parkplatz des Skigebietes. 48 Tage lang war er dort gestanden, niemand hatte ihn gemeldet. Und das, obwohl bereits nach Duncan gesucht wurde. Die MacPhersons recherchierten. Beim Snowboard-Verleih erklärte man ihnen, dass kein Board fehlte. Was sich erst als falsch herausstellte, als Duncans Körper bei der Gletscherschmelze 2003 plötzlich aus dem Eis ragte – samt Board.

Pistenarbeiter fanden die Überreste des jungen Mannes in einer Gletscherspalte. Gliedmaßen waren abgetrennt, das Snowboard stark beschädigt.

Keine Zweifel

Die Erklärung der Ermittler: Ein Unfall. Und dieser Meinung sind sie auch jetzt noch: „Da die Erhebungsergebnisse zweifelsfrei den Unfalltod erklärten und keinerlei Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden vorlagen, war auch keine Obduktion zu veranlassen“, sagt Hansjörg Mayr, Sprecher der Staatsanwaltschaft Innsbruck. Auch der Gerichtsmediziner Walter Rabl sah keinen Anlass für Zweifel. „Wir wurden nur mit der Klärung der Identität beauftragt.“

Die Knochenbrüche und scharfkantigen Gliederabtrennungen erklärt Mayr so: „Es kommt bei Gletscherleichen, die jahrelang dem fließenden Eis ausgesetzt waren, immer wieder vor, dass diese zum Beispiel Knochenbrüche aufweisen.“

Doch die Erklärung reicht Duncans Eltern nicht. Und auch Autor John Leake hegt Zweifel. Die Ermittlungen seien lückenhaft gewesen, Aussagen widersprüchlich. Der Informationsfluss an die Eltern sei schwierig und lückenhaft gewesen. Und auch das Verletzungsbild gibt Anlass für Spekulationen. So leiteten die MacPhersons Röntgenbilder ihres toten Sohnes an einen kanadischen Radiologen weiter. Die Antwort: „Es tut mir leid, dass ich diese Frage stellen muss, aber ist es möglich, dass Duncan von der Pistenraupe überfahren wurde?“

Pistenraupe

Und daran glauben auch die Eltern und John Leake, der zweieinhalb Jahre dieses Geheimnis lösen wollte, Protokolle und Unterlagen durchforstete und zahlreiche Interviews führte. Sie vermuten eine Vertuschungsaktion und glauben, dass ihr Sohn nach einem Snowboard-Unfall bei schlechter Sicht in eine Pistenraupe geriet, der Fahrer vermutlich Panik bekam und Duncan in der Gletscherspalte versteckte.

Zum Buch will man sich bei den Behörden nicht äußern. „Ich habe das Buch nicht gelesen und erlaube mir daher keinen Kommentar“, sagt Staatsanwalt Mayr.

"Eiskalter Tod. Unfall oder Verbrechen?" des amerikanischen Autors John Leake erscheint am 15. Jänner im Residenz-Verlag (ISBN: 9783701733057) und kostet 21, 90 Euro. Die Präsentation findet am 23. Jänner um 19 Uhr in der Buchhandlung Thalia (Mariahilfer Str. 99, 1060 Wien) statt.

Leake befasste sich bereits einmal mit einem Kriminalfall aus Österreich. „Der Mann aus dem Fegefeuer – Das Doppelleben des Jack Unterweger“ erschien 2008 und diente John Malkovich als Vorlage für „The Infernal Comedy“.

Der Autor wurde 1970 in Dallas, Texas geboren und studierte Geschichte und Philosophie in Boston und Wien, wo er auch zehn Jahre als Autor und Übersetzer lebte.

Sein aktuelles Buch wurde in der englischen Originalfassung bereits mit dem „Independent Publisher Award“ ausgezeichnet.

www.residenzverlag.at

„Also, Ideen haben die Leut“, schüttelt Lydia Platt im Speck-Laden in Neustift im Stubaital den Kopf. „Das glaub ich nicht, dass die Leute am Gletscher so etwas tun. Und solange die Skifahrer auf den Pisten bleiben, passiert auch nichts.“ Von einem Buch, das zum Drama im Eis erscheint, hat sie noch nichts gehört. Und keiner ihrer Kunden, vorwiegend Urlauber, hat sie darauf angesprochen.

Thema scheint John Leakes „Eiskalter Tod“ in der 4580-Einwohner-Gemeinde tatsächlich keines zu sein.

Entspannt spazieren Gäste am Freitagnachmittag durchs Zentrum, während die Ersten von den Pisten in ihre Unterkünfte zurückkehren. Auch die Mitarbeiter des Tourismusverbands Stubai Tirol wurden mit Vorwürfen aus dem Buch bisher kaum konfrontiert. „Die Leute gehen trotzdem Ski fahren und lassen sich nicht abschrecken“, sagt Michael Gstrein.

Wie Gstrein bedauert Bürgermeister Peter Schönherr den Unfall, „der sehr tragisch für die Familie war“. Aber mit der Gletscherbahn habe er sicher nichts zu tun. „Die Vorhaltungen sind für mich undenkbar, weil ich weiß, wie professionell die Menschen dort arbeiten“, betont der Gemeinde-Chef, der das Buch noch nicht kennt. Er bestätigt, dass viele Einheimische davon noch gar nichts mitbekommen haben.

Auch Viktoria Rieder, Rezeptionistin beim Hoferwirt, erfährt erst durch den KURIER vom Gletscher-Thriller: „Mich haben weder Gäste noch andere Mitarbeiter deshalb angesprochen.“

„Gletscherleiche“

„Für uns ist das schon eine unangenehme Situation“, räumt Reinhard Klier, Chef der Wintersport Tirol AG, ein. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mitarbeiter so reagiert hat. Und so, wie Leake es darstellt, ist es auch nicht plausibel.“

Die gesicherte Piste (auf der es gar keine Spalten gebe) sei damals im Sommer anders verlaufen – in 40 Metern Abstand zum Schlepplift. „Nach Leakes Rekonstruktion lag die Absturzstelle im Streifen dazwischen. Aber dort wurde ja gar nicht präpariert.“

Es gab zwar keine Obduktion, „aber laut Gerichtsmedizin entsprach das Bild dem einer Gletscherleiche“, sagt der Glaziologe. Der Leiter des Skiverleihs versicherte, dass die Snowboard-Marke nicht geführt wurde. „Und man hätte nie Schalenschuhe mit Softbindung verliehen, weil sie nicht zusammenpassen.“ Aber bei neuen Erkenntnissen sperre man sich nicht gegen eine neue Untersuchung.

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