Der Aufblattler aus dem Ötztal

Markus Wilhelm, unbequem.
Landwirt Markus Wilhelm steigt Tirols Politikern regelmäßig auf die Zehen.

Mit dem Auftakt des Ski-Weltcups an diesem Wochenende wirft Sölden die gut geölte Wintertourismus-Maschinerie an. Einer, den der ganze Zirkus kaltlässt, blickt von seiner Küche direkt auf das Zentrum des Tiroler Dorfs. "Wir haben ständig Zimmeranfragen, aber wir machen erst nach Weihnachten auf", sagt Markus Wilhelm. Drei Appartements vermietet der 59-Jährige in seinem Haus, das etwas abseits des Trubels auf einem Hang liegt. Hinten im Stall stehen derzeit zehn Schafe. Landwirt sei er, sagt der Ötztaler, wenn er nach seinem Beruf gefragt wird.

Insider-Informationen

Gefürchtet wird er in seiner Rolle als Publizist. Dort, wo Wilhelm politische Sümpfe in Tirol verortet, wirft er von seinem Computer aus Steine hinein, die Wellen schlagen. Seine Waffe ist der Blog dietiwag.org. Mithilfe von Insiderinformationen deckt er Missstände auf. Politische Nutznießer werden geradezu "aufgeblattelt".

Wer in Wilhelms Visier gerät, darf nicht zimperlich sein. In seinen Texten führt er eine scharfe Klinge. Die Artikel werden zum Teil von Fotos und Montagen untermalt und sind mit bitterbösem Wortwitz gespickt. Wilhelm wandert nicht selten hart am schmalen Grat zur Untergriffigkeit. "Ich bin sicher persönlich", bekennt er auf Nachfrage. "Aber es muss immer im Sinne der Geschichte sein." Dass ihm das Schreiben, aber auch die Reaktionen auf das Veröffentlichte, "eine Gaudi" bereiten, verhehlt der Blogger nicht.

Ins Visier sind, wie auch zuletzt (siehe unten), in den vergangenen Jahren vor allem Politiker der Tiroler ÖVP geraten. "Ich führe keine Privatfehde gegen die ÖVP. Aber die geben eben am meisten her", erklärt Wilhelm.

Immer wieder musste er in der Vergangenheit vor Gericht Sträuße mit seinen Kontrahenten ausfechten. Verloren hat er erst ein Mal. Die Justiz attestierte dem Blogger einen "Wertungsexzess", weil er das Logo eines Funparks zu einem Hakenkreuz umgewandelt und neben einen Artikel mit dem Titel "Parteitag am rechten Ort" gestellt hatte. Das rechtfertigte Wilhelm damit, dass in dem Veranstaltungszentrum, in dem die ÖVP 2013 ihren Parteitag abhielt, auch schon Konzerte von Rechtsrock-Bands stattfanden. Partei und Funpark klagten.

"Wenn ich gewusst hätte, dass das so viel Arbeit und Energie verbraucht, hätte ich es nicht gemacht", sagt der 59-jährige heute. Trotzdem sieht er Positives in der Niederlage. Für das Verfahren durch alle Instanzen wurden bei einer Solidaritätsaktion innerhalb kürzester Zeit die Verfahrenskosten aufgebracht. "Die Gegenseite hat gesehen, dass ich nicht alleine bin", meint Wilhelm. Als der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sich im heurigen Juli mit der Beschwerde des Ötztalers über das Urteil nicht befassen wollte, verlautbarte Wilhelm auf seiner Seite: "Wir, ich und die eigentliche Hauptklägerin Tiroler Volkspartei, werden wieder aufeinandertreffen. Schon nächstens. Hier."

Ein Monat später ließ der Blogger die Bombe vom Gratis-Wohnrecht des Ex-ÖVP-Landtagspräsidenten Helmut Mader platzen. "Es geht nicht um Köpfe. Es geht darum, ein System aufzuzeigen", sagt der streitbare Schafbauer. Dort, wo Wilhelm politische Netzwerke ausmacht, werden diese seziert. Seit 2004 nützt er dafür seine Homepage. Aktiv sei er allerdings bereits seit 40 Jahren.

