"Wirtschaftliche Ausrichtung alleine ist familienfeindlich"

Zwischen der Sehnsucht nach Familie und der Realität herrscht eine große Diskrepanz: Andreas Pumberger
Der Kapitalismus nimmt auf die Familien und die Kinder nicht Rücksicht, sagt der frühere Regens des Priesterseminars und Vorsitzende des kath. Familienverbandes, Andreas Pumberger.

Andreas Pumberger ist Geschäftsführer des Schulvereins der Kreuzschwestern in Linz und seit einem Jahr Vorsitzender des katholischen Familienverbandes, der nun das 60-jährige Gründungsjubiläum feiert. Der 49-Jährige stammt aus Eberschwang, ist verheiratet und Vater von drei Kindern. Er war Priester, von 2003 bis 2005 sogar Regens des Linzer Priesterseminars, bis Melanie seinen Weg kreuzte.

KURIER: Hört man den Namen katholischer Familienverband, verbindet man damit einen verzopften Verein.

Andreas Pumberger:
Rein von den äußeren Parametern ist das vielleicht gar keine unrichtige Annahme. Sein Anliegen sind die Familien. Er ist von der inneren Bestimmung her aber zukunftsträchtig, denn es geht um die Kinder. Das ist auch der Grund, warum ich mich engagiere.

Das offizielle Familienbild der römisch-katholischen Kirche geht davon aus, dass Mann und Frau vor der Ehe keinen Geschlechtsverkehr haben, heiraten und dann jeder Geschlechtsverkehr auf die Zeugung ausgerichtet ist. Das ist doch weit weg von jeglicher Realität.

Vater, Mutter und Kind können ein Idealbild sein. Unser Verband versteht sich als Sprachrohr für alle Gruppen. Ob das nun Mutter, Vater, Kind sind, Alleinerzieher, ob geschiedene wiederverheiratete oder Patchwork-Familien. Die Familie wird konstituiert durch das Kind.

Wo liegen heute die größten Herausforderungen für die Familien?

Die Erziehung von Kindern passiert oft unter großen Entbehrungen der Eltern. Die finanzielle Belastung ist sehr stark.

Trotz der Förderungen wie Kinderbeihilfe, Wohnbeihilfe etc.?

Ja. Zur finanziellen Belastung kommt noch die zeitliche Dimension. Es ist eine Herausforderung, Zeit miteinander zu verbringen. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit ist ein Problem. Wenn eine Frau nach der Karenz wieder in den Beruf einsteigen will und das möglicherweise noch in einem anderen Bereich, erfordert das viel Flexibilität. Wenn Frauen im Verkauf oder in der Dienstleistung tätig sind, spielt sich viel auch am Samstag und am Sonntag ab.

Die Flexibilisierung der Arbeitszeit ist schädlich für die Familie?

Das ständige Zur-Verfügung-Stehen müssen ist nicht förderlich und eine Härte. Natürlich konstituiert das Kind die Familie. Aber wenn die Partner füreinander keine Zeit mehr haben, dann wird die Familie auch keinen Nährboden haben. Mir wurde kürzlich ein Fall bekannt, da wurde ein Koch eingestellt. Er erhält 1680 Euro brutto. Er hat eine Frau und zwei Kinder. Die Frau muss arbeiten, sonst kommen sie nicht durch. Auch wenn man gut verdient, weiß man, wie viel das Leben kostet.

Ein wichtiger Punkt ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Frau muss sich entscheiden, ob sie im beruflichen Leben fortkommen will oder sie entscheidet sich für die Familie.

Viele entscheiden sich für beides, indem sie einen Teilzeitjob annehmen.

In der Grundsache ist es ein Entweder/Oder und nicht ein Sowohl/Als-auch. In einem Teilzeitjob wird man beruflich nicht die Schritte machen können, die bei Vollzeit möglich sein. Erfüllung und Erfolg im Beruf bedeuten auch Lebenszufriedenheit. Familie kann schon sehr viel geben, aber beruflicher Verzicht kann auch zu Spannungen führen. Das ist für Frauen oft ein Thema.

Am stärksten sind Alleinerzieher betroffen. Sie müssen arbeiten gehen und haben zugleich die volle familiäre Belastung mit Kindererziehung und Haushalt.

Das ist eine große Härte. Selbst wenn es entsprechende Kinderbetreuungseinrichtungen gibt, wird immer mitschwingen, eigentlich möchte ich das Kind nicht um sieben Uhr Früh dorthin bringen. Hier gibt es innere Spannungen. Aber Außer-Haus-Erziehung ist auch ein Lernfaktor und ein Vorteil.

