"Ich will Schengen nicht aufgeben, sondern konsequent anwenden"

Joachim Herrmann (CSU) nimmt die Länder an der EU-Außengrenze in die Pflicht.
Bayerns Innenminister fordert im KURIER-Interview Kontrollen an allen Grenzen zu Österreich. Griechenland würde er gerne aus dem Schengen-Raum werfen.

KURIER: 2015 war das Jahr, in dem in Europa die Zäune gewachsen sind. Was halten Sie von dem Modell, das in Österreich errichtet wurde?

Für mich ist entscheidend, dass an den Schengen-Außengrenzen ordentlich kontrolliert wird. Und vor diesem Hintergrund muss man klar zur Kenntnis nehmen: Ungarn sichert seine Grenze. Sollte Slowenien seine Grenze effektiv schützen und wir darüber hinaus insgesamt auch wieder eine gesicherte EU-Außengrenze haben, dann brauchen wir keine Kontrollen an der österreichischen oder der deutschen Grenze mehr.

Würden Sie sich mehr Kontrollintensität in Österreich Richtung Süden wünschen?

Besser wäre, wenn schon an der slowenisch-kroatischen Grenze kontrolliert würde.

Aber die Realität sieht zurzeit anders aus.

Klar ist für uns in Deutschland, entweder sind die Schengen-Außengrenzen wirksam gesichert oder wir müssen unsere eigenen deutschen Grenzen sichern.

Also keine Ratschläge nach Österreich?

Die österreichischen Kollegen wissen selbst, was zu tun ist.

Vor zwei Monaten haben Sie die österreichische Bundesregierung angesichts unangekündigt an die Grenze gebrachter Flüchtlinge als "Schleuser" bezeichnet. Haben sich die Beziehungen wieder entspannt?

Was mich im Herbst wirklich geärgert hat, ist, dass die österreichischen Behörden zeitweilig nachts, ohne Ankündigung, Hunderte Flüchtlinge in die Landschaft gestellt haben, die weder angemessene Kleidung noch Essen oder Trinken hatten. Das war eine Zumutung für die Helfer und die Flüchtlinge. Die praktischen Abläufe haben sich jetzt deutlich verbessert. Das Ganze ist immer noch eine Folgewirkung dessen, was die deutsche Bundeskanzlerin und der österreichische Bundeskanzler vereinbart haben. Wobei das kein Dauerzustand sein kann. Die Kanzlerin sagt ja nun, die Zahl der Flüchtlinge muss reduziert werden. Das ist auch Zielsetzung ihrer außenpolitischen Maßnahmen.

Wie lange ist die Schonfrist, die Bayern der Außenpolitik einräumt, bis auf dichte Grenzen und Zurückweisungen von Flüchtlingen nach Österreich gedrängt wird?

Ich will keine Fristen nennen. Aber ich denke, dass die Kommunen in Deutschland alle wahrnehmen, dass das 2016 nicht in gleicher Quantität beliebig so weiterlaufen kann. Wir hatten in den letzten Tagen ständig um die 3500 bis knapp 4000 Flüchtlinge, die nach Deutschland gekommen sind. Das sind immer noch viel zu viele. Wir dürfen diese Größenordnung nicht verniedlichen, nur weil es schon einmal 10.000 waren. 3500 Flüchtlinge täglich wären für Deutschland weit über eine Million im kommenden Jahr. Wir brauchen also eine weitere deutliche Reduzierung. Da liegt die Herausforderung für die nächsten Wochen und Monate.

Sie haben gefordert, dass alle Grenzübergänge zwischen Österreich und Deutschland kontrolliert werden. Geht es Ihnen hier um das Abbremsen des Flüchtlingsstroms?

Mir geht es dabei gegenwärtig vor allem um die Kriminalität und speziell um die Gefahr des Terrorismus. Denn wir wissen, dass mindestens zwei der Paris-Attentäter auf Flüchtlingswegen aus dem Nahen Osten gereist sind. Wir kennen das Problem von Tausenden gestohlenen syrischen Pässen, die jetzt für Fälschungen missbraucht werden. Wir haben unabhängig davon mit unseren Schleierfahndern im November ein Fahrzeug aus dem Verkehr gezogen, in dem acht Kalaschnikows, Sprengstoff und Munition versteckt waren. Angesichts dessen brauchen wir konsequente Kontrollen von Personen und Fahrzeugen. Das muss an allen Grenzübergängen gewährleistet sein.

Und das würden Sie gerne selbst übernehmen.

Seitens Bayern haben wir angeboten, dort zu kontrollieren, wo die Bundespolizei diese Aufgabe nicht übernehmen kann oder will. Das hat der Bund bislang abgelehnt. Aber wir bleiben am Ball.

Gibt es unter diesen Vorzeichen überhaupt noch ein Zurück zu dem Schengenraum, wie wir ihn gekannt haben?

Ich will mich von Schengen nicht verabschieden. Ich glaube, dass die allermeisten Menschen die Freiheiten, die damit verbunden sind – im Tourismus, bei Geschäftsreisen, im Verkehr – zu schätzen wissen. Entscheidend ist, dass wir das, was im Schengen-Abkommen steht, ernst nehmen. Aber es gibt Länder wie Griechenland, die ihren Verpflichtungen überhaupt nicht nachkommen.

Da muss man dazu kommen, dass solche Länder den Schengen-Raum wieder verlassen müssen. Die EU muss sich im Klaren sein, dass man hier handeln muss, wenn man nicht ein wesentliches Projekt der europäischen Einigung infrage stellen will.

Hat man diese Länder mit ihren langen Außengrenzen zu lange alleine gelassen? Sowohl mit Grenzkontrollen, als auch mit den Flüchtlingsbewegungen, die viele erst interessiert haben, als die Menschen in Zentraleuropa vor der Türe standen?

Griechenland hat es extrem schwer, gerade mit den vielen Inseln in der Ägäis. Ich weiß nicht, was man sich damals dabei gedacht hat, als man dieses Land in den Schengen-Raum aufgenommen hat. Der griechische Staat war auch in seiner damaligen Verfassung kaum in der Lage, effektiven Schutz zu garantieren. Es gehört zur typischen europäischen Blauäugigkeit, dass man nur Regeln aufstellt, wie man jemand im Schengen-Raum aufnimmt, nicht aber, wie man ihn wieder zum Verlassen auffordern kann. Ich will Schengen nicht aufgeben, sondern konsequent anwenden. Das bedeutet aber, dass wir uns von denjenigen, die bei der konsequenten Anwendung nicht mitmachen wollen, aus dem Schengenabkommen verabschieden müssen.

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