So gründete er etwa 1979 – unter anderem mit Felix Mitterer – die kulturpolitische Zeitschrift Föhn und gab von 1984 bis 1998 einen Nachfolger heraus. Als der Landwirt 2004 davon Wind bekam, dass der Landesenergieversorger Tiwag im Ötztal ein riesiges Kraftwerk errichten wollte, stampfte Wilhelm die Seite dietiwag.org aus dem Boden und machte die Pläne publik. "Ich hatte den internen Vorhabensbericht", erzählt er.

Tiroler Wikileaks

Es war das Erste einer Vielzahl von Dokumenten, die durch Lecks zu dem Landwirt im Ötztal durchsickerten. Heute ist sein Blog eine Art Tiroler Wikileaks. "Die Parteien haben das lange unterschätzt und sich gedacht, das ist ja nur Internet", sagt Wilhelm. Soziale Medien wie Twitter feuern die Reichweite der Artikel heute weiter an. Die "Zuspitzung" sei das Leitmotto seiner Seite. Wilhelm will, dass "die Leute beim Lesen eine Freude haben" und Netzwerke erkennen. Bei den Politikern, die ins Visier des Blogger geraten, hält sich die Freude in der Regel in Grenzen.

Der Ötztaler Blogger Markus Wilhelm hat der ÖVP und dem Landesenergieversorger Tiwag, zu dem es einen dicken schwarzen Draht gibt, in den vergangenen 11 Jahren immer wieder Ungemach bereitet. Die Serie von Missständen, die der Internet-Publizist aufgedeckt hat, ist lang.

So machte er etwa bekannt, dass Konrad Streiter nach seinem vorzeitigen Ausscheiden als VP-Landesrat einen Konsulentenvertrag bei der Tiwag erhielt und dafür 18.500 Euro monatlich einstreifte. Finanzlandesrat Christian Switak (ÖVP) musste 2012 das Handtuch werfen, nachdem Wilhelm veröffentlicht hatte, dass der für Raumordnung zuständige Politiker zu äußerst günstigen Konditionen in der Wohnung eines Liftkaisers eingemietet war.

Am Freitag folgte erneut ein Rücktritt, der durch einen Bericht des Bloggers und das nachfolgende mediale Beben ausgelöst wurde. Multifunktionär Anton Pertl legte sein Mandat im Landtag zurück, das ihm zuzüglich seiner Gage als freigestellter Zentralbetriebsrat bei der Tiwag und weiterer Funktionsabgeltungen 16.000 Euro oder mehr monatlich einbrachte.

Die Höhe der Bezüge habe auch ihn „gewundert“, erklärte Landeshauptmann Günther Platter, der einmal mehr wegen eines seiner Parteikollegen in Erklärungsnotstand geriet. Die „letzten Vorkommnisse“ seien „äußerst bedauerlich“ und ein Schaden „für die ÖVP und die Politik insgesamt.“

Diese letzten Vorkommnisse betrafen neben Pertl noch zwei weitere Mitglieder des ÖVP-Arbeitnehmerbunds AAB. Dass einer davon, der Tiwag-Chef Bruno Wallnöfer, zu seiner Vorstandsgage von rund 23.000 Euro monatlich auch seit Jahren eine Beamtenpension in Höhe von rund 4000 Euro beziehe, hat laut Platter eine „schlechte Optik“ und könne von niemand nachvollzogen werden. Auch wenn rechtlich alles gedeckt sei. Für das größte Donnerwetter hat in den vergangenen Wochen aber das Gratis-Wohnrecht von Ex-Landtagspräsident Helmut Mader im Innsbrucker Technikerhaus gesorgt. Der KURIER hat mehrfach berichtet. Bis zu Bekanntwerden der Affäre war Mader sogar Ehrenobmann des AAB.

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