"Der Anblick von Elend irritiert uns"

100 bis 130 Bettler zählt die Polizei in der Stadt Salzburg.
Diakonie-Chef Michael König über das "psychologische Problem" der Bevölkerung mit den Bettlern.

Seine Reisen in die ärmsten Regionen von Rumänien haben Michael König, Geschäftsführer der Diakonie in Salzburg, einen anderem Blick auf die Bettler-Debatte in Salzburg gegeben. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen und warnt vor dem "sozialen Sprengstoff", der in den ärmsten Regionen ohne Hilfe entsteht.

KURIER: Herr König, geben Sie Bettlern ihr Kleingeld?

Michael König: Hin und wieder mache ich das. Und das ist der Punkt: Niemand soll sich dazu verpflichtet fühlen. Wichtig ist mir ein würdevoller Umgang mit bettelnden Menschen.

Viele stört ja der Anblick der Bettler auf der Straße.

Das kann ich sehr gut verstehen. Unsere Gesellschaft ist nicht mehr an den Anblick von Armut und Elend gewöhnt. 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und mit der EU-Osterweiterung wird uns vor Augen geführt, dass es neben dem Wohlstandseuropa ein Europa mit Slums und Elend gibt. Diese Erkenntnis ist irritierend, macht Ärger.

Bei rund 100 Bettlern in der Stadt Salzburg kann man nicht sagen, dass wir ein mengenmäßiges Bettlerproblem haben, sehr wohl aber ein psychologisches. Das muss man ernst nehmen. Ich glaube, wir müssen noch viel mehr Bewusstseinsarbeit leisten. Mit unserer Plattform "Armut hat Platz" sind uns schon erste Schritte zu einem Klimawechsel gelungen.

Was sagen Sie zum Vorstoß der Stadt-ÖVP zu Bettelverbotszonen? Bringt ein Verbot etwas?

"Der Anblick von Elend irritiert uns"
Diakoniewerk Salzburg - GF MMag. Michael König Foto: Neumayr/MMV 20.11.2014
Diese Diskussion wird heute differenzierter geführt als noch vor einem Jahr. Es darf natürlich keine Denkverbote geben. Wir können schon versuchen, uns diese Menschen mit einem Bettelverbot aus unserem Gesichtsfeld zu schaffen. Wer aber um das Überleben kämpft, der hat nichts mehr zu verlieren. Der wird sich von Verboten nicht abschrecken lassen, sondern sich auf den Weg nach Westeuropa machen, um seine Situation ein bisschen zu verbessern. Auch, wenn sie dafür ihre Familien zurücklassen müssen. Wenn man in Siedlungen war, wo diese Menschen leben, wird einem das klar.

"Diejenigen, die zum Betteln kommen, haben die Hoffnung auf ein besseres Leben noch nicht aufgegeben."

Was haben Sie dort erlebt?

Beim ersten Mal war es für mich unfassbar, dass in Europa Menschen so leben müssen. Auch das ist Europa, das ist vielen gar nicht bewusst – war es auch mir am Anfang nicht. Man kommt an die Ränder von Gemeinden, wo es keine befestigten Straßen gibt, keinen Strom, keine Wasserleitung, keine Kanalisation. In Ortschaften wie Pauleasca (Südrumänien, Anm.) liegt die Arbeitslosigkeit bei 90 bis 100 Prozent, die Kinder gehen oftmals nicht in die Schule. In meinen Gesprächen mit den Kommunen habe ich den Eindruck bekommen, dass man mit der Situation überfordert ist. Es fehlt das Geld, und manchmal auch der Wille, diese Menschen in die Gesellschaft zu integrieren.

Welche Perspektiven hat der Einzelne in so einem Dorf?

Die Kinder wachsen mit Eltern auf, die nicht arbeiten, nicht lesen und schreiben können. Von ihnen kann man nicht fordern, sie sollen ihr Leben selbst in die Hand nehmen. Sie kennen kein anderes Lebensmodell.

Diejenigen, die zu uns zum Betteln kommen, haben wenigstens noch einen stärkeren Überlebenswillen als jene, die sich mit ihrem Elend arrangiert haben.

Eine kriminelle Absicht steckt nicht dahinter?

Die pauschale Kriminalisierung bettelnder Menschen ist ein Versuch, sich dieses Themas zu entledigen. Wenn sie kriminell wären, hätten wir einen Grund, sie zu verdrängen. Aber die bisher bekannten Fakten sprechen dagegen. Die Ermittlungen in Salzburg haben keine Hinweise auf größere mafiöse Strukturen ergeben. Einzelfälle von Erpressungen untereinander wurden von der Polizei zuletzt aufgedeckt. Auch das gibt es. Das muss man zur Kenntnis nehmen.

Was kann man tun?

Viele Entwicklungsprojekte sind in Rumänien gescheitert, weil die Strategie falsch war. Dort helfen keine Sofortmaßnahmen wie bei Hochwasseropfern in Bosnien. Diese Projekte muss man auf mindestens zehn Jahre anlegen. Bildung ist der Schlüssel dazu, einmal ins Arbeitsleben einsteigen zu können, Geld zu verdienen, sich eine Existenz aufzubauen. Nur so kann man die Spirale nach oben beeinflussen.

Wir werden auf EU-Ebene noch mehr Anstrengungen brauchen, die soziale und wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig zu unterstützen.

Was wären die Konsequenzen für Österreich?

Wenn wir uns mit dem Armutsproblem in Südosteuropa nicht offensiv auseinandersetzen, wird ein sozialer Sprengstoff für Europa wachsen, der uns noch viel mehr Probleme machen wird, als das Auftreten bettelnder Menschen auf der Straße.

Betteln in Salzburg

100 bis 130 Menschen betteln laut einer Zählung der Polizei täglich in der Stadt Salzburg. Der Großteil stammt aus Rumänien und Bulgarien. Während Stadt-ÖVP und -FPÖ seit dem Wegfall des absoluten Bettelverbots 2012 versuchen, ein sektorales in der Altstadt durchzusetzen, bemühen sich NGOs um bessere Lebensbedingungen für Notreisende.

Initiative

Seit Mitte November betreibt die Caritas eine Notschlafstelle für 35 Personen im Stadtteil Lehen. Zuvor waren 20 Frauen in der "Arche Süd" untergebracht. Dort gibt es abends eine warme Mahlzeit, ein Bett und sanitäre Anlagen. Ziel ist ein ganzjähriges Notquartier mit etwa 50 Plätzen. Caritas und Diakonie gehören zum Netzwerk "Armut hat Platz", das Hilfsaktionen koordiniert, sich für Toleranz und ein besseres Miteinander einsetzt.

www.armut-hat-platz.at

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