"Integration ist harte Arbeit"

Der Rektor der katholischen Privatuni in Linz: Franz Josef Gruber
Der Rektor der katholischen Privatuniversität Franz Josef Gruber über Pfingsten und den Umgang mit dem Islam.

Franz Josef Gruber ist Professor für Fundamentaltheologie und Dogmatik an der katholischen Privatuniversität Linz. Der 55-Jährige ist seit 2014 Rektor.

KURIER: Die römisch-katholische Kirche feiert das Pfingstfest. Was heißt Heiliger Geist? Dass das Glas halb voll und nicht halb leer ist?

Franz Josef Gruber: Pfingsten ist das Fest, an dem die Kirche gezündet hat. Ostern ist das Fest der Auferstehung Jesu. Kurz nach dem Tode Jesu versammeln sich die Leute, die ursprünglich aus Galiläa kommen, wieder in Jerusalem und erzählen die Botschaft, Jesus ist auferstanden. Kirche ist das Ereignis des Heiligen Geistes. Es ist das Ereignis der Wirksamkeit Gottes an den Glauben an Jesus von Nazareth, dass er der Messias ist. Und dass diese Botschaft in die Welt hinaus getragen werden muss und nicht in den vier Wänden bleiben kann.

Da hat es gefunkt. Auch im Alltag braucht eine Idee einen Zündfunken, damit sie ins Rollen kommt. Viele Menschen haben eine Idee, aber es tut sich nichts. Pfingsten ist auch eine Idee der Gottesvorstellung. Gott ist eine Wirklichkeit, die über den Geist des Menschen etwas bewegt, etwas Neues schafft. Menschen, die zuerst ängstlich und orientierungslos waren, haben plötzlich eine Botschaft.

Wie kann man den Heiligen Geist definieren?

Er ist die Verbundenheit Gottes mit der Welt, mit der Schöpfung. Gott als geistige Macht wirkt über seinen Geist in der Schöpfung, in der Natur, in den Menschen. Insofern ist die Idee des Heiligen Geistes nicht nur eine christliche, sondern sie ist auch im Judentum und in anderen Religionen da. Nur wird es dort anders ausgedrückt.

Gott ist die Dreifaltigkeit: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Wie darf man das verstehen?

Wenn man Jesus und den Geist als Aspekte Gottes betrachtet, die Gott in sich hat und er auch Vielheit in sich trägt, dann wird es möglich etwas zusammen zu denken, was man nicht zusammen denken kann. Entweder man hat Vielheit oder Einheit. Im Christentum wird eine ganz paradoxale Struktur zusammengebunden, in dem man sagt, Gott ist das Bild für Einheit und Vielheit, ohne dass dass eine das andere ausschließt. Das hat gesellschaftlich enorme Konsequenzen.

In welcher Weise?

Eine Gesellschaft steht immer vor dem Problem, wie schafft sie Einheit? Und was tut sie mit der Vielheit, die die Einheit immer auflöst?

Es verwundert einige, dass die Vertreter der römisch-katholischen Kirche Obergrenzen für den Zustrom an Flüchtlingen ablehnen, die großteils Muslime sind. Die FPÖ hält der Kirche vor, dadurch die christlich-abendländische Gesamtgestaltung der Gesellschaft zu gefährden. Studien zeigen, dass in Wien die Muslime in 20 Jahren die größte Religionsgemeinschaft sind.

Obergrenze bedeutet nicht, dass es keine Grenzen gibt. Natürlich gibt es reale Grenzen der Aufnahmefähigkeit und der Integration. Aber was mit dem 37.501. Asylwerber? Es geht um eine humanitäre Herausforderung und nicht darum, ob Europa muslimisch werden soll. Die Frage ist nicht, ob der Flüchtling muslimisch ist, sondern ob er in Lebensgefahr ist. Das ist urchristlich, wie das Bild des barmherzigen Samariters zeigt.

Aber die Bibel spricht nicht von Massenzuwanderung.

Es ist ein Unterschied zwischen Asyl und Massenzuwanderung. Zuwanderung ist kein Thema für die Kirche, sondern für den Staat. Europa ist bis dato mit dem Thema Zuwanderung in unreflektierter Weise umgegangen. In der Geschichte sind auch viele Europäer ausgewandert. Ein Beispiel ist Frank Stronach. Es stellt sich nun die Frage, wie Europa mit dieser Vielheit umgeht. Bisher hatte es dafür keine Konzepte. Es gibt nun ein Ringen und einen Streit darüber, was ist Europa?