Sie beklagen das Fehlen von Kinderbetreuungseinrichtungen, speziell am Land.

Es gibt für die verschiedensten Interessensgruppen Lobbys. Familien haben keine. Sie müssen sich selbst engagieren, sonst macht das keiner für sie. Wir können aber auch nicht alles an den Staat delegieren. Es sollte Modelle wie zum Beispiel die Tagesmütter geben, wo Familien sich selbst zusammentun und organisieren. Das muss bei einer Stelle zusammenlaufen. Ob das nun die Pfarre, die Gemeinde oder Rote Kreuz macht, ist sekundär. Wesentlich ist das Eigenengagement. Dann sollte es Unterstützung geben.

Der Kapitalismus ist im Prinzip familienfeindlich?

Das kann man so sagen. Eine rein wirtschaftspolitische Ausrichtung einer Gesellschaft ist familienfeindlich. Der Kapitalismus in seiner Blüte ist menschenfeindlich. Er nimmt darauf, wie es dir geht, was du leisten kannst, wofür du gern Zeit haben möchtest, nicht Rücksicht. Und Kinder sind immer die schwächsten Glieder der Gesellschaft.

In der Reinform gibt es den Kapitalismus bei uns nicht. Aber es ist schon heftig, was das Streben nach Geld und einem gewissen Lebensstandard auch bei uns verändert hat. Es braucht oft zwei Einkommen, denn sonst funktionieren die Wohnraumbeschaffung oder der Urlaub nicht. Es werden Bedürfnisse geschaffen, die die Menschen gerne haben wollen. Aber das geht ins Geld.

Was mich beschäftigt, ist die Diskrepanz zwischen dem Wunsch nach Familie, nach mehreren Kindern und der Realität. Was braucht es, dass das gelingt?

Was braucht es?

Es braucht Vorbilder. Es braucht gesellschaftliche Rahmenbedingungen, dass man das auch will und dass man darüber redet. Man muss sich bewusst sein, dass Familie zu haben Verzicht im materiellen Sinn bedeutet. Sie ist aber eine Bereicherung im immateriellen Sinn, auch wenn Kinder anstrengend sind und einen an die Grenzen führen.

Sie wehren sich dagegen, dass die Kinder zum Kindergartenbesuch verpflichtet werden.

Jene, die beispielsweise im Sozialverhalten oder in der sprachlichen Entwicklung Defizite haben, profitieren von geschultem Personal und sie haben mehr Lebenschancen. Ich halte ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr für alle für problematisch.Ich war beispielsweise in Pergkirchen bei Perg Pfarrer. Dort leben viele Bauersfamilien, deren Kinder zu Hause aufwachsen. Sie entwickeln sich gut. Sie mit vier Jahren zu zwei Kindergartenjahren zu verpflichten, halte ich nicht für notwendig.

Wenn es nicht verpflichtend ist, besteht die Gefahr, das jene Kinder, die ihn benötigen, nicht hingehen.

Deshalb halte ich die oberösterreichische Lösung mit der 20-Stunden-Verpflichtung und der Kernzeit von 8 bis 12 Uhr für eine gute Lösung.

Sie fordern ein steuerfreies Existenzminimum von 7000 Euro pro Kopf und Jahr für die Familien, wenn beide Eltern berufstätig sind.

Ähnlichen Härten soll das Pensionssplitting begegnen. Wenn eine Frau Kinder über viele Jahre erzogen hat und es kommt zum Bruch in der Beziehung, dann steht sie vor dem Nichts. Das ist Armut im Alter. Dem soll durch das Pensionssplitting vorgebeugt werden.

Es beginnt nun in Rom die Bischofssynode zur Familienfragen. Wie ist Ihre Erwartungshaltung?

Ich weiß nicht, wie offen und frei Papst Franziskus diskutieren lassen wird. Ich würde mir wünschen, dass man die Familie in all ihren Facetten und Realitäten anerkennt. Dass man auch die Lebensentwürfe, die nicht aufgegangen sind, respektiert. Auch sie sollten Heimat haben in der Kirche.

Papst Franziskus ist seit eineinhalb Jahren im Amt. Wie beurteilen Sie sein Pontifikat?

Es wirkt sowohl innerkirchlich als auch in der Wahrnehmung nach außen positiv. Sein größter Verdienst ist, dass endlich nicht mehr über die Struktur der Kirche diskutiert wird. Er hat es geschafft, dass die Kirche dorthin schaut, wo Not ist. Es wird als Papst wahrgenommen, der bei den Menschen ist.

Was mir noch fehlt, ist, wo verändert sich die Kirche wirklich? Das Handeln hat sich noch nicht verändert.

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