Auf der Flucht: "Meine Frau hat geglaubt, ich bin tot"

Hoffnungsträger Bahnhof: Dominique, Freiwilliger beim Train of Hope am Hauptbahnhof, versucht, vermisste Flüchtlinge wiederzufinden .
Immer wieder verlieren Flüchtlinge auf dem Fluchtweg ihre Familien. Helfer unterstützen sie bei der Suche.

Lana (2) läuft grinsend zu ihrem Papa Mohammed. Sie streckt die Hände, will hinaufgenommen werden. Der Papa nimmt sie auf den Schoß. Bis vor einer Woche sagte sie noch "Ami" zu ihm. "Onkel".

"Die Kleinen haben mich nicht wiedererkannt", erzählt Mohammed. Der 40-Jährige aus dem Irak hat seine Familie acht Monate lang nicht gesehen. Erst vor drei Wochen konnte er seine Frau Hind (33), deren Bruder Amir (15), seine beiden Söhne Leith (5) und Geith (1) und die kleine Lana wieder in die Arme schließen. Sie wohnen seit vier Monaten im Caritas-Haus Helina in Horn, NÖ. Aber das wusste Mohammed nicht. Denn er hat seine Familie bei der Flucht aus dem Irak aus den Augen verloren.

Fehlende Dokumente

Mohammed verließ seine Heimat, weil er und seine Familie dort nicht mehr sicher wären. Die Terroristen, erzählt er, nahmen sein Auto und zerstörten sein Haus. Also beschloss er Anfang des Jahres, seine Frau, seine Kinder und seinen Schwager in die Türkei zu bringen. Doch Mohammed konnte nicht bei ihnen bleiben. Ihm fehlten Dokumente und er wollte noch Geld verdienen, damit es die gesamte Familie nach Europa schafft.

Als dieser Zeitpunkt endlich gekommen und er in die Türkei erreicht hatte, fand er seine Frau nicht mehr. Sie war bereits in Wien – das wusste er von der Schwester seiner Frau. Mehr nicht. Also bezahlte Mohammed 1300 Euro für eine Bootsfahrt nach Griechenland.

54 Menschen waren in dem sechs Meter langen Boot, erzählt er. "Mitten im Ozean drang plötzlich Wasser ins Boot. Und ich dachte nur: Bitte Gott, lass mich meine Familie noch einmal sehen", sagt er. Als er endlich Festland erreichte, habe er "geweint wie ein Baby". Über Mazedonien, Serbien und Ungarn kam er schließlich irgendwann in Nickelsdorf an. Dort behandelten Mitarbeiter des Roten Kreuzes seine wunden Füße und brachten ihn zum Wiener Hauptbahnhof. Und da begann seine Suche ein gutes Ende zu nehmen.

Anlaufstelle

Eine freiwillige Helferin in der Notschlafstelle, in der Mohammed übernachtete, erzählte ihm von der Vermissten-Suche des Train Of Hope (www.trainofhope.at). Unter diesem Motto versorgen Freiwillige seit eineinhalb Monaten Flüchtlinge am Hauptbahnhof.

Auf der Flucht: "Meine Frau hat geglaubt, ich bin tot"
Flüchtlinge
Die Helfer nehmen Daten von Menschen auf, die Angehörige auf der Flucht verloren haben und posten Fotos von Suchenden und Vermissten auf ihre Facebook-Seite. Jeder, der Informationen über den Aufenthaltsort der Vermissten hat, wird gebeten, diese in einer Facebook-Nachricht zu übermitteln. Parallel dazu wird auch das Rote Kreuz informiert, das über den Suchdienst Trace the Face vermisste Flüchtlinge mit ihren Familien zusammenzubringen versucht (siehe Bericht unten).

Im Quartier des Train of Hope am Hauptbahnhof wurde eine eigene Anlaufstelle für Vermisste eingerichtet. Fotos von den Abgängigen werden auf eine Wand in der Bahnhofshalle geklebt. 150 Menschen haben so ihre Familie wiedergefunden, 120 sind noch auf der Suche. "Wir gehen jedem Hinweis nach und versuchen, den Fluchtweg zu rekonstruieren", sagt Dominique, der sich beim Train of Hope um die "Missing people" kümmert.

Bei Mohammed hat das funktioniert. Er erfuhr, dass seine Familie im Caritas-Haus in Horn untergebracht ist. "Der Moment, als ich sie wiedersah, war einfach nur wow", sagt er. "Meine Frau hat geglaubt, ich bin tot. Sie hat die Hoffnung aufgegeben", sagt er. Zumindest so lange, bis der Train of Hope zu seinem Einsatz kam.

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