Da gibt es die Position, die sagt, Europa ist genauso global geworden wie andere Teile der Welt. Europa ist nicht eine Frage der Ethnien, sondern des Konzepts. Ein Europa, wo Menschen ohne Verfolgung leben können. Wenn die Menschen sich hier integrieren und die Werte wie Religionsfreiheit annehmen....

....es wird ein europäischer Islam gefordert ...

..., den es noch nicht gibt, der sich aber schon zu entwickeln beginnt. Man muss wachsam sein, es regelt sich nicht von selbst. Integration passiert nicht von selbst. Integration ist intensive Arbeit für beide Seiten. Die österreichische bzw. europäische Kultur muss sich öffnen für andere. Gleichzeitig müssen sich die Flüchtlinge in eine europäische Welt einfinden können. Das ist auch nicht einfach.

Es gibt Menschen, die sagen, sie leben lieber in einer christlich geprägten Gesellschaft als in einer muslimischen.

Freilich, das ist nachvollziehbar. Unsere Gesellschaft wird nie muslimisch geprägt sein. Wir haben weder eine muslimische Prägung noch eine muslimische Geschichte. Ein Islam in Europa wird wirklich ein europäischer Islam sein. Sonst müsste man sich eine Gesellschaft vorstellen, in der die Religionsfreiheit und die Trennung von Kirche und Staat aufgehoben werden müssten.

Wenn die Muslime die Mehrheit bekommen, können sie auf demokratische Art und Weise die Scharia einführen.

Das ist ein demografischer Strohsack, den man aufbaut. Denn dann müsste man davon ausgehen, dass es zu einer strukturellen Unterwanderung aller Institutionen kommt. Durch Muslime, die von der Idee getragen sind, wir eignen uns Europa als Kulturraum für den Islam an. Das habe ich noch nie gehört.

Wie kann man diese Frage der verschiedenen Religionen und Kulturen im Licht von Pfingsten lösen?

Zu Pfingsten kommunizieren die Apostel offen mit den Menschen aus der ganzen Welt. Es ist kein Fest der Ängstlichkeit, sondern des Aufbruchs und der Begegnung mit den Fremden mit meiner Botschaft, mit meinen Werten und meiner Überzeugung. Pfingsten heißt nicht, wir wissen nicht, was wir machen sollen, sondern zu sagen, wir haben eine ganz fantastische Idee. Gott will, dass sich die Menschen verstehen. Pfingsten ist die Gegengeschichte zum Turmbau zu Babel. Dort bauten die Menschen einen Turm so hoch wie Gott. Der Bau scheiterte an der Sprachenvielfalt der Menschen. Er ist die Erfahrung, dass sich Menschen aufgrund ihrer Verschiedenheit nicht mehr verstehen.

Pfingsten greift die Sprachenvielfalt auf. Im Glauben an den Gott der Liebe können Menschen fähig werden ihre sprachlichen, ethnischen und sonstigen Verschiedenheiten zu überwinden und kommunikativ zu werden.

Es geht nicht um die Auflösung der Verschiedenheit, aber die Sprache und die Identität sind nicht mehr der Grund, warum sie sich nicht mehr verstehen können. Sondern sie haben eine neue Perspektive gewonnen. Sie verstehen sich als Menschen des einen Gottes.

Auch dem Christentum ist es nicht gelungen, Einheit zu schaffen. Sogar die Religionen haben sich bekriegt. Die Auflösung waren die Menschenrechte. Die Aufklärung war ein Stück weit Pfingsten. Über die Religionen hinaus brauchte es einen neuen Grundkonsens: die Würde und Rechte des Menschen. In der religiösen Sprache gesprochen heißt das, Menschen sind Kinder Gottes. Gott ist nicht ein Gott der Gewalt, sondern Gott ist die Kraft und der Mut zur gewaltlosen Begegnung und Kommunikation, in der Verschiedenheit die Gemeinsamkeit zu entdecken, dass wir alle Kinder dieser Erde sind. Und dass wir gewaltfrei und in Frieden das Leben fördern und nicht zerstören.

Wie sehen Sie Papst Franziskus?

Im Grunde sehr positiv. Weil er aufzeigt, wie die Kirche in die Zukunft gehen muss. Er wird strukturell nicht viel verändern. Dazu ist er zu alt und die Herausforderungen sind zu groß. Er hat nicht jene Menge an Bischöfen an seiner Seite, um das umsetzen zu können. Für die Kirche stellt sich die Grundfrage, ob sie mit Offenheit oder in geschlossener Weise in die Zukunft geht. Franziskus sagt, die Kirche muss mutig sein und offen auf die Welt zugehen. Sein Ethos ist die Solidarität mit den zu kurz Gekommenen, mit jenen, die in der Weltöffentlichkeit keine Resonanz haben.

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