Fatale Fehldiagnose: "Krankheit konstruiert"

Fatale Fehldiagnose: "Krankheit konstruiert"
Eine Psychologin stellte in einem Sorgerechtsstreit eine sehr umstrittene Diagnose. Der Mutter wurden die Kinder abgenommen.

Sie sei geisteskrank, habe Wahnvorstellungen, Depressionen, kognitive Beeinträchtigungen und neige zu erweitertem Selbstmord. Also könnte sie, abge­sehen von sich selbst, auch ihre Kinder mit in den Tod reißen. Diese Diagnose stellte eine psychologische Gerichtsgutachterin der 40-jährigen Alexandra L. Mit fatalen Folgen: Der Burgenländerin wurden ihre vierjährigen Zwillingssöhne abgenommen – wegen "Gefahr im Verzug".

Völlig zu Unrecht, wie die renommierte Gerichtssachverständige und Psychiaterin Gabriele Wörgötter meint: "Wie Frau L. in dem Gutachten beschrieben wird, ist absolut falsch. Als ich das Gutachten gelesen habe, dachte ich, da erwartet mich jetzt eine schwer kranke Frau."

Wörgötter hat Alexandra L. vier Stunden lang psychiatrisch und testpsychologisch untersucht. Ihr Befund: überdurchschnittliche Intelligenz, kein Hinweis auf psychische Erkrankungen. "Die Gutachterin hat fälschlicherweise eine psychische Krankheit konstruiert", sagt Wörgötter. Die Diagnose sei nicht nur falsch, sondern übersteige auch die Kompetenz einer Psychologin, die eine medizinische Diagnose gar nicht stellen dürfe, meint Wörgötter.

Sie legte ihre Stellung­nahme dem Gericht vor. Verlesen worden sei sie dort nicht. "Wenn zwei Gutachten so in einem Widerspruch stehen, holt man normalerweise ein drittes ein", sagt die Gerichtssachverständige. Claudia Pronay, die zuständige Richterin am Bezirksgericht Neusiedl am See, wollte dazu nicht Stellung nehmen.

In der Zwischenzeit gibt es auch einen Befund des Psychosozialen Dienstes Burgenland, der zum selben Ergebnis kommt wie Wör­götter. Wörtlich ist dort zu lesen: "Allerdings ist kein Hinweis zu finden, dass bei der Patientin jemals eine länger dauernde, sozialbeeinträchtigende psychiatrische Erkrankung vorhanden gewesen sei."

Verlust

Fatale Fehldiagnose: "Krankheit konstruiert"

Seit elf Wochen hat Alexandra L. ihre Zwillinge nicht mehr gesehen. Zum Geburtstag im August durfte sie ihnen nicht gratulieren. Dass ihr die Kinder überhaupt weggenommen wurden, versteht auch die Prozessbegleiterin von L., Margreth Tews, nicht: "Das war eine völlig überzogene Reaktion des Gerichtes, die ich so noch nicht erlebt habe und niemals für möglich gehalten hätte." Denn auch die Abnahme selbst verlief laut Tews äußerst fragwürdig. Die Richterin habe einen Besuch der Zwillinge beim Vater organisiert, von dem seien die Zwillinge nie zurückgekommen. "Stattdessen wurde mir der Beschluss von der gerichtlich beauftragten Besuchsbe­gleiterin in die Hand gedrückt: ,Gefahr im Verzug, die Kinder bleiben beim Vater"", sagt Alexandra L. Auch dazu wollte Richterin Pronay nicht Stellung nehmen.

Obhut beim Vater

Fatale Fehldiagnose: "Krankheit konstruiert"

Laut dem richterlichen Beschluss obliegt einstweilen dem Vater die alleinige Obsorge. Zu Recht, wie dessen Anwalt Christian Nurschinger betont: "Meines Erachtens traf die Richterin eine rechtmäßige Entscheidung, das Gutachten ist schlüssig."

Die Psychologin, die das Gutachten erstellt hat, wollte sich nicht zu den Vorwürfen äußern. Auch der Mediensprecher des Landesgerichts Eisenstadt hält sich bedeckt. Nur so viel: "Die Richterin entscheidet, ob ein Gutachten schlüssig ist oder nicht."

Die Wiener Patienten­anwältin Sigrid Pilz appelliert indes an die Fachgesell­schaften der Psychologie und Psychiatrie: "Sie sollen Standards festlegen, wer für welche Begutachtungen fachlich zuständig ist."

Kommentare