Polizei verzweifelt an Online-Hysterie

Kinder, Hunde und Ausländer seien die drei wichtigsten Themen, bei denen in Sozialen Medien regelmäßig die Wogen hochgehen
Verbrechensmeldungen bei Facebook und Co. halten konkreten Ermittlungen nur selten stand.

Ein Mann versucht vor der Volksschule, ein Kind in sein Auto zu zerren. Ein anderer lauert den Kindern mit seinem weißen Kleinbus auf. Tierhasser vergiften reihenweise Hunde. Asylwerber stehlen wenige Stunden nach ihrer Ankunft. Meldungen wie diese sind bei Facebook und Co. alltäglich. Nur: Sehr oft sind sie falsch.

Verzerrt dargestellt oder frei erfunden – die Meldungen verbreiten sich wie ein Lauffeuer, werden im Netz tausendfach geteilt. Der Polizei sind sie schon lange ein Dorn im Auge, erklärt Markus Haindl, Sprecher der NÖ Landespolizeidirektion. Bis man Herkunft und Wahrheitsgehalt ermittelt hat, "vergehen oft Stunden. Meistens stellen sie sich als Falschmeldung heraus."

Kind erfand Entführung

Für Aufsehen sorgte kürzlich die Facebook-Meldung über die versuchte Entführung eines Achtjährigen vor der Volksschule Mühlfeld in Neunkirchen (NÖ). Sie wurde mehrere Tausend Mal geteilt. Der Bub soll sich in letzter Sekunde losgerissen haben. Bei der Polizei meldeten sich besorgte Mütter und fragten, ob sie ihre Kinder am nächsten Tag überhaupt in die Schule schicken sollten. "Der Bub gab zu, die Sache erfunden zu haben. In den Sozialen Medien machte die Falschmeldung trotzdem noch tagelang die Runde", schildert einer der ermittelnden Beamten.

Auch Gernot G. aus dem südlichen Niederösterreich hat die Macht und die dramatischen Folgen eines Facebook-Postings bei Weitem unterschätzt. Der zweifache Familienvater war mit seiner vierjährigen Tochter in einem Einkaufszentrum, als das Mädchen beim Aussteigen aus dem Lift von einem unbekannten Mann angesprochen worden sein soll.

Mit den Worten "Komm, ich bring dich zu deiner Mama", soll er versucht haben, mit dem Kind den Fahrstuhl zu verlassen. Der Vater reagierte sofort, der Unbekannte suchte das Weite. "Meine Frau hat den Vorfall auf Facebook geschildert, weil wir die Sache ernst genommen haben und wir es für richtig hielten, das publik zu machen", schildert Gernot G. Online geriet die Sache aber außer Kontrolle: Der Eintrag wurde 17.000-mal geteilt. Laufend dichteten Unbeteiligte etwas dazu. Selbst als die Familie das Posting löschen ließ, wurden Screenshots des ursprünglichen Eintrags immer wieder veröffentlicht. "Es kam zu Beschimpfungen im Internet, wir wurden als Lügner hingestellt", schildert G. Auch das Einkaufszentrum war wegen der Negativ-Publicity wenig erfreut. Gernot G. ist durch den Zwischenfall geläutert: "Als Familienvater habe ich eine Verantwortung. Ich würde sicher wieder versuchen, den Fall in die Öffentlichkeit zu tragen. Aber auf keinen Fall über Soziale Medien."

Es braucht aber nicht unbedingt mutmaßliche Kindesentführungen, um die Community in Aufregung zu versetzen. So machten in den vergangenen Monaten immer wieder Meldungen die Runde, wonach Hunde mit Ködern am Wegesrand vergiftet werden sollten. "Natürlich gibt es auch echte Fälle, aber nicht alles, was ein Hund am Wegesrand frisst, ist gleich ein Giftköder", meint ein Ermittler.

Geschürte Vorurteile

"Kinder, Hunde, Ausländer", nennt Bernhard Jungwirth vom Österreichisches Institut für angewandte Telekommunikation drei Themen, bei denen die Online-Wogen regelmäßig hoch gehen.

Wie sich ein Latrinengerücht in der Asylfrage verselbstständigt, musste kürzlich die Polizei in Horn (NÖ) feststellen. Kaum in einer neuen Unterkunft, hätten Flüchtlinge schon Schuhe gestohlen. Die Caritas habe diese danach bezahlt, um die Wogen zu glätten. Das Totschlagargument eines Users: "Man hört es von vielen Seiten in Horn. Irgendwas wird ergo ziemlich sicher dran sein."

"Keine Anzeige, bloße Panikmache", meint hingegen die Horner Polizei. "Nicht denkbar, dass wir so etwas machen", erklärt meint Caritas-Sprecher Martin Gantner. Eine Menge Kommentare gab’s trotzdem.

Polizeisprecher Haindl kann nur appellieren: "Durch die rasche Verbreitung solcher Mitteilungen entsteht oft eine regelrechte Hysterie, der man aus polizeilicher Sicht nur schwer begegnen kann." Er bittet: "Sollten tatsächlich solche Wahrnehmungen gemacht werden, in jedem Falle die nächste Polizeidienststelle aufsuchen."